Scholl-Forum

Volker Bouffier im Gespräch mit Schülern an der Bensheimer GSS

Der ehemalige hessische Ministerpräsident Volker Bouffier war zu Gast an der Bensheimer Geschwister-Scholl-Schule. Er sieht die Demokratie vor großen Herausforderungen.

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Volker Bouffier an der GSS in Bensheim. © Ernst Lotz

Bensheim. Über ein Jahrzehnt gab er in der CDU den Ton an: Volker Bouffier. Von 2010 bis 2022 stellvertretender Unions-Chef und Ministerpräsident, Motor der ersten schwarz-grünen Koalition in Hessen. Vom „schwarzen Sheriff“ als Innenminister zum Patriarchen seiner Partei aufgestiegen. Geachtet vom politischen Gegner und gefürchtet auch im eigenen Lager. Jetzt ist er im Ruhestand und äußert sich kaum noch zur aktuellen Politik. In Bensheim hat er eine Ausnahme gemacht: beim 9. Scholl-Forum der Geschwister-Scholl-Schule hat sich der 71-Jährige gestern über aktuelle Herausforderungen für die Demokratie im Kontext von globalen Krisen und Kriegen geäußert.

Locker und sprachlich versiert

Das Forum der Schule war voll besetzt, als sich das politische Schwergewicht nach einem kurzen Impulsvortrag dem Talk mit Schülern aus der Politikwerkstatt in der Q1-Phase stellte. Max Vetter, Sophia Schmitt, Leo Gebauer und Liv Fischer hatten fundierte Fragen vorbereitet - von der Krise der etablierten Parteien über den Zulauf der AfD und das Risikopotenzial digitaler Kommunikationsformen bis zur deutschen Haltung gegenüber dem Krieg in Israel reichte das Spektrum der Themen. Schulleiter Thomas Stricker begrüßte den Gast in Bensheim, wo sich der erfahrene Berufspolitiker locker bis hemdsärmelig gab, gleichzeitig gedankenscharf und sprachlich versiert wie eh und je.

Von Ruhestand habe er eineinhalb Jahre nach seiner freiwilligen Amtsübergabe an seinen Nachfolger und Parteifreund Boris Rhein noch nichts gespürt. Er genieße es aber, den Tag nicht um halb acht mit Polizeischutz und eng getaktetem Terminkalender beginnen zu müssen und irgendwann spätabends oder nachts wieder abgeliefert zu werden. Noch immer habe er viele Ämter, von denen er jetzt einige loswerden wolle, so Bouffier, der sich besorgt über die aktuelle politische Lage in Deutschland und der Welt äußerte. Mit Blick auf Berlin sagte er, dass sich die bundespolitische Dynamik und der Streit um elementare Themen wie die Asylpolitik maßgeblich auf das Ergebnis der hessischen Landtagswahlen ausgewirkt hätten.

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Vor fast vier Wochen hatte sich die CDU als stärkste Kraft behauptet, während Grüne und SPD erhebliche Verluste von um die fünf Prozentpunkte schlucken mussten. Die AfD kam auf 18,4 Prozent der Stimmen. Für Bouffier kam dies kaum überraschend. Zum einen sei die politische Binnenlandschaft heute so breitgefächert, dass dicke Mehrheiten wie zu Zeiten seines Karrierestarts in den 70er Jahren nicht mehr denkbar seien. 1972 lag die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl bei 91 Prozent. Heute werde die Statistik von Nicht- und sogenannten Protestwählern beeinflusst. In diesem Kontext betonte Bouffier, dass man in Deutschland nach wie vor eine große Hilflosigkeit bezüglich der AfD zeige: Man müsse sich mit dieser Partei inhaltlich auseinandersetzen und ihre politisch-programmatische Argumentationsschwäche offenlegen (etwa im Zuge der Europawahl 2024), anstatt die Menschen immer wieder moralisch zu behelligen, was sie zu denken und zu wählen hätten.

„Fernsehbelehrungen sind nicht hilfreich!“ Man müsse anerkennen, dass die AfD entgegen früherer Prognosen weder ein Ost-Phänomen noch eine Zeiterscheinung sei, sondern eine politische Größe, mit der man sich noch einige Jahre werde auseinandersetzen müssen. Dass sie in Teilen verfassungswidrig agiere, interessiere deren Wähler in der Regel kaum. „Der bisherige Umgang mit der AfD ist gescheitert!“ Hätte die Bundesregierung schon vor Jahren eine klare Linie und mehr Entschlossenheit beim Thema Zuwanderung gezeigt, wäre die Partei seiner Meinung nach erst gar nicht so erfolgreich geworden. Die Migrationspolitik müsse strenger werden. Der Versuch, die AfD auszugrenzen, habe dazu geführt, dass sie letztlich immer stärker geworden sei.

Gemein machen will er sich mit ihr nach wie vor nicht. „Wer sich rassistisch äußert, der steht nicht an meiner Seite.“ Man müsse das Kalkül der AfD und die rechten Melodien, die sie singt, klar und offen benennen. Eine Koalition sowohl mit dem rechten wie auch mit dem linken Parteienrand, wo demokratische Grundwerte teils in Frage gestellt würden, habe er stets abgelehnt. Auch mit der Trotzkistin Janine Wissler (Die Linke) wäre für ihn keine Zusammenarbeit möglich.

Ein Dialog auf Augenhöhe

Den Schulterschluss mit den Grünen ab 2013 nach einigen Jahren Schwarz-Gelb kommentiert der damalige Kabinettschef Volker Bouffier rückblickend als richtig und epochal bezüglich aller parteipolitischen Konstellationen in deutschen Bundesländern jenseits der klassischen Farbenlehre. Die schon damals kriselnde SPD sei kein adäquater Partner gewesen, während man mit den Grünen, mit denen man sich in Hessen lange gefetzt hatte, einen vertrauensvollen Dialog auf Augenhöhe begonnen habe. Man habe sich auch gestritten. Aber man habe sich nie in Interviews über den anderen beklagt. Das schaffe Vertrauen auch bei den Wählern. „Wir haben von den Grünen einiges gelernt, die aber auch viel von uns“, so Bouffier, der beim Scholl-Forum vor zahlreichen Zuhörern zunächst einen Panoramablick auf die Welt des Jahres 2023 vorausgeschickt hatte.

Mit Verweis auf die anwesenden Schüler, alle maximal 20 Jahre jung, erinnerte er an das Jahr 2003, als sich viele Staaten der Erde demokratisch entwickelt hatten. Die alten Blöcke waren längst zerfallen, Deutschland wiedervereinigt und Europa auf Wachstumskurs nach Osten. Friedenssicherung und internationale Annäherung waren die zentralen Themen - und niemand habe sich damals perspektivisch vorstellen können, dass zwanzig Jahre später ein Angriffskrieg in Europa wüten könnte, so Bouffier, der als hessischer Innenminister in der parlamentarischen Versammlung der Nato saß und 2001 dabei war, als Russlands Präsident Putin im Bundestag von einer gemeinsamen europäischen Entwicklung gesprochen hatte. „Er hat uns getäuscht“, so Bouffier heute. Putin träume von alter Größe, das Aus der alten Sowjetunion hatte er wiederholt als „größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts“ bezeichnet.

Der Krieg in der Ukraine sei für ihn die Fortsetzung eines nicht enden wollenden Kulturkampfs zwischen West und Ost. Mit der Besetzung der Krim und Annexion der Süd- und Ostukraine habe er schon vor Jahren gezeigt, wohin sein Kurs gehen würde. Putins Angriff ist für Volker Bouffier ein Kriegsverbrechen mit weitreichenden Folgen - auch in Bezug auf die Flüchtlingswelle aus der Ukraine. Bereits im April 2022 waren über 10 000 Menschen aus dem Kriegsgebiet in Hessen aufgenommen worden.

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