Bensheim. Am frühen Montagabend lud der Kur- und Verkehrsverein Auerbach wieder zu einem abendlichen Spaziergang durch den Luftkurort ein. Und hatte dabei das Glück auf seiner Seite. Während es gerade am Vormittag immer wieder kleinere und größere Schauer gegeben hatte, blieb es während des Spaziergangs trocken und die Sonne zeigte sich vereinzelt von ihrer besten Seite. Es handelte sich bereits um den 22. Themenrundgang der Reihe „Auerbach: Gestern, heute und morgen“. Während bei der letzten Führung Anfang Juni noch der westliche Teil Auerbachs erkundet wurde, führte dieses Mal die Route durch den östlichen Teil des Bensheimer Stadtteils. Vorstandsmitglied Ralph Stühling hatte im Vorfeld reichlich Informationsmaterial zu den verschiedenen Etappen gesammelt und führte die 25-köpfige Gruppe das Fürstenlager entlang, hinauf zum Krisslberg, den oberen Emmertalweg entlang und über die Wolfsschlucht zum Ausgangspunkt, der Bachgasse, zurück.
Treffpunkt der Unternehmung war der Dorfplatz gegenüber dem Alten Rathaus, dem „Kern von Auerbach“, so Stühling. Teile des Rathauses, welches ursprünglich als Schule diente, nutzt bekanntermaßen heute noch der Ortsbeirat. Auch der Kur- und Verkehrsverein hatte mit dem Lesezimmer einst eine eigene Räumlichkeit in dem 1859 errichteten Gebäude.
Geht man die Bachgasse weiter in Richtung des unteren Parkplatzes, an dem sich die erste Einmündung zum Fürstenlager befindet, ist direkt gegenüber ein gelbes Haus zu sehen. Die Bachgasse 94 hat historische Bedeutung, denn dort wohnte einst Friedrich Sanner. Der Gründer des gleichnamigen Unternehmens, das seinen Standort mittlerweile im Auerbacher Westen hat, nutzte sein Eigenheim bis 1927 noch zur Produktion.
In der oberen Bachgasse befindet sich das „Café Luise“. Auch hier konnte Stühling die eine oder andere historische Anekdote berichten. Dort wo sich heute der obere Parkplatz befindet, wurde früher die Messe gehalten, noch bevor weiter oben die Bergkirche errichtet wurde. Der Platz trägt daher die liebevolle Bezeichnung „Frihmess“. Seine historische Bedeutung verdankt er dem ehemaligen Auerbacher Landrat Ekkehardt Lommel, zu dessen Gedenken neben dem Toilettenhäuschen eine steile Treppe hinauf in Richtung Bergkirche und Fürstenlager führt. Apropos Toilettenhäuschen! Hierbei handelt es sich um eine der vielen Maßnahmen, die bedingten, dass sich Auerbach nun schon seit 70 Jahren Luftkurort nennen darf.
Auf dem steilen Anstieg, der für den einen oder anderen einiges an Mühen bedeutete, befinden sich weitere Erinnerungen an bekannte Persönlichkeiten. So zum Beispiel an Willi Giesin, der zehn Jahre Vorsitzender des Vereins war. Er sei wesentlich an der „Öffnung des Fürstenlagers für die Allgemeinheit“ beteiligt gewesen, berichtete Stühling.
Auf dem oberen Pfad entlang des Fürstenlagers findet sich eine Erinnerung an Paul Sieben, den ersten Geschäftsführer des Vereins. Ihm ist die Namensänderung zu verdanken, denn im Gründungsjahr 1866 lautete der Name noch „Verschönerungs- und Kurverein Auerbach“. Und weiter ging es steil nach oben in Richtung des Krisslberges. Vereinzelt blitzen Sonnenstrahlen zwischen den Bäumen hindurch, der Anblick von oben entschädigte für alle Anstrengungen. Es ergab sich ein beeindruckender Anblick auf das Auerbacher Schloss. Beim Krisslberg handele es sich um das „obere Baugebiet“.
1917 hatte Auerbach, damals noch als Gemeinde, einen eigenen Baugebietsplan aufgestellt. Dieser konnte dann erst nach dem Krieg erschlossen werden. „Einige wenigen haben die Gelegenheit genutzt und hier gebaut.“ Stühling wusste diesbezüglich von einer berühmten Persönlichkeit zu berichten, die sich auf dem Berg verewigt hatte. Der Name Fritz Novotny dürfte nicht nur vielen Auerbachern ein Begriff sein. Er sei ein „weltumspannender Spitzenarchitekt“ gewesen, würdigte Stühling und erinnerte daran, dass auch das Auerbacher Bürgerhaus aus seinen Federn stammte.
Die Route führte an der Gabelung, wo sich rechts der Friedhof befindet, links den oberen Emmertalweg entlang. Die letzten Höhenmeter waren dann auch alsbald erreicht und auch hier sorgte das Panorama dafür, dass einige ihre Fotokamera bemühten. Der obere Emmertalweg ist jedoch nicht nur Zeugnis für den prägenden Beitrag des Weinbaus für die hiesige Kulturlandschaft, er ist auch zu einem gewissen Stück Symbol für den zehrenden Bürokratismus. Dies hänge mit der Flurbereinigung zusammen, wie Karl-Hein Weigold, Geschäftsführer des Vereins, erläuterte. Das Verfahren geht ins 28. Jahr und ist immer noch nicht vollends abgeschlossen. „Die älteren Winzer haben 1990 eine Initiative angestoßen. Sie wollten eine Neuordnung und eine optimierte Erschließung des Weinbaugebietes.“
Nachdem es einige Jahre dauerte, bis die Initiative Fahrt aufnahm und die Stadt und der Magistrat von dem Verfahren überzeugt waren, wurde im Jahr 1997 der Beschluss gefasst. Sechs weitere Jahre dauerte die Planung an, im Dezember 2003 gab es grünes Licht. Dennoch wurde der Plan bis 2022 noch drei Mal optimiert. In der Zwischenzeit sind im Gebiet elf landschaftsgestaltende Anlagen entstanden, 100 Obstbäume wurden gepflanzt. Die Sicherung der 340 Meter langen Löschsteilwand kostete 260.000 Euro und zählte zu den teuersten Erschließungsmaßnahmen. Ein Vorteil der Flurbereinigung sei die „erhebliche öffentliche Förderung“, die zum Zeitpunkt des damaligen Verfahrensbeginns bei 75 Prozent gelegen und sich aus „Mitteln von EU, Bund und Land“ zusammengesetzt habe, so Weigold. Nun sei die „Neuordnung vollständig, die Neubestockung weitgehend abgeschlossen“. Im nächsten Jahr soll das Verfahren schlussfestgestellt werden.
Nach dem Abstieg über die Wolfsschanze, unter anderem vorbei am Denkmal des Scheffel-Platzes, erreichte die Gruppe an der Darmstädter Straße ihr Ziel. Nächstes Jahr im April geht es mit den Themenrundgängen weiter.
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