Gadernheim. „Wenn wir heute einen Baum fällen, dann müssen wir uns ernsthaft fragen, ob an der gleichen Stelle in 100 Jahren ein neuer stehen wird“: Der Waldkenner und Vegetationsökologe Christian Storm appelliert an alle Akteure, so schnell wie möglich mit einem ganzheitlichen Waldmanagement zu beginnen und das hochkomplexe Ökosystem intelligent auf die Zukunft vorzubereiten. Im Kontext der Klimakrise gebe es keine Zeit zu verlieren, um die grünen Lungen an die Veränderungen anzupassen und dauerhaft als Oase für Tiere, Pflanzen und Menschen zu sichern.
Der Experte von der TU Darmstadt war maßgeblich am „Runden Tisch Wald“ der Stadt Darmstadt beteiligt. In Gadernheim sprach Storm vor über 60 Gästen über den Zustand des Waldes und die Perspektiven in Lautertal. Zuvor war der Fachmann bereits Ende vergangenen Jahres in einer Sitzung des Umweltausschusses der Gemeindevertretung aufgetreten.
Die öffentliche Diskussion nun wurde vom Aktionsbündnis Lautertaler Wald organisiert. Bürgermeister Andreas Heun sprach von einem hoch akuten Thema, das auch den rund 420 Hektar umfassenden Gemeindewald betreffe, der sich aus vielen kleineren Flächen zusammensetzt und zu etwa 84 Prozent aus Laubwald – davon 64 Prozent Buchen – besteht. Gerade diese Art ist stark geschädigt, in manchen Bereichen ist bereits jeder zweite Baum betroffen.
Der Lautertaler Wald in der Klimakrise: durch wissenschaftlich und rechtlich relevante Informationen wollen die Gastgeber eine verantwortungsvolle Debatte über den Wald forcieren, um wichtige Entscheidungen anzustoßen.
Christian Storm skizzierte die sogenannten Ökosystem-Dienstleistungen des Waldes von seiner Bedeutung als Erholungsort über seinen Nutzen für den Erhalt der Artenvielfalt bis zum Klima- und Hochwasserschutz. Faktoren, die im Zug der klimatischen Veränderungen in Zukunft noch einen weitaus höheren Stellenwert genießen werden, wie der Forstfachmann betonte.
Es gehe beim Blick auf den Wald nicht nur um die Bäume. Tatsächlich biete der Wald weitaus mehr Diversität bei Tieren, Pilzen und Moosen, so der promovierte Biologe. Der Blick dürfe also nicht nur in die Höhe gehen. Es gehe darum, die fragilen Beziehungsgefüge des Waldes zu erkennen und danach zu handeln. Auch der Humus am Boden spiele eine zentrale Rolle, da er Kohlenstoff binde, Wasser filtere und speichere und so maßgeblich das Waldinnenklima beeinflusse.
Im Wald ist es kühler
Doch das Mikroklima des Waldes strahlt auch in die Umgebung ab. Storm betonte die kühlende Funktion eines intakten Waldes, der zur Gesundheit des Menschen in einer aufgeheizten Erde beiträgt. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts sprach der französische Geologe Alexandre Moreau de Jonnes von einem „mächtigen Einfluss auf die Temperatur des Ortes“.
Der Wirtschaftswald ist aber auch ein wichtiger Rohstoff- und Energielieferant. Immer mehr nutzt der Mensch das Holz nicht nur als Baumaterial, sondern auch zum Heizen. Die energetische Verwertung hat sich innerhalb von rund zehn Jahren quantitativ an die stoffliche Nutzung angepasst. Logische Folge ist das Streben nach einer Optimierung der Holzproduktion, etwa durch den Anbau rasch wachsender Arten – und das sind vor allem Nadelbäume. Diese wiederum zeigten einen deutlich geringeren Kühlungseffekt, so Christian Storm. Die Pflanzung und Verbreitung gebietsfremder Baumarten stelle einen der vielen Stressfaktoren für das Ökosystem dar. Ist der Mensch also auf dem Holzweg?
Fest steht: nur ein gesunder und stabiler Wald kann die Herausforderungen der Klimakrise bewältigen. Dazu gehört ein balancierter Mix aus Arten und Altersstufen. Je mehr Eingriffe stattfinden, desto schwieriger kann der Wald seine selbstregulierenden Widerstandskräfte managen, sagte der Experte, der aber auch den wirtschaftlichen Aspekt nicht vernachlässigen wollte.
Eine attraktive Dividende
Man müsse den Wald als Naturkapital mit hohem ökonomischem Wert verstehen, der dem Menschen über viele Jahrzehnte eine attraktive Dividende auszahle. Diesen Vorteil gelte es, den kommenden Generationen zu sichern. „Der Schutz des Waldes ist ein Gebot ökonomischer Weitsicht“, so Storm. Wer dies erkenne, der setze die richtigen Prioritäten.
Marcel Hoffmann sprach über die Schutzgebiete des Lautertales Walds und hier insbesondere über den Felsberg bei Reichenbach und die Buchenwälder des vorderen Odenwalds. Sie sind Bestandteil eines Netzes unter dem Titel Natura 2000. Dabei handelt es sich um zusammenhängende Schutzgebiete innerhalb der Europäischen Union, die seit über 30 Jahren nach den Maßgaben der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie errichtet werden. Zweck ist der länderübergreifende Schutz gefährdeter wildlebender heimischer Pflanzen- und Tierarten und ihrer natürlichen Lebensräume. Hoffmann informierte über die rechtlichen Verpflichtungen für Fauna-Flora-Habitat-Gebiete und die Verantwortung von Waldbesitzern zum Erhalt der Schutzgebiete.
Hoffmann ist Schauspieler aus Koblenz und Mitglied der Bürgerinitiative „Waldwende jetzt Mittelrhein“. Waldzerstörung sei kein Kavaliersdelikt, sagte er. Im Wald gelte das Verschlechterungsverbot. Ein Augenmerk liege dabei auf dem Erhalt von Altbaumbeständen und stark strukturierten Tothölzern. Sie garantierten ein großes Habitat-Angebot im Wald und sicherten Artenvielfalt und Artenschutz.
Das Aktionsbündnis Lautertaler Wald wurde im vergangenen Jahr gegründet. Bürger, Naturschutzvereine und Bürgerinitiativen haben sich zusammengeschlossen, um sich für den Wald einzusetzen. Dazu gehören unter anderem die Ortsverbände Beedenkirchen, Elmshausen und Seeheim- Jugenheim des Naturschutzbundes (Nabu) sowie das Netzwerk Bergsträßer Wald, Mitglieder des Nabu-Kreisverbands Bergstraße, des BUND Bensheim/Zwingenberg.
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