Wegzeichen - Wer richtig kritisiert, lässt auch andere Meinungen zu

An den Pranger gestellt

Von 
Markus Bissinger
Lesedauer: 
Der Reichenbacher Pranger. In früheren Zeiten mussten „Sünder“ auch für kleinere Vergehen ihre Strafe durch Stehen am Pranger verbüßen und waren Spott und Hohn der Vorbeiziehenden ausgeliefert. © Bissinger

Wer sich engagiert, macht Fehler. Sie sind kaum zu vermeiden, selbst wenn mit bestem Wissen und Gewissen gehandelt wird. Ist ein Mangel erkennbar, bleiben Kritiker nicht fern. „Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen“, heißt es. Schnell wird kritisiert, beschuldigt und vorgeworfen. Und wenn der Beschuldigte sich nicht wehren kann, dann haben Anschuldigungen, „Fake News“ oder Verachtungen freien Lauf. Schnell ist die Person „an den Pranger gestellt“. Sie wird öffentlich bloßgestellt, der Verachtung preisgegeben und der Kritik ausgesetzt.

Als „Pranger“ versteht man einen mittelalterlichen Schandpfahl. Verurteilte wurden an ihm angekettet und öffentlich zur Schau gestellt. Jeder Vorbeiziehende konnte den Beschuldigten verhöhnen, ohne sich auch nur im Geringsten wehren zu können. Am Pranger war man der öffentlichen Verachtung ausgeliefert. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Prangerstrafe aufgelöst. Die Praxis, andere öffentlich bloßzustellen, zu kritisieren oder zu verachten, ist damit nicht verloren gegangen. Sie hat ihre Formen geändert und auch neue „Medien“ für die Umsetzung gefunden.

Es ist leicht, sich über andere zu erheben und die eigene Meinung über die von anderen zu stellen. Oft wird Kritik verallgemeinert und pauschalisiert. Meist spricht aus ihr eigener Frust. Richtig kritisieren will gelernt sein. Es darf nicht darum gehen, Personen oder Gruppen zu verurteilen, das schafft lediglich Gräben und weitere Konflikte. Die Kunst besteht darin, lediglich das Handeln, die Tat oder das Missgeschick in den Blick zu nehmen. Damit bleibt das Gegenüber „auf Augenhöhe“ und wird als Person nicht erniedrigt.

Es geht ums Gewinnen

Zahlreiche Diskussionen scheitern daran, weil Egoismus oder Eitelkeiten den Austausch bestimmen. Es geht nur ums Gewinnen und Recht behalten. Es wird nicht mehr zugehört, auf Argumente eingegangen. Niemand will zugeben, dass er sich bisher vielleicht irrte, etwas nicht bedacht hat oder schlicht übers Ziel hinaus geschossen ist. Vor allem werden nur einfache und pauschale Argumente in den Raum geworfen und genutzt. Und wie einst auch am Pranger werden alle Möglichkeiten und Medien genutzt, den anderen bloßzustellen, wenn er sich schon nicht wehren kann.

Wer richtig kritisiert bleibt beim Thema und lässt auch andere Wahrnehmungen und Meinungen zu. Er kritisiert nicht die Person. Wer angemessen und begründet kritisiert, kann anderen, auch dem Kritisierten helfen. Er kann zum Fortschritt beitragen und vieles langfristig verbessern. Kritisches Mitdenken ist unverzichtbar und in angemessener Kritik liegt eine große Chance. Wer einmal am Pranger gestanden hat, weiß, dass einmal öffentlich verhöhnt, der Ruf kaum noch zu retten ist.

Freier Autor Rubrik "Wegzeichen" in der Wochenendbeilage. Berichte zu den Themen Soziales, Gesellschaft und Kirche.

Copyright © 2025 Bergsträßer Anzeiger