Frau Adler-Schäfer, Sie sind seit Mai 2022 als „Paula“ im Ried unterwegs. Das ist die Abkürzung für Psychosoziale Fachkraft auf dem Land. Ein sperriger Begriff. Wie stellen Sie sich den Menschen vor Ort vor?
Christina Adler-Schäfer: Ich sage erst einmal, dass es eine neue Stelle beim Gesundheitsamt gibt, die Psychosoziale Fachkraft auf dem Land heißt. Ich erkläre, dass „Paula“ zu Seniorinnen und Senioren nach Hause kommt und sich einen Überblick über die Versorgungssituation verschafft. Meine Aufgabe ist, zu schauen, was braucht ein älterer Mensch, um möglichst lange daheim in seiner vertrauten Umgebung wohnen bleiben zu können. Ich weise darauf hin, dass es Unterstützungsmöglichkeiten gibt, die nicht immer unbedingt jedem bekannt sind. Dass ich einen Überblick über die Versorgungsangebote habe und man mich fragen kann, was es vor Ort gibt und was helfen kann, um selbstständig zu bleiben.
Wer kann Ihre Hilfe in Anspruch nehmen. Gibt es da eine Altersvorgabe?
Adler-Schäfer: Die Grenze war erst bei 70 Jahren – nach den Förderrichtlinien des hessischen Sozialministeriums. Dies wurde aber inzwischen geändert, weil man festgestellt hat, dass auch Menschen unter dieser Altersgrenze Beratungsbedarf haben können. Es ist keine homogene Gruppe, wenn man von Seniorinnen und Senioren spricht. Jemand, der 65 Jahre alt ist, kann schon sehr gebrechlich sein oder viel mehr Unterstützungsbedarf haben als so manche 80- oder 90-Jährige.
Die Beratung kann, muss aber nicht in Anspruch genommen werden. Sie kommen nicht zu den Senioren nach Hause, um die Lage dort zu überprüfen, wenn das gar nicht gewollt ist.
Adler-Schäfer: Auf keinen Fall. Die Zustimmung des Betroffenen ist Voraussetzung dafür, dass „Paula“ tätig werden kann. Es kann immer mal vorkommen, dass besorgte Nachbarn oder Angehörige, die weiter weg wohnen, bei mir anrufen und mich bitten, mal nachzuschauen. Dann ist es wichtig, dieser Person zu sagen, dass mit mir Kontakt aufgenommen wurde und sie zu fragen, ob ich vorbeikommen kann. Es wird niemand überrumpelt. Ich stehe nicht auf einmal vor der Tür.
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Sie sind für sechs Kommunen zuständig. Zu ihrem Einsatzgebiet gehören Lorsch, Einhausen, Bürstadt, Biblis, Groß-Rohrheim und Lampertheim. Haben Sie viel zu tun?
Adler-Schäfer: Das nimmt jetzt schon Fahrt auf. Ich bin seit einem Dreivierteljahr da. Das spricht sich herum, und es kommen mehr Anfragen. Man muss sehen, dass „Paula! den nachgefragten Bedarf an Unterstützung nicht selbst erbringt. „Paula“ ist Schnittstellen-Koordinatorin im sozialen Netzwerk. Bei ihr laufen die Informationen zusammen, und sie bringt die passenden Partner zusammen. Daher kann es sein, dass bei Anfragen an „Paula“ nur ein Kontakt nötig ist, damit die Leute die passende Hilfe- oder Betreuungsstelle finden. „Paula“ würde dann in ein paar Wochen noch einmal anrufen und nachfragen, ob der Kontakt zustande gekommen ist und wie es gelaufen ist. Von diesen Anfragen gibt es sehr viele. Es gibt auch komplexere Fälle, bei denen ich intensiver einsteige und mehr mit dem Netzwerk koordinieren muss. Aber das ist nicht der Regelfall.
Netzwerk und Schnittstellen, wie lässt sich das in Beispielen darstellen? Verweisen Sie zum Beispiel auf Pflegedienste oder Einrichtungen und Vereine?
Adler-Schäfer: Genau. Es kann sein, dass ein ambulanter Pflegedienst helfen kann und für eine Beratung nach Hause kommt. Oder es kann auch sein, dass jemand, der einsam ist, einfach jemanden sucht, der mit ihm spazieren geht. Dann schaue ich, wer aus dem Ehrenamtsbereich da regelmäßig hinkommen kann. Auch dann rufe ich noch mal an, um zu fragen, ob das gut klappt. Oder ich schlage Menschen, die sich einsam fühlen, vor, zu einem offenen Mittagstisch zu gehen. Auch in diesem Fall frage ich nach, ob es das Richtige ist und gefällt. Oder ob wir etwas Anderes versuchen sollen.
Bei insgesamt sechs Kommunen einen Überblick zu bekommen, welche Angebote für ältere Menschen vorhanden sind, ist sicherlich nicht einfach. Haben Sie schon alle in Frage kommenden Partner in diesem Netzwerk kennengelernt?
Adler-Schäfer: Die Kommunen sind gut aufgestellt mit Angeboten und Netzwerkpartnern. Da habe ich noch nicht alles abgearbeitet. Ich entdecke immer mal wieder etwas Neues oder bekomme Einladungen. Das ist eine umfangreiche Arbeit, die „Paula“ noch eine Weile begleiten wird. Es ist auch wichtig, ständig auf Ballhöhe zu sein und die Listen zu aktualisieren.
Fehlt Ihrer Meinung nach noch etwas bei den vorhandenen Angeboten? Oder gibt es zum Beispiel bei einem Thema eine größere Nachfrage?
Adler-Schäfer: Da fällt mir sofort etwas ein. „Paula“ ist auch für Menschen da, die keinen Pflegegrad haben. Ihnen steht kein Geld aus einem Entlastungsbetrag zur Verfügung, mit dem sie sich kleine Hilfen einkaufen können, wie zum Beispiel die Fahrt zum Arzt. Sie fallen dadurch in einen Graubereich. Und da wäre es wichtig, weitere ehrenamtliche Arbeit wie Nachbarschaftshilfe zu aktivieren.
Ein hochbetagter und mobilitätseingeschränkter Mensch, der den ganzen Vormittag mit seinem Rollator in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein muss, um beispielsweise nach Bensheim zum Facharzt zu kommen, kehrt gegen Mittag völlig erschöpft wieder nach Hause zurück. Da müssen wir sehen, dass wir im Netzwerk mit den Partnern vor Ort eine Unterstützung vorantreiben. Der zweite Punkt ist, dass durch Corona Angebote wie offener Mittagstisch und Nachmittagstreffs eingeschlafen sind. Gerade, wenn diese in Pflegeeinrichtungen stattfanden. Ich erlebe auch immer wieder, dass Menschen sich zurückziehen, weil sie Sorge haben, dass etwas passieren könnte. Da ist es die Aufgabe, die Menschen aus der Isolation herauszuholen und Vertrauen aufzubauen.
Kontakte knüpfen
Christina Adler-Schäfer ist in ihrem Büro im Erdgeschoss des Bürstädter Bürgerhauses von Montag bis Freitag telefonisch unter 06206/701 510 erreichbar. Wenn sie zu Außenterminen unterwegs ist, läuft ein Anrufbeantworter.
Sprechzeiten bietet sie mittwochs von 9 bis 11 Uhr in ihrem Büro in Bürstadt an. Um telefonische Terminvereinbarung wird gebeten, damit Wartezeiten vermieden werden können.
Das gilt auch für die Außensprechstunden an verschiedenen Terminen in den Rathäusern der Kommunen. ps
Die Menschen bleiben weiterhin aus Angst vor Corona zuhause?
Adler-Schäfer: Ja, wenn jemand etwas ängstlicher ist oder Vorerkrankungen hat, dann erlebe ich, dass immer noch Ängste da sind.
In Biblis gibt es lediglich eine Hausarztpraxis. Macht sich das bei Ihrer Arbeit bemerkbar?
Adler-Schäfer: Es ist eher so, dass die Hausärzte auf „Paula“ zurückgreifen und sagen, wo es einen Bedarf gibt, und fragen, ob ich dort nachschauen könnte. Diese Fälle überschreiten die medizinische Versorgung. Da geht es in den psychosozialen Bereich. Das ist dann ein gutes Zusammenspiel zwischen den Ärzten und „Paula“, um zu erkennen: Woran hängt‘s, was wird gebraucht? Ist jemand einsam oder überfordert?
Sie haben Ihr Büro im Bürstädter Bürgerhaus. Ist das ein guter Standort?
Adler-Schäfer: Er ist zentral. Ich komme schnell nach Biblis und Groß-Rohrheim, auch nach Lampertheim, Einhausen und Lorsch. Das Büro liegt an der alla-hopp!-Anlage und wird wahrgenommen. Da schneien einfach mal Leute herein und fragen etwas. Das ist alles ganz unkompliziert.
Das Büro befindet sich im Erdgeschoss, was sicherlich von Vorteil ist.
Adler-Schäfer: Ja, es ist ebenerdig und ohne Barrieren zu erreichen.
Sie beraten im Büro und besuchen die Menschen zu Hause. Was wird stärker nachgefragt, der Hausbesuch oder das Büro?
Adler-Schäfer: Der Großteil sind Hausbesuche. Das ist auch sinnvoll, denn dabei sehe ich, wie die Leute leben und was bei den Wohnverhältnissen zu berücksichtigen ist. Dadurch erschließt sich die Situation besser. Aber es gibt auch pflegende Angehörige, die kommen ins Büro und informieren sich, welche Entlastungsangebote es gibt. Sie fragen, was ihre Mutter oder ihren Vater noch besser unterstützen würde. Aber auch für sich selbst als pflegende Angehörige brauchen sie Unterstützung. Zusätzlich zu Terminen im Büro und zu den Hausbesuchen habe ich auch Außensprechstunden in den Rathäusern der anderen Kommunen.
Kann es bei den Hausbesuchen passieren, dass ein älterer Mensch keine Pflegestufe hat, aber Sie sehen, dass eigentlich eine benötigt wird?
Adler-Schäfer: Ja, das kommt vor. Dann bespreche ich, ob darüber schon mal nachgedacht wurde und diese Unterstützung in Betracht kommt. Wenn ja, kann ich die Anfrage an die Seniorenberatung weiterleiten, die sich darum kümmert.
Wie viele Anfragen bekommen Sie im Monat?
Adler-Schäfer: Ich habe mich ab Juni 2022 der Öffentlichkeit als „Paula“ vorgestellt. Bis Jahresende hatte ich rund 70 Anfragen. Also im Schnitt sind das zehn Anfragen pro Monat – verteilt auf alle Kommunen.
Wie reagieren Sie, wenn jemand Ihre Hilfe nicht möchte?
Adler-Schäfer: Dann versuche ich, Angehörige und Nachbarn zu mobilisieren. Jeder hat das Recht, sein Leben so zu führen, wie er möchte. Das gilt es auch zu schützen, sofern keine Fremd- oder Eigengefährdung vorliegt. Wenn jemand keine Hilfe will, heißt das aber nicht, dass wir den Menschen aus den Augen verlieren.
Wenn Sie Menschen besuchen, wird Ihnen da gleich Vertrauen entgegengebracht?
Adler-Schäfer: Wenn sich die Leute selbst bei mir melden, besteht meistens sofort ein gutes Vertrauensverhältnis. Ich habe das Gefühl, dass sie froh sind, dass ihnen jemand zuhört und sie dankbar für die Hilfe sind. Wenn jemand anderes für sie anruft und die Menschen quasi auf meine Hilfe gestoßen werden, ist das erst mal eine andere Voraussetzung. In diesen Fällen dauert es in der Regel etwas länger, Vertrauen aufzubauen. Doch meistens gelingt es auch hier. Im Großen und Ganzen kann ich sagen, dass „Paula“ gut und auch vertrauensvoll angenommen wird. Dadurch, dass „Paula“ sich herumspricht und in den Medien vorkommt, wird sie zunehmend zu einem Begriff.
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