Einhausen. Süffiges Volkstheater mit Stock im Puppen-Hintern: „Erwin – ein Schweineleben“ ist derb, respektlos und rotzfrech wie beinahe alle Stücke aus der Darmstädter Comedy Hall. Die Story um einen sächselnden Eber, der endlich einmal richtig die Sau rauslassen will, gehört schon seit 1990 ins feste Repertoire des Kikeriki-Theaters. Jetzt gastierte die Truppe gleich zwei Mal in der Einhäuser Sporthalle. Am Freitag vor rund 350 Zuschauern. Die sahen eines der meist gespielten Stücke, aber sicherlich nicht das beste Werk der Bessunger Puppenmeister.
Ratten im Untergrund
Denn an die südhessischen Varianten von „Nosferatu“, „Faust“ oder „Siegfrieds Nibelungenentzündung“ kommt die schweinische Story nicht heran. Die Dialoge geraten bisweilen etwas zu mild und weniger offensiv, wie man sie von den Maschinengewehrschnauzen um Theaterdirektor Roland Hotz kennt. Die Ratten im Untergrund relativieren das zumindest deutlich, haben an der durchweg stark gespielten Inszenierung aber inhaltlich ebenso zu knabbern.
Die Handlung: Wenngleich Erwin mit seiner etwas langweiligen Freundin Margarethe auf einem Bauernhof eigentlich ein schönes Leben hat, zieht es ihn heftig in frivolere Gefilde. Er verlässt die biedere Sau, um schweinische Aufregung und Abenteuer zu suchen. Ein aufdringlicher Wurm („Fummeln, fummeln, fummeln“) verrät ihm gegen eine kleine körperliche Gefälligkeit, dass in den U-Bahn-Schächten direkt unter seinem Acker tagtäglich schwer die Post abgeht. In den „Rattakomben“ hausen Abrazzo und Körbel gemeinsam mit dem selbsternannten Rattenkönig, der als tiefbrauner Nazi-Nager ein recht wackliges Regiment führt. Denn gegen die dauernölenden Schwanzträger mit ihrem südhessischen und italienischen Dialekt ist auch der militärische Schreihals mit dem rollenden R ziemlich machtlos.
Die schnoddrigen Streitereien der Nager tragen einen Großteil des Stückes. In teils irrwitzigem Tempo quatschen sie das Publikum an die Wand.
Das gerät zwar insgesamt ein wenig handlungsarm, doch dramaturgische Komplexität ist die Stärke dieses Erwins ohnehin nicht. Die zweite Hälfte tropft dann auch entsprechend harmlos ins Finale. Erwin, dessen Ankunft den Ratten vom verräterischen Wurm längst angekündigt wurde, wird trotz Verkleidung erkannt und von den Ratten als künftiger Schweinebraten gefangen genommen. Sein Wunsch nach „Sex, Drugs und Rosenkohl“ bleibt ein Traum.
Zum vermeintlichen Happy-End, als die beiden Schweine wieder treu vereint die Zukunft und so manche Ferkeleien planen, hat das Kikeriki-Theater aber dann doch noch einen teuflischen finalen Kommentar parat: Was das dicke rosa Paar als Hochzeitsmusik hört, ist in Wirklichkeit der Auftaktmarsch für ein großes Schlachtfest mit den beiden Dickerchen als Hauptdarstellern.
Dem Volk aufs Maul schauen: Ein bisschen Kasperlbühne, ein Schuss Gauklertum und eine fette Prise antiautoritäres Volkstheater ergeben eine explosive Mischung, die durch eine scharf gewürzte regionale Zunge noch verfeinert wird.
Gibt es eine U-Bahn nach Lorsch?
Seit 1979 hat das Kikeriki-Theater eine unfassbare Karriere hinter sich. Spontaneität, freie Variation und radikale Szenenbrüche gehören zu den Stärken des Ensembles, das sein Publikum vor Ort immer wieder mit lokalspezifischen Kommentaren verwöhnt: Ob zwischen Lorsch und Einhausen wirklich eine Untergrundbahn rollt? Müsste man mal die Ratten fragen!
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