Lautertal/Lindenfels. Es war schon alles bereit für die Eröffnung des neuen, barrierefreien Pilgerwegs Camino Incluso, der sich von Bensheim aus über 84 Kilometer durch den Odenwald nach Heidelberg erstreckt. An vielen Bäumen und Straßenschildern wiesen Markierungen mit dem gelben Beutel auf weißem Grund den Weg – der Odenwaldklub hatte sie angebracht. Schüler der SRH Stephan-Hawking-Schule in Neckargemünd hatten das Projekt ins Leben gerufen. Das Ziel: Ein Pilgerweg alle, den in Begleitung auch Menschen erleben können, die auf Hand-Bikes oder Rollstühle angewiesen sind.
Am 26. Juni hätte der Weg offiziell eröffnet werden sollen. Wegen der Corona-Krise fiel die große Feier aber aus. „Die Eröffnung musste leider abgesagt werden, weil das baden-württembergische Kultusministerium alle außerschulischen Veranstaltungen verbietet und wir das auch vernünftig und geboten finden“, betont Carmen Oesterreich, an der Stephen Hawking-Schule verantwortlich für die Pressearbeit.
Viel Arbeit von zu Hause aus
Im Hintergrund arbeiteten die Schüler und Lehrer des sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrums mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung jedoch eifrig weiter am Camino Incluso, betont die Pressesprecherin. Für ihr Engagement haben die Initiatoren einen Preis des Deutschen Wanderverbandes erhalten.
Projektleiterin Claudia Hanko kümmert sich zusammen mit einer Kollegin in der Medienwerkstatt und der Öffentlichkeitsarbeit um eine eigene Homepage für den Camino Incluso sowie um Routenbeschreibungen auf Outdoor-Plattformen und Apps. Die Schüler haben Pilgerpässe gefaltet, schreiben in die Pilgerbücher und arbeiten viel von zu Hause aus am Projekt. Einige Rohfassungen von Übersichtskarten sind schon fertig. „Wir haben die Hoffnung, dass es im Frühjahr 2021 oder spätestens im Herbst 2021 zur Eröffnungsfeier kommen wird“, betont Oesterreich.
Sechs Etappen
Der Camino Incluso teilt sich in sechs Etappen auf, die auch als Tagestouren machbar sind. Auf allen ist in regelmäßigen Abständen der gelbe Pilgerbeutel zu sehen. Vom Bahnhof Bensheim-Auerbach geht es über das Fürstenlager nach Beedenkirchen, dem Endpunkt der ersten Etappe, von dort weiter in Richtung Winterkasten. Am dortigen evangelischen Gemeindezentrum wurde eine behindertengerechte Toilette eingebaut, die künftig auch den Pilgern offenstehen soll. Der Weg erstreckt sich weiter über Lindenfels nach Fürth, dann über Wald-Michelbach und Abtsteinach zum Ziel Heidelberg. Er führt außerdem als Zubringer zum pfälzischen und zum badischen Jakobsweg.
Jede Etappe weist verschiedene Varianten mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden auf. „Der gelbe Beutel allein garantiert noch keine Barrierefreiheit“, ist Hanko wichtig zu betonen. Vor der Krise hatten die Schüler Busverkehr und Unterkünfte am Weg getestet und waren die Wege abgelaufen, Rollstuhlfahrer hatten die Strecken auf ihre Barrierefreiheit hin untersucht.
Der Weg kann zwar schon jetzt ausprobiert werden. Die Verantwortlichen empfehlen aber Personen, die ihn nur mit Rollstühlen oder Handbikes zurücklegen können, abzuwarten, bis die Homepage und die Wegbeschreibungen fertig sind. So hätten sie die nötigen Informationen zur barrierearmen Streckenführung zur Verfügung, um einschätzen zu können, welche Variante für sie sinnvoll ist.
Rollstuhlpilger sollten den Weg nur in der Gruppe von Fuß- und Aktivrollstuhlpilgern im Verhältnis drei zu eins mit zwei Seilen im Gepäck als Zug- und Bremshilfe in Angriff nehmen, raten Hanko und Oesterreicher. Ein Weitwanderweg in der Natur sei etwas anderes als eine kurze Strecke und für alle eine besondere Herausforderung, sagt Hanko.
Für Weitwanderwege gelte, „nicht das Maximum, sondern das Machbare an Barrierefreiheit anzustreben“, da Natur nicht überall angepasst werden könne und solle, geben die Initiatoren zu bedenken. Auch sollten die Wege nicht über längere Strecken auf Radwegen verlaufen. Es sei ein Abwägen verschiedener Interessen von Pilger, Forstwirtschaft und Naturschutz.
Die erste Etappe führt von Auerbach nach Beedenkirchen
Die erste Etappe des Camino Incluso hat Beedenkirchen zum Ziel. Die Schüler schätzen den Weg als mittel bis sehr schwierig ein. Die Route bewegt sich auf dem Europäischen Fernwanderweg E8. Vom barrierefreien Bahnhof Bensheim-Auerbach geht es an der Synagoge in der Bachgasse vorbei. Vor dem evangelischen Gemeindehaus schräg gegenüber findet sich die erste Stempelstelle. Ein Pilgerempfang kann nach Voranmeldung organisiert werden.
Weiter geht es zum Fürstenlager. Nach dem See befindet sich auf der rechten Seite das einzige barrierefreie WC bis Beedenkirchen. Von dort steigt der Weg mäßig bis steil zwischen Apfelbäumen bis zur Anhöhe am Rastplatz Hermann-Schäfer-Eiche an. Hier besteht die Möglichkeit die Etappe abzukürzen, weitere Steigungen zu vermeiden und über die Wege 7 und 8, nach Schönberg abzusteigen. Die Pilger können mit dem Bus zurück nach Bensheim oder weiter nach Reichenbach. Der Anschluss zu Etappe 2 geht dann über Gadernheim nach Brandau oder Neunkirchen.
Nächster Glanzpunkt ist ansonsten die Lichtung am Garten der Freiheit. Durch eine Hohlgasse gelangen die Pilger zur Schutzhütte Selterswasserhäuschen, einem früheren Kiosk. Diese Hohlgasse ist witterungsabhängig für Rollstuhlpilger nicht immer befahrbar.
Weitere 150 Meter führt der Weg steil bergauf (acht bis elf Prozent Steigung, für 20 Meter zwölf Prozent). Alternativ entscheiden sich die Pilger hier für die Abfahrt über den L3 nach Elmshausen (6,6 Prozent Gefälle, anfangs über 20 Meter elf Prozent) und gelangen mit dem Niederflurbus zurück nach Bensheim oder weiter nach Reichenbach.
Der ausgeschilderte Pilgerweg führt nach der Steigung weiter, vorbei am Teufelsstein, auf einem kurzen Abstecher von 150 Meter (Gefälle fünf bis acht Prozent) zum Waldgasthaus Am Borstein. Tagespilger am Wochenende und in den Ferien sollten hier den steilen aber asphaltierten Abstieg nach Reichenbach nehmen und mit dem Bus zurück nach Bensheim fahren, da Beedenkirchen nur mit dem Schulbus erreichbar ist. Danach geht es wieder 150 Meter bergauf zum Pilgerweg und auf dem Camino zunächst leicht ansteigend, dann eben weiter, bis das Felsenmeer auftaucht. Der Weg ist eben und breit.
Nach zwei Kilometern ist das Ziel erreicht: Beedenkirchen. In der evangelischen Kirche gibt es den zweiten Pilgerstempel und nach Anmeldung einen Pilgersegen von Pfarrer Reinald Engelbrecht. Übernachtungsmöglichkeiten gibt es auf Voranmeldung im Freizeitheim der Kirche oder in der Pension Felsenmeer. red
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