Brandau. Willi Reimund, Bäckermeister im Ruhestand aus Brandau übergab kürzlich Fritz Ehmke, Müllersohn von der ehemaligen Talmühle in Allertshofen, ein Brotkärtchen. Daraufhin erinnerte man sich gemeinsam an die Zeit der Brotkärtchen in den 1960er-Jahren.
In der ehemaligen Talmühle Allertshofen wurde Roggenmehl gemahlen zum Backen von Brot. Der Roggen wurde zunächst von den Bauern zum Trocknen auf deren Dachboden ausgeschüttet. Denn der Müller konnte es bei zu großer Feuchte nicht einlagern oder gar mahlen und musste es mitunter selbst in der Trocknungsanlage der Mühle zur Einlagerung und zum Mahlen vorbereiten.
Der Reife,- und Feuchtegrad des Getreides wurde vom Müllermeister Fritz Ehmke senior subjektiv geprüft, denn Messgeräte waren zu teuer und waren den Großmühlen vorbehalten. Dazu griff Fritz Ehmke in das Getreide und ließ es durch seine Hände rieseln. Dann nahm er ein Korn und zerbiss es mit den Zähnen, und schaute sich das Innenleben des Kornes an. Mit dieser Prüfung konnte er mit seinen Sinnesorganen und Erfahrung den Reifegrad und die Feuchtegehalt beurteilen und zog dem Bauer gegebenenfalls vom Kaufpreis etwas ab.
33 Brote aus einem Zentner Mehl
Eine mühselige Arbeit war dann der Weg des Getreides vom Dachboden der Bauern zu Mühle. In einem Holz-Simmer wurde von dem damals zehnjährigen Fritz Ehmke das Korn auf dem Dachboden des Bauernhauses in große Jutesäcke abgefüllt mit über zwei Zentner Fassungsvermögen. Das Aufnehmen auf die Schulter und Abtragen über meist schmale und steile Holztreppen zum Lastwagen des Müllers war eine schweißtreibende harte Arbeit für Vater Fritz Ehmke und seine größeren Söhne Horst, Herbert und Werner. Dem kleinen Fritz imponierte dabei besonders, wie lässig und gekonnt seine großen Brüder die schweren Säcke bewegten.
Der Bauer erteilte dann dem Müller mündlich den Auftrag, zum Beispiel vier Zentner Getreide zu mahlen und das Mehl dem Bäcker seiner Wahl anzuliefern. Das waren die Bäckerei Reimund und Sponagel in Brandau und weitere Bäcker in Gadernheim, Lützelbach, Frankenhausen und Ober-Beerbach.
Beim Mahlvorgang entfielen 70 Prozent Mehl zum Backen und 30 Prozent Kleie zur Futterverwertung. Von einem Zentner Mehl konnte der Bäcker circa 33 Vierpfünder-Brote backen. Die Anlieferung des Mehls zum Bäcker, meist in 50-Kilogramm-Säcken erfolgte durch Abtragen über oftmals steile Holztreppen in der Bäckerei.
Gütliche Einigung mit Schnaps
Fritz Ehmke junior erinnert sich: Er half beim Abtragen der Mehlsäcke in der Bäckerei Demmler in Frankenhausen. Auf der schmalen und steilen Holztreppe zum ersten Stockwerk kam er ins Stolpern und der Papier-Mehlsack zerriss ihm auf der Schulter und stürzte die Treppe hinunter. Erst nach fünf Minuten legte sich der Mehlstaub und man konnte das entsetzte Gesicht von Bäcker Demmler erkennen.
Der Bauer erhielt vom Bäcker Brotkärtchen und musste nur den Back-Lohn von 50 Pfennig für ein Vierpfünder-Brot bezahlen. Regulär kostete das Vierpfünder-Brot zwei D-Mark. Dem Müller musste der Bauer den Mahl-Lohn bezahlen.
Der Müller führte ein Mahl-Buch, in dem alle Vorgänge handschriftlich eingetragen wurden. Dass es gelegentlich bei den Bauern Unzufriedenheit gab, wenn er zum Beispiel meinte, er hätte zu viel Abzüge erhalten oder es mal einen Patzer beim Wiegen oder der Verrechnung gab, war nicht verwunderlich.
Dazu gab es einen schönen Brauch zwischen den Jahren. Der Bauer kam zur Mühle und es gab immer eine gütliche Einigung, die mit Handschlag und einem Schnaps besiegelt wurde. So konnte man guter Dinge das neue Jahr beginnen.
Nachdem die meisten Kleinmühlen zugemacht haben und viele Bauern ihren Betrieb aufgegeben haben, wurde dieses Verfahren Mitte der 1960er-Jahre eingestellt. red
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