Bensheim. Die verfügbaren Standplätze waren auch in diesem Jahr innerhalb kürzester Zeit vergeben: Der Weihnachtsflohmarkt in der Weststadthalle mobilisierte am Samstag aber nicht nur zahlreiche Anbieter, die ihre Waren präsentiert haben – auch der Besucherstrom blieb von 8 bis etwa 14 Uhr nahezu konstant hoch. Der Eintritt war frei, das Feilbieten von Neuware und die Präsenz gewerblicher Händler waren wie immer ausgeschlossen.
Im Bürgerraum der Weststadthalle sorgt die Fußballabteilung der TSV Rot-Weiß Auerbach während der kompletten Zeit für eine Bewirtung mit Kaffee und Kuchen, belegten Brötchen und Würstchen.
Ein Blick ins Werk „Vegetarisch kochen“ offenbarte, dass sich das kreative Spektrum fleischloser Kost in den vergangenen 30 Jahren durchaus zum Positiven verändert hat. Einst ließ man lediglich die tierischen Bestandteile eines Tellergerichts weg, was uninspirierte und öde Alternativen zur Folge hatte, die bestenfalls in der Hardcore-Fraktion zusammengekocht wurden. Mit der feinen vegetarischen und veganen Küche von heute hatten die eher lieblosen Kompositionen wenig zu schaffen. Mit einer Einspannhalterung für Laubsägeblätter, die unweit des Kochbuchs ausharrte, hätte man sicher mehr Freude gehabt.
Der Reiz des Betagten weckt Erinnerungen an die Kindheit
Das vielfältige Angebot war erneut einer der Magneten des Flohmarkts, der von überdurchschnittlich viel Kleidung und Spielwaren dominiert wurde. Gerade in Herbst und Winter sind Hallenflohmärkte gegenüber den Freiluftvarianten die beliebtere Alternative – allein durch die beachtliche Wucht von textilen Waren, die dort angeboten werden. Von Tennissocken in Originalverpackung über Umstands- und Arbeitskleidung bis zu Hüten und Schuhen reicht die Palette.
Die Insider kamen bereits pünktlich zur Eröffnung. Deren Augenmerk lag weniger auf alten Pumps denn auf nostalgischen Schallplatten, antiken Kleinmöbeln, seltener Malerei und rarer Literatur. Das Gros der Bensheimer Flohmarktbesucher fokussierte zwangsläufig die Vergangenheit. Der Reiz des Betagten fasziniert die Menschen schon immer, die Zeitzeugen ihrer Biografie erinnern sie an ein mehr oder weniger nebulöses Damals oder wecken einfach nur schöne Gedanken an Kindheit oder Jugend.
Auch das Feilschen und Verhandeln gehören zum Flohmarkt dazu
Neben Musik eignet sich dazu vor allem Spielzeug: bewegliche Plastikfigürchen und streichholzschachtelkleine Modellautos, kunterbunte Steckbausteine sowie technische Kreativbausätze und Chemiekästen für die naturwissenschaftlich interessierte Zielgruppe. Die Kleopatra von Playmobil lag da wie eine alterslose Plastik-Mumie im gläsernen Zellophan-Sarg. Und es braucht lediglich ein wenig Fantasie, um die Ägypterin mit der hübschen Nase mit dem Bauarbeiterset aus den 80er Jahren – mit Betonmischer und Bierkasten – in einen szenisch-spielerischen Kontext zu bringen.
Zur kollektiven Nostalgie mischt sich bei solchen Zusammenkünften eine besondere Art der Aufbruchstimmung, weil man sich von Dingen aus vergangenen Lebensabschnitten der persönlichen Biografie trennt. Dann ist man froh, wenn das wertgeschätzte Teil einen neuen Besitzer findet, dem man in die Augen schauen kann und der es ebenfalls zu schätzen weiß.
Damit bilden Flohmärkte die Bühne für eine gesellschaftliche Umverteilung. Und die Gebrauchtwaren-Kultur ist ungebrochen vital. Zum sozialen Gruppenerlebnis dazu gehört aber auch das allseits beliebte Feilschen um den Preis. Anmerkungen wie „Verhandlungsbasis“ werden lieber gelesen wie „alles gratis“. Auch unflexible Fixpreis-Fanatiker klauen einer solchen Veranstaltung viel von ihrer natürlichen Schönheit. „Mir macht es Spaß, zu verhandeln“, so eine Teilnehmerin, die sich auf Kinder- und Jugendbekleidung spezialisiert hat. Vier Kinder sind aus dem Haus, sagt sie, doch ihre Rumpfkluft sei noch da und gut.
Ein vielseitiges Angebot wurde auf dem Flohmarkt präsentiert
Es macht im Übrigen Spaß, die individuelle Auslage mit den Menschen hinter dem Tisch in einen Zusammenhang zu bringen. Stapel der Musikzeitschrift „Rock Hard“ und ein Streichholzetui mit Totenkopf und „St. Pauli“-Label harmonieren recht stimmig mit dem Herrn auf der anderen Seite des Tresens. In anderen Fällen ist die Zuordnung von Musikstil und Charakter weniger schlüssig, und genau dies sind die Momente, bei denen ein Gespräch lohnt. Wie kommt man als betagter Herr zu kiloweise Lustigen Taschenbüchern von Disney? „Die Enkel!“ kommt es als Antwort. Hätte man sich ja denken können. Und auch die Annahme, dass junge Damen keine schweren Bohrmaschinen verkaufen würden, entpuppt sich als dummes Vorurteil. Ein Flohmarkt kann auch ein Korrektiv sein. Ein kurzweiliges Flanieren ist er ohnehin. In der Weststadthalle saßen viele sympathische Menschen auf ihren Kollektionen, lächelten freundlich und fragten schon nach Sekunden, ob sie womöglich behilflich sein könnten.
Besucher konnten entspannt in Schallplattensammlungen oder CD-Schubern blättern, sich in bunter Belletristik verlieren oder ins Reich der Wohnaccessoires begeben: Dekoartikel, Vorhänge und Tischmöbel gesellten sich zu mehr oder weniger gelungenen Designobjekten und funktionalen Küchenhelfern aus der Entdeckungsphase der häuslichen Kulinarik. Retro-Mixer, nostalgische Messersets und unelektrische Zerkleinerungsgeräte lösten spontane Erinnerungen an die Kindheit aus. Auch die Nachbarschaft vermeintlich widersprüchlicher Objekte besitzt einen amüsanten Aspekt, wenn etwa zarte Liebeslyrik neben einem gewaltorientierten PC-Spiel seinen Platz findet.
Es herrscht eine positive Abschiedsstimmung
Wer über einen Flohmarkt schlendert, der erwartet Rares, Altes oder subjektiv Kostbares – oder wenigstens Skurriles und faszinierend Hässliches. In der Weststadthalle gab es alles. Es herrschte eine positive Abschiedsstimmung, die auf eine (hoffentlich) gewinnbringende Art gemildert wurde. Wer keinen Erfolg hatte, der packte seine Sachen eben wieder ein und wartet auf den Bensheimer Frühlingsflohmarkt an gleicher Stelle. Der erste Basar im neuen Jahr. Und die erste Gelegenheit, sich diskret unbeliebter Weihnachtsgeschenken zu entledigen.
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