Zweiter Weltkrieg - Gerhard Gärtner hat mit Hilfe seines amerikanischen Freundes Walter Nail ehemals geheime Dokumente besorgt, die das Kriegsende in Einhausen aus Sicht der U.S. Army beschreiben

Als amerikanische Panzer durch Einhausen fuhren

Von 
Felix Wolf
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Einhausen. „Secret“ ist das erste Wort auf der maschinenbeschriebenen Seite. In Großbuchstaben und unterstrichen steht es über der Bezeichnung, die besagt, dass es sich hierbei um ein Dokument der Hauptquartiere der 45. Infanteriedivison der amerikanischen Armee handelt. Daneben das Datum: 19. April 1945.

Als Betreff der Dokumente ist der Verlauf von amerikanischen Truppenbewegungen angegeben. In diesem Fall die der 180. Infanterie. Ein auf der Titelseite nachträglich aufgedrückter Stempel gibt an, dass die Einstufung als „geheim“ mittlerweile aufgehoben wurde, und die Dokumente auch für die Öffentlichkeit einsehbar sind. Die folgenden Seiten sind mit schreibmaschinengetippten Sätzen gefüllt. Die Buchstaben stehen ungleichmäßig, und manche schiefer als andere, nebeneinander.

Gerhard Gärtner aus Einhausen, ehemaliger Stabführer des Musikcorps der Freiwilligen Feuerwehr und Ehrenvorsitzender des örtlichen Partnerschaftsvereins, steht hinter der Beschaffung dieser Dokumente. In den 1970er-Jahren knüpfte er Kontakte zu den Musikern der 76. U.S. Armeeband, die in Worms stationiert waren.

Freundschaft unter Musikern

„Wir versuchten damals, amerikanische Bands nach Einhausen kommen zu lassen, und besuchten diese auch in Worms. Dazu luden wir auch die Familien immer häufiger zu Besuchen ein, feierten gemeinsam Geburtstage. Daraus entstanden viele Freundschaften, die bis heute anhalten“, sagt Gärtner.

Eine dieser Freundschaften ist die zwischen Gerhard Gärtner und dem in Georgia lebenden Amerikaner Walter Nail. Sie sprachen bei gegenseitigen Besuchen regelmäßig über die Zeiten bei der Armee und die Musik, die sie zusammenbrachte. Dabei fiel das Gespräch auch des Öfteren auf das Thema „Einhausen im Zweiten Weltkrieg.“ Bei einem dieser Gespräche bat Gerhard Gärtner seinen Freund darum, einmal in den USA Nachforschungen anzustellen, um herauszufinden, ob sich eventuell Bilder der amerikanischen Armee in Einhausen, aus Zeiten des Zweiten Weltkrieges finden lassen. Bilder fand Walter Nail keine, dafür aber mehrere Berichte, die darüber informieren, wie sich der Vormarsch der Amerikaner durch Einhausen abgespielt hat.

Die Aufzeichnungen beginnen mit dem Zeitraum vom 1. bis zum 13. März 1945. Die 180. Infanterie befindet sich in Frankreich, zwischen Épinal und Lunéville, hundert Kilometer westlich von Straßburg. Im Journal der Einheit sind für diese Zeit Tanzabende mit musikalischer Begleitung durch Armeebands verzeichnet, die als Erfolg deklariert werden. Neben den Feiern und abgehaltenen Gottesdiensten bereiten sie sich auf den Angriff auf die sogenannte „Siegfried-Linie“ vor und trainieren für die Eventualität einer Rhein-Überquerung. Am 13. März bricht die Einheit nach Saargemünd auf, wo sie am 15. März die Blies, einen Nebenfluss der Saar, überqueren. Die Zeichnung einer Landkarte skizziert den Vorgang und gibt mithilfe von Kreisen, Pfeilen, Ortsnamen und Grenzlinien einen Überblick der Verteilung der Truppen. Es folgen kurze, prägnante Beschreibungen von Kampfhandlungen und Ortsnamen, die beim Vorrücken passiert werden: Habkirchen, Wittersheim, Ehlingen, Assweiler, Ommersheim, Biesingen.

Nach dem weiteren Vorrücken und dem Aufschlagen eines Lagers nördlich von Worms verzeichnet das Journal am Abend des 25. März die abgeschlossenen Vorbereitungen für die Überquerung des Rheins. Mit Booten, Angriffs- und Sturm-Booten, wie sie in den Dokumenten benannt sind, sowie mehreren Panzern ist die Übersetzung auf das Ostufer des Flusses geplant. In der Nacht vom 25. auf den 26. März startet die Einheit um 2.30 Uhr mit der Überquerung. Das 1. Bataillon erfährt dabei keine Zwischenfälle, während die nachfolgenden Einheiten Verluste erlitten, die durch am Ufer platzierte Flakgeschütze der deutschen Soldaten verursacht wurden. Das Boot eines Captains wurde bei diesem Angriff versenkt, jedoch schaffte es dieser, sich schwimmend an Land zu retten.

Bombardierung nach Flakangriff

Auf dem Westufer des Rheins kommt es zur Festnahme von ungefähr 30 Kriegsgefangenen. Das 1. Bataillon rückte weiter vor und sichert ein Gebiet 1000 Yards (etwa 900 Meter) nord-östlich von Hofheim. Sie überquerten die Schienen und die Straße („Highway“) zwischen Biblis und Bobstadt und erreichten um 14.30 Uhr den Rand von Einhausen. Im Journal noch als Kleinhausen und Großhausen betitelt und mit dem in Klammern stehenden Zusatz „Zwillings-Dörfer“ (twin towns) versehen.

Dort wurde der Zug durch Flak-Angriffe von Großhausen zum Anhalten und Anfordern von Luftunterstützung gezwungen. Zwischen 14.30 Uhr und 15.50 Uhr flogen dreimal jeweils acht Flugzeuge über Groß- und Kleinhausen und bombardierten es. Zusätzlich wurden Artillerieangriffe und Gewehrfeuer des Bataillons auf die Stadt eingeleitet. Ein Munitionslager geht dabei in Flammen auf. Die Aufzeichnungen beschreiben den Angriff auf den Ort als immens. Die Beschreibung dieser Ereignisse dauert jedoch nicht länger als sieben Zeilen. Im Journal sind es drei. Militärisch effizient, pragmatisch, kurz.

Erinnerung an zerstörte Scheune

„Obwohl ich damals noch sehr jung war, sind mir die Bilder, wie jenes unserer völlig zerstörten und abgebrannten Scheune, heute noch sehr präsent.“ sagt Gerhard Gärtner, als das Gespräch auf die Bombardierung des Ortes fällt. Was ihn zur Beschaffung der Dokumente und der Recherche über diese Vorkommnisse motiviert hat, sei grundlegendes historisches Interesse gewesen. Getreu dem Motto „Fragen kostet nichts“ nutzte er seine Kontakte und Freundschaften in die USA, um Erkenntnisse über diese Vorfälle zu sammeln. Auch, um andere Geschichtsinteressierte mit diesen Informationen zu versorgen und um die Ereignisse im historischen Kontext am Leben zu halten.

Um 17.20 Uhr betrat das Bataillon mit vier Panzern den Ort, organisierte sich für die Nacht und sandte Patrouillen aus. Es kam zur Festnahme von ungefähr 70 Kriegsgefangenen. Die Soldaten räumten den Ort von gegnerischen Stellungen, mit Ausnahme eines Panzers im südlichen Teil des Ortes, auf Brücken im Osten wurden Straßensperren errichtet. Eine Kneipe im Zentrum des Ortes wurde zum Lager des Bataillons umfunktioniert. Um 5.30 Uhr am Morgen des 27. März 1945 wird das Bataillon von einer Patrouille der 30. Infanterie darüber informiert, dass diese ihr Lager in Lorsch aufgeschlagen hat und sich von dort aus auf den Weg nach Heppenheim machen wird. Von Einhausen geht es für die Soldaten weiter nach Schwanheim und Fehlheim, von dort nach Auerbach, Hochstädten und Bensheim und über Schönberg weiter in den Odenwald.

Der letzte Teil des Dokuments fasst die beschriebene Periode in nüchternen Zahlen zusammen. 53 Tote, 293 Verletzte, 23 Vermisste verzeichnet die 180. Infanterie der U.S. Army nach eigenen Angaben im Verlauf des März 1945. Sie bezeichnen dies als „geringe Verluste in Anbetracht der schwierigen erledigten Aufgabe“. In der gleichen Zeit nahm die Einheit 3390 Kriegsgefangene in Gewahrsam. In den bisherigen 21 Monaten, welche sich die Soldaten im Einsatz befanden, die größte Zahl an Festnahmen. Von diesen Festnahmen fanden 1372 nach der Überquerung des Rheins am 26. März statt. Die der Einheit zugehörige Poststelle versandte in dieser Zeit 618 Beutel voller Briefe und erhielt gleichzeitig 973 Säcke aus den Vereinigten Staaten.

Keine Fotografien gefunden

Obwohl sich keine Fotografien aus diesem Zeitraum aus Einhausen auffinden lassen und die ortsbezogenen Vorkommnisse sehr kompakt dokumentiert wurden, zeichnen die Unterlagen doch ein eindrückliches Bild und machen Ereignisse, die sich im Ried und an der Bergstraße abspielten, auch für jüngere Menschen begreifbar. Das Interesse für Geschichte zu wecken, ist es, was sich Gerhard Gärtner unter anderem auch von diesen Dokumenten erhofft.

Vergangenes Jahr hätten das Musikcorps und die 76. U.S. Armeeband das 50-jährige Bestehen ihrer Freundschaft gefeiert. Aufgrund der Corona-Pandemie mussten sie die geplanten gemeinsamen Feierlichkeiten allerdings ausfallen lassen.

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