Parktheater

Woche junger Schauspieler: Festival mit kultureller Strahlkraft

Die 29. Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler ist eröffnet. Zu sehen gibt es diesmal bis zum 25. März vier Ensemblestücke und ein Solo.

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Thomas Tritsch
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Bürgermeisterin Christine Klein eröffnete am Dienstagabend im Eysoldt-Foyer die diesjährige Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler. © Thomas Neu

Bensheim. Das Theater könne mit seinen spezifischen Mitteln zu einer offenen und vielgestaltigen Gesellschaft beitragen, sagte der Präsident der Akademie der Darstellenden Künste zur Eröffnung des 29. Bensheimer Theaterfestivals. Hans-Jürgen Drescher betonte den gesellschaftlichen Auftrag der Bühnenkunst gerade in Zeiten des Wandels und der Krisen. Die junge Generation spiele dabei eine besondere Rolle: Sie personifiziere nicht nur das Theater von Morgen, sondern sei auch aufgefordert, neue Erzählformen und Methoden zu finden, die dazu beitragen, dass sich der Mensch mit der komplexen Gegenwart auseinandersetze.

Die 29. Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler ist eröffnet. Das Interesse an der Auftaktveranstaltung im Gertrud-Eysoldt-Foyer des Parktheaters war beachtlich. Vor dem ersten Gastspiel des Theaters Altenburg Gera hat die Jury im Dialog mit Regisseuren und Dramaturgen das diesjährige Programm vorgestellt.

Kleist und Büchner, Sex und Kartoffeln

Am heutigen Donnerstag (7.) geht das Festival mit einem Soloabend in die zweite Runde: Jonas Dumke zeigt mit „ach!“ ein Kleist-Porträt der besonderen Art. Basierend auf Briefen des Autors nimmt der Schauspieler den Besucher mit auf seine persönliche Reise zu Heinrich von Kleist. Eine Hommage an seine Sprache, sein Leben und seinen Tod, die ursprünglich an der Hochschule der Künste in Bern produziert wurde. Auf der Bühne nur ein Mensch, ein Text und ein Lichtspot. „Ich war von der Musikalität der Sprache begeistert“, so Dumke, der in Bensheim per Videoschalte dabei war.

Die Auseinandersetzung mit Kleist sei auch deshalb spannend ausgefallen, weil der Schriftsteller zum Zeitpunkt seiner größten Schaffensperiode im gleichen Alter war wie Dumke heute. Die Rastlosigkeit und Unzufriedenheit sowie die Suche nach dem Lebenssinn der Generation Z (die Jahrgänge zwischen 1997 und 2012) zeige Parallelen zum Leben der innerlich zerrissenen Kleist, der mit 34 Jahren starb.

Am 12. März gastiert das Theater Magdeburg mit dem Stück „Sex & Kartoffeln“. Regisseurin Anna Kristina Linke und ihr Team haben über 100 Leute gefragt, woran sie jeweils bei Sex und bei Kartoffeln denken. Darauf basierend wurde ein Theaterabend gebaut, der weder belehrend noch steif oder bemüht krachig daherkomme, so Linke. Man habe versucht, das Thema Sex sensibel auszuleuchten und die Aussagen der Befragten nichts ins Lächerliche zu ziehen. Sie kündigt eine komische Performance mit vier Akteuren an, die sehr persönlich und lebensbejahend fantasievoll sein soll. Während der Aufführung wird auf der Bühne des Parktheaters eine Kartoffelsuppe zubereitet.

„Werwolfkommandos“ heißt die Inszenierung am 19. März. Marie Schwesinger, Julia Just und Fabiola Eidloth haben Gerichtsprozesse gegen rechte Straftäter besucht und protokolliert. Nach Gesprächen mit Juristen, Journalisten und Betroffenen entstand eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Sprache im Gerichtssaal. Der Fokus liegt auf den in Frankfurt verhandelten Prozessen zum Mord am Politiker Walter Lübcke und den Angriff auf den irakischen Flüchtling Ahmed I.

In dem Vierpersonenstück geht es um die Frage, wann gesprochen und wann im Gerichtssaal geschwiegen wird – und darum, wie man auf einer demokratischen Bühne, im Theater wie auf der Straße, rechten Positionen künstlerisch begegnen kann. Aus der reinen Dokumentation entsteht eine intensive und eindringliche Rekonstruktion der Fälle mit betont politischer Note.

Das Finale der WjS am 25. März ist eine Koproduktion vom Schauspiel Essen mit der TuP (Theater und Philharmonie Essen). Regisseur Caner Akdeniz hat sich das todtraurige Dramenfragment von Georg Büchner vorgenommen: „(making) Woyceck“ umkreist die Frage nach der Verantwortung für Gewalt innerhalb einer destruktiven und diskriminierenden Gesellschaft.

Akdeniz sucht in seiner Inszenierung Büchners literarische Aktualität in einer Welt, die sich ihrer Ausgrenzungsmechanismen gerade erst bewusst wird. In Bensheim betonte der Regisseur, er habe eine Reise von der Arbeiterschicht in die Akademikerschicht hinter sich, die Wunden hinterlassen habe. Auf diese Weise gibt er sich der Identifikation mit dem Antihelden des Stücks hin und gönnt seinem Theaterstück eine frische Herangehensweise, ohne sich in den Tiefen des existenzialistischen Stoffes zu verlieren. Die Vorstellung ist bereits ausverkauft. tr

Ein Spielplan, der viele Formate, Handschriften und ästhetische Ansätze bietet. Zu sehen gibt es bis zum 25. März vier Ensemblestücke und ein Solo. Die Jury hatte 65 Einreichungen gesichtet und Inszenierungen für Bensheim ausgewählt, in denen ihrer Meinung nach junge Schauspielerinnen und Schauspieler besonders eindrucksvoll zu erleben sind. Jury-Vorsitzende Dagmar Borrmann, Dramaturgin und Hochschullehrerin, betonte im Parktheater aber auch, dass es in diesem Jahr außergewöhnlich schwierig gewesen sei, eine gute Selektion zu treffen: „Es gibt aktuell deutlich weniger Aufführungen, die sich mit den großen Themen unserer Zeit auseinandersetzen.“

Das Ziel: „Diversität des Theaters abbilden“

Viele Produktionen verharrten innerhalb des unmittelbaren Erfahrungshorizonts ihrer Macher und umkreisten lediglich die individuellen Befindlichkeiten und Wahrnehmungsebenen der Beteiligten. Dies zeuge von einer gewissen Mutlosigkeit. Man könne den Eindruck gewinnen, dass deutsches Theater momentan davor zurückschrecke, das Publikum im Kielwasser der Krisen mit unbequemen Themen zu konfrontieren. Umso glücklicher sei sie, dass es doch gelungen sei, die Szene kritisch zu filtern und bemerkenswerte Inszenierungen zu buchen, von denen mindestens drei den Blick auf die politische Gegenwart schärfen.

„Wir wollen in Bensheim auch die Diversität des Theaters abbilden.“ Dies sei aber nach wie vor schwierig, da die Kunst- und Kulturinstitutionen offenbar keineswegs so offen und barrierefrei sind, wie sie sich nach außen gerne darstellen. Eine Studie aus dem Jahr 2021 hat gezeigt, dass in den Häusern Geschlechterverteilungen und Rollenklischees keineswegs überwunden sind und Diversität in den Spielplänen nur eine Nebenrolle spielt. Menschen aus marginalisierten Bevölkerungsgruppen kommen fast gar nicht vor.

Über den Jury- und Zuschauerpreis

  • Auch in diesem Jahr wird das Festival vom SchulprojektTheaterkritik begleitet. Schülerinnen und Schüler des AKG lernen die Auseinandersetzung mit dem Theater und schreiben Rezensionen, die auf der Webseite des BA und auch im Print veröffentlicht werden. Geleitet wird das Projekt vom Theaterpädagogen Raphael Kassner. Am Ende vergeben die Jugendlichen einen eigenen Jurypreis.
  • Der offizielle Günther-Rühle-Preis für herausragende schauspielerische Leistungen ist mit 3000 Euro dotiert und wird von der Stadt Bensheim gestiftet. Auch das Publikum kann die Stücke bewerten – in diesem Jahr ohne Zettelwirtschaft einfach per Handy und QR-Code. Die Preisträger werden nach der letzten Aufführung am 25. März bei einem Abschlussgespräch der Jury im Eysoldt-Foyer bekannt gegeben.
  • Vor und nach jeder Vorstellung finden im Foyer Einführungs- und Nachgespräche mit Vertretern der jeweiligen Produktion statt. Zuschauer können mit Schauspielern, Regisseuren oder Dramaturgen persönlich ins Gespräch kommen und mehr über Konzepte und Hintergründe der Inszenierung erfahren. tr

In den Schauspielschulen und den Theatern hapere es am notwendigen Diskurs und einem praktischen Veränderungsprozess, kritisierte die ehemalige Professorin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt. Bereits im letzten Jahr hatte sie angekündigt, dass man dem Thema im Sichtungsprozess für das Programm 2024 besondere Aufmerksamkeit schenken werde. „Wir haben einige wenige Produktionen dieser Art gesehen, die aber nicht unseren Vorstellungen entsprachen.“ Am Ende wog der qualitative Anspruch an die Stücke dann doch schwerer als die Quote.

Ein höheres Budget wird für das Bensheimer Theater-Festival benötigt

Längst habe sich das Bensheimer Festival als beliebtes Format und Bühne des künstlerischen Austauschs etabliert. Um diese kulturelle Strahlkraft erhalten zu können, brauche es laut Borrmann aber nicht nur ehrenamtliches Engagement bei der Stadt sowie die fachliche Expertise und wertvollen Kontakte der Akademie, sondern auch – ganz banal – das nötige Kleingeld, um die Reihe dauerhaft am Leben zu erhalten.

Gerade diverse Produktionen seien oftmals aufwändiger und damit auch teurer als andere. Die Jury-Vorsitzende appellierte an die Sponsoren und Förderer der Schauspielwoche, das Budget für die nächsten Jahre aufzustocken. Adressaten waren die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, die Sparkasse Bensheim und das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst.

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Nach Angaben der Veranstalter rangiert der Kostenrahmen bei etwa 5000 bis 6000 Euro pro Gastspiel. Eine Größe, die sich seit vielen Jahren nicht verändert habe und daher angepasst werden müsse, so Borrmann, die seit 2019 der ehrenamtlichen Auswahljury vorsitzt und in diesem Jahr zum letzten Mal dabei ist. Turnusgemäß wird nach dem Festival ein neues Gremium seine Arbeit aufnehmen. Hans-Jürgen Drescher dankte dem Jury-Team, zu dem außerdem der Schauspieler Nicolas Matthews, die Regisseurin und Dramaturgin Antonia Leitgeb sowie der Regisseur und Autor Florian Fischer (Träger des Kurt-Hübner-Regiepreises 2019) gehören. Fischer war beim Auftakt am Dienstagabend aus den USA zugeschaltet.

„Vorhang auf für den Schauspielnachwuchs“, eröffnete Bürgermeisterin Christine Klein das Theaterfestival, in dessen zeitlicher Spannweite am 23. März auch die Verleihung des Eysoldt-Rings eingebunden ist. Der März ist traditionell der Bensheimer Theatermonat. Und die Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler ein Format, das nicht nur für die Stadt, sondern auch für die deutschsprachige Szene besonders wertvoll sei, so Drescher: „Es geht um den Nachwuchs und damit um die Zukunft des Theaters!“

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