Bensheim. Kein einfaches Weinjahr, dieses 2022. Extreme Wetterverhältnisse hinterlassen Spuren, doch an der Hessischen Bergstraße gab es ein glückliches Ende. Ein langer, heißer Sommer mit viel Trockenheit war das herausragende Merkmal des Jahrgangs.
Doch bei der Lese im Herbst brachten die regionalen Winzer ein überwiegend gesundes, sehr fruchtaromatisches Traubenmaterial in die Keller. Die Niederschläge zum Ende der Saison waren logistisch anspruchsvoll, haben den Trauben aber in vielen Weinbergen geholfen, weiter auszureifen und etwas Volumen zu gewinnen.
Wer Näheres über das Weinjahr, über Rebsorten und Lagen wissen wollte, der war beim Bergsträßer Weintreff genau richtig. Die Veranstaltung des Bensheimer Verkehrsvereins und den hiesigen Weingütern ist nach wie vor die beste Gelegenheit, die Hessische Bergstraße in konzentrierter Form zu verkosten und mit Erzeugern ins Gespräch zu kommen.
Am Samstag brachten 19 Betriebe insgesamt mehr als 170 Weine und Sekte mit. Als Gast war diesmal das Weingut Künstler aus Hochheim am Main (Rheingau) mit dabei. Der Termin ist traditionell der Auftakt zum Bergsträßer Weinfrühling 2023, der bis Ende Mai andauert und zahlreiche Veranstaltungen rund um Wein, Kulinarik, Kultur und Landschaft bündelt.
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Königinnen und Prinzessinnen
Auf allzu lange Begrüßungsreden wurde zum Startschuss verzichtet. Bürgermeisterin Christine Klein hieß Vertreter aus der regionalen und kommunalen Politik sowie aus Wirtschaft und Gesellschaft willkommen. Auch die Fraa vun Bensem Doris Walter sowie Repräsentantinnen des Weines waren vertreten. Neben der Bergsträßer Gebietsweinkönigin Stefanie Kippenhan waren Weinköniginnen und Prinzessinnen aus Schriesheim, Hemsbach, Lützelsachsen und Groß-Umstadt gekommen. Flankiert wurden die Kronenträgerinnen von der Bensheimer Blütenkönigin Gina Steinbrenner und der Auerbacher Kerwekönigin Marilena Meyer.
Unter den weiteren Gästen waren auch der ehemalige Stadtrat Adil Oyan, seit Oktober Erster Kreisbeigeordneter in Groß-Gerau, und Regierungspräsidentin Brigitte Lindscheid, die sich zuallererst an die Sektfront begab und bei Griesel & Compagnie mit einem Bergsträßer Überflieger Bekanntschaft machte. Der 2015 gegründete reine Sekt-Betrieb hat es in wenigen Jahren an die deutsche Spitze geschafft. Kellermeisterin Rachele Crosara hatte eine noch junge Auswahl der Tradition-Linie mitgebracht. Auch der „Von Wiesen“-Obstwein-Kollektion stand eine Coproduktion mit dem Pfälzischen Weingut Seckinger aus Niederkirchen zum Verkosten bereit.
Das „Bruder-Weingut“ Schloss Schönberg – ebenfalls im Besitz der Unternehmerfamilie Streit – war unter anderem mit dem neuen, leicht schäumenden Perlwein Ancestral in rosé vertreten. In einer ähnlichen Liga spielt der PetNat (Pétillant naturel: „natürlich perlend“) vom Heppenheimer Betrieb Amthor: Bei diesem spontan vergorenen, oft ungefilterten und „wilden“ Schaumwein wird der noch gärende Traubenmost mit Restzucker in Flaschen gefüllt. Dort gärt er weiter, die Kohlensäure bindet sich im Wein.
Regionaler Vorreiter
Barbara und Patrick Amthor bewirtschaften mittlerweile vier Hektar Rebfläche und gehören ebenso wie Weinbau Koob (ebenfalls Heppenheim) zu den jungen, sehr kreativen Weinmachern des Anbaugebiets, die auch Mut zu halbtrockenen Weinen oder – bei Amthor – Cuvées zeigen.
Apropos: Einer der regionalen Vorreiter in diesem Genre heißt Hanno Rothweiler. Seine „Gewinngemeinschaft No. 7“ ist eine trockene Collage aus Rotem und Weißem Riesling, die im Bürgerhaus auf viel Interesse stieß. Der Auerbacher Winzer hatte mit einem Cabernet Blanc und dem Weißherbst „Blush“ aus Shiraz zwei weitere Tropfen aus dem 2022er Jahrgang parat. Rothweilers Bande nach Zwingenberg sind eng: Das Weingut Simon-Bürkle hatte eine große Auswahl mitgebracht, darunter auch den Vorzeige-Riesling Diorit und einen feinherben Silvaner. Die Rebsorte befindet sich an der Hessischen Bergstraße auf einem quantitativen Sinkflug – umso schöner, diese kernig-rassigen und oft würzig-krautigen Weißweine bei dem ein oder anderen Betrieb doch noch zu entdecken.
Weingut als Auslaufmodell
Auch Johannes Bürklers Kellermeister Jan Faber hat die Sorte in seiner eigenen „Weinfieber“-Linie etabliert. Ebenso wie Sebastian und Michael Jäger, die neben dem eigenen Haus auch das Weingut der Stadt Bensheim betreiben – allerdings als Auslaufmodell: Künftig werden alle Weine des auf 18 Hektar gewachsenen Betriebs unter dem Label Jäger vermarktet. Damit dürfte die Kollektion nicht nur übersichtlicher, sondern auch stilistisch noch klarer werden. Auf positive Resonanzen stieß unter anderen ein Chardonnay-Weißburgunder, der erstmals 2021 komponiert wurde.
Traditionsbetriebe wie die Bergsträßer Winzer eG und Mohr in Bensheim waren ebenso vertreten wie klassische Familienweingüter, die erfolgreich mitten in einem Generationswechsel stehen. Etwa Freiberger aus Heppenheim, wo Charlotte Freiberger-Rabold die Zukunft verkörpert, oder das kleine Weingut von Volker Dingeldey. Auf knapp zwei Hektar produziert der Winzer im Gronauer Tal alle Jahre wieder beständig gute Qualitäten.
Tochter Eva ist nach ihrer Ausbildung bereits voll eingestiegen und präsentierte am Samstag unter anderen einen Riesling mit dem Kürzel „HdZ“: das bedeutet „Hinter den Zäunen“ und verweist auf einen Weinberg direkt hinter dem Familien-Anwesen. Fast 50 Jahre alte Reben wurden selektioniert und spontan im Holzfass vergoren. Der Hemsberg-Riesling „Fritz“ ist ein süffiger, nach dem Großvater benannter Schoppenwein.
Der gelernte Koch und Sommelier Jannik Jährling hat 2021 das Weingut Feligreno in Zwingenberg übernommen. Nach mehreren gastronomischen Stationen kam der gebürtige Darmstädter ins älteste Bergstraßenstädtchen. Über den Kontakt zu Gerold Hartmann vom ersten bio-zertifizierten Weingut an der Bergstraße absolvierte er 2020 ein Praktikum.
Ziel des 2001 gegründeten Betriebs ist nach wie vor eine möglichst schonende und naturnahe Nutzung der Flächen in der Lage „Alte Burg“, um ökologisch wertvolle Böden zu erhalten. Aber auch in Auerbach und Seeheim wachsen die Trauben für diesen Fünf-Hektar-Betrieb, der ausschließlich auf trockene Weine setzt und auch Sekte und Perlweine im Sortiment hat. Wie übrigens fast alle Weingüter. Falls dies dem Griesel-Erfolg geschuldet sein sollte, wäre dies ausschließlich positiv zu bewerten, wie ein Weinfreund im Bürgerhaus kommentierte.
Als kleines Anbaugebiet mit sehr begrenzter Mange müsse die Hessische Bergstraße zusammenstehen, um nach außen Identität und Selbstbewusstsein zu zeigen, so der Lorscher weiter, der sich über die „Odenwälder Weininsel“ (Edling, Vinum Autmundis, Lohnmühle, Umstädter Weinbauverein), die Hessischen Staatsweingüter und das noch junge Weingut Kühnert in Alsbach-Hähnlein Richtung Rheingau herankostete.
Vertriebschef Gregor Breuer präsentierte in Bensheim eine feine Auswahl der Künstler-Weine. Ein klassisches Riesling-Weingut mit über 370 Jahren Tradition und gut 50 Hektar Rebfläche in Spitzenlagen in Rüdesheim, Hochheim und Assmannshausen.
Die „Weiße vom Rhein“
Aufmerksamkeit erregte ein Wein aus der Rebsorte Alvarinho. Man denkt an Portugal und Spanien, doch übersetzt heißt er die „Weiße von Rhein“. Tatsächlich ging man lange Zeit davon aus, dass die Sorte aus Deutschland oder dem Elsass kam. Doch Pustekuchen: DNA-Analysen haben bewiesen, dass Alvarinho weder mit dem Riesling identisch noch unmittelbar verwandt ist. Er kommt auch nicht vom Rhein, sondern aus dem spanischen Vinho-Verde-Gebiet.
Trotzdem ist die Rheingauer Interpretation ebenso spannend wie Künstlers knochentrockener Grüner Veltliner. Eine Hommage an die österreichischen Wurzeln von Franz Künstler, der den Betrieb 1965 gegründet hat. Heute leiten Monika und Gunter Künstler das Weingut, das im Bürgerhaus von Beginn auf großes Interesse stieß.
Mit dem zweiten Weintreff nach der Corona-Pause und digitalen Ersatzformaten ist der Bergsträßer Klassiker endlich wieder auf der Schiene.
Eine wichtige Mini-Messe für die Betriebe, und eine wunderbare Orientierungsmöglichkeit für Weinfreunde, sich über aktuelle Entwicklungen in der regionalen Szene ein eigenes Bild zu machen.
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