Goethe-Gymnasium

Videolyrik AG des Bensheimer Goethe mit erstklassiger Gala

In der Kreativwerkstatt der Videolyrik AG am Goethe-Gymnasium werden Texte mit viel Aufwand in bewegte Bilder übersetzt.

Von 
Thomas Tritsch
Lesedauer: 
Die Videolyrik AG des Goethe-Gymnasiums hatte am Freitag zu einer Gala in die ausverkaufte Mensa der Schule eingeladen. Dort präsentierten die Schülerinnen und Schüler die gesammelten Werke der vergangenen Jahre. © Thomas Neu

Bensheim. Als literarische Gattung hat die Lyrik keinen leichten Stand. Einzelne Worte mit hunderten Gedanken. Subjektive Gefühle, Assoziationen und Stimmungen in Reim, Rhythmus und melodischem Fluss sind nicht jedermanns Sache. Doch Gedichte müssen nicht langweilig oder spröde sein.

In der Kreativwerkstatt der Videolyrik AG am Goethe-Gymnasium werden Texte mit viel Aufwand in bewegte Bilder übersetzt. Mal ironisch, geistreich und satirisch, mal poetisch leise oder absurd. Oder einfach nur albern, schräg und durchgeknallt.

Angebot seit 2006

Seit 2006 gibt es das Angebot unter der Leitung von Torsten Weis. Und regelmäßig werden die gesammelten Werke aus den vorangegangenen Schuljahren in einer Gala präsentiert. Die zuletzt geplante Show musste wegen der Pandemie ausfallen. Am Freitag wurden daher Arbeiten aus zwei Gruppen seit 2018 vorgeführt. Flankiert von ganz neuen Videos und eingerahmt von einem szenischen Rahmenprogramm samt Quiz auf der Bühne in der ausverkauften Mensa des Goethe, wo auch der Meister selbst „zu Wort“ kam.

Das Gedicht „Seefahrt“ aus dem Jahr 1776 gehört auch inhaltlich in die Epoche Sturm und Drang, denn das lyrische Ich, das hier die Ferne bereist, muss sich darin auch mit frechen Wechselwinden meteorologischer Natur auseinandersetzen. Doch mit Gottvertrauen und der Aussicht auf die lieben Daheimgebliebenen im Hafen schlägt sich der Matrose wacker durch die Wellen – in maritimer Kulisse beinahe cineastisch inszeniert vom Team 2020 der Videolyrik AG.

Die Mitwirkenden Team 2018/2020: Leo Winnemöl ler, Johanna ...

Die Mitwirkenden Team 2018/2020: Leo Winnemöl ler, Johanna Meister, Dustin Kampa, Rosa Lachnit, Lars Klüse ner, Tobias Haydu, Julian Kraus, Mathis Ströhlein, Isaac Afeworki, Nina Oeter, Julian Tschierschwitz, Alex Raab, Robin Mäncher, Juri

Wie dieser Clip waren nahezu alle filmischen Miniaturen leidenschaftlich gespielt, sauber vertont und mit viel Mühe geschnitten. Für die ästhetische Umsetzung der Texte gab es langen Beifall des Publikums, das sich früh die begehrten Tickets für diesen kurzweiligen wie überraschenden Abend gesichert hatte.

Doch nicht nur Klassiker wie Goethe, Heine oder Morgenstern waren vertreten: Auch Werke weniger bekannter Autoren wurden verfilmt. Die längste und vielleicht auch aufwendigste Produktion des Abends war eine dramaturgisch eindrucksvolle Adaption eines Textes von Poetry Slammer Lars Ruppel, der sich seinen ganz eigenen Reim auf Redensarten macht. Zum Beispiel auf den lieben „Herr Gesangsverein“.

Ein poetisch-anarchisch gebautes und verspielt versreiches Häppchen Verbal-Literatur als (tödlicher) Angriff auf die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte – Gema – als schnelle Szenenfolge mit viel Witz und darstellerischer Intensität.

Neben anderen Schauplätzen kam auch die Bergstraße in den Videos vor. Heinrich Heines Poem vom Jüngling und dem Mädchen wurden in den Bensheimer Stadtpark verlegt, ein Liebespaar blickt vom Auerbacher Schloss in den Sonnenuntergang. Gedreht wurde am Neckarufer und auf dem Kirchberg, im heimischen Wohnzimmer und im Bergsträßer Wald, wo Christian Morgensterns „Werwolf“ an deutscher Grammatik und Semantik leidet, weil sich seine Bezeichnung nicht beugen lässt. Ein Dorfschulmeister zieht ihm didaktisch das Fell über die Ohren.

Ein amüsantes Doppel

Ein amüsantes Doppel war die zweifache Abhandlung von Heinz Erhards paargereimter „Made“. Einmal als blutige Handpuppen-Splatter-Variante, danach als unfassbar lustige Parodie auf die „X-Factor“ Mystery-Reihe aus dem TV – inklusive eines Augenzeugenberichts über das Schicksal der verwitweten Mutterlarve im Schnabel eines Spechts, der den hungrigen Nachwuchs zum Vollwaisen macht, nachdem bereits der Papa vom Blatt auf den Teller einer Ameise gefallen war.

Voller starker Bilder und Emotionen waren auch die Miniaturen zu Rilkes „Herbsttag“, Fontanes „Silvesternacht“ und der Text „Sehnsucht“ der ghanaisch-deutschen Dichterin May Ayim, der visuell auf die Corona-Situation zugeschnitten wurde: „Gefrorene Kristalle geliebter Erinnerungen … spiegeln mir dein entferntes Gesicht als einen Schatten auf mein Herz.“

In Zeiten von Isolation und Quarantäne erhalten die Zeilen eine neue Qualität, die von den jungen Filmemachern in eine bildstarke, szenisch komponierte Kurzgeschichte übersetzt und variiert wurden. Im zweiten Teil wurden unter anderen Videos zu Texten von Hilde Domin und Erich Fried präsentiert.

Auch die Dramaturgie der durchdacht konzipierten Programmfolge erzeugte einen schönen Spannungsbogen, der die Zuschauer bis zum Finale bei Laune gehalten hat. Moderiert und mit Spielszenen angereichert wurde die Veranstaltung vom jüngeren Team der Projektgruppe, das im vergangenen Jahr begonnen hatte.

Von der Ideensammlung über die Drehbuchkonzeption und den Aufnahmen bis zum Videoschnitt und der Nachvertonung dauert es übrigens rund drei Monate. Viel Zeit und Aufwand für ein vermeintlich ödes Genre, das durch die kreative Arbeit der Video AG am Goethe womöglich ein paar neue Freunde gefunden hat.

Freier Autor

Copyright © 2025 Bergsträßer Anzeiger

  • Winzerfest Bensheim