Bensheim. Einen literarisch-musikalischen Nachmittag erlebten am Sonntag zahlreiche Besucherinnen und Besucher in der ehemaligen Synagoge in der Bachgasse. Der Synagogenverein Auerbach hatte im Rahmen des Kultursommers Südhessen zu einer Lesung mit Musik eingeladen. Die kleine Synagoge war dem Andrang kaum gewachsen: Schon deutlich vor Beginn um 15 Uhr waren sämtliche Plätze belegt, einige Gäste mussten mit Stehplätzen vorliebnehmen oder der Veranstaltung von draußen durch geöffnete Türen lauschen. Sie wurden nicht enttäuscht: Unterhaltsam und beschwingt war die Lesung, aber dennoch auch eine Annäherung an die bedrückenden aktuellen Lebensbedingungen im Nahen Osten.
Auf dem Programm standen Geschichten des israelischen Schriftstellers Etgar Keret, gelesen von dem Schauspieler Robert Levin, begleitet von drei Mitgliedern der Klezmer-Band „Cladatje“ aus Ottersberg nahe Bremen. Gemeinsam gestalteten sie ein unterhaltsames, tiefgründiges und zugleich leichtfüßiges Programm zwischen Lebensfreude, Nachdenklichkeit und jüdischem Humor.
Korinna Beringer begrüßte im Namen des Synagogenvereins die zahlreichen Gäste und verwies auf ein besonderes Ziel der Veranstaltung: Gesammelt werden sollten Spenden für die Überlebenden des am 7. Oktober 2023 von Hamas-Terroristen verwüsteten Kibbuz Be‘eri in Israel, der nur vier Kilometer entfernt von der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen liegt. Wie in den benachbarten Kibbuzim im Wüstengebiet des Negev lebten dort viele Israelis, die zum Friedenslager des Landes gehörten und aktiv für Zusammenarbeit mit den Palästinensern eintraten. Am Vorabend des 7. Oktober 2023 hatte er 1.200 Einwohner. Die Bewohnerin Vivian Silver war Gründerin der arabisch-israelischen Friedensinitiative „Women Wage Peace“. Sie und ihre Mitstreiterin Orit Sabirski wurden bei dem Überfall von Hamas-Terroristen ermordet. Insgesamt starben an diesem Tag im Kibbuz Be‘eri 100 Menschen, 31 Einwohner wurden in den Gazastreifen entführt. Zum Teil wurden sie später freigelassen, zwei wurden tot aufgefunden und sechs Menschen werden nach wie vor von der Hamas festgehalten oder sind tot.
Solidarität mit der Demokratiebewegung Israels
Die Klezmer-Musiker und der Sprecher Robert Levin sammelten mit ihrem Auftritt für den Wiederaufbau des Kibbuz Be‘eri. Weil in deutschen Medien wenig davon zu sehen und zu hören ist, möchte der Auerbacher Synagogenverein mit dieser Veranstaltung darauf aufmerksam machen, wie wichtig Solidarität mit der Demokratiebewegung Israels ist. Eine Spende für den Wiederaufbau sei ein Zeichen des Friedens, erklärte Korinna Beringer. Vor allem in Tel Aviv gehen fast jeden Samstag Menschen seit nunmehr drei Jahren zu Zehntausenden auf die Straße, um für die Demokratie, für Versöhnung und gegen Krieg zu demonstrieren.
Etgar Keret (*1967 in Tel Aviv) gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller Israels. Seine Kurzgeschichten sind in über 40 Sprachen übersetzt worden. Bekannt wurde er mit seiner ganz eigenen Mischung aus schwarzem Humor, Lakonie und überraschenden Wendungen. In „Die sieben guten Jahre: Mein Leben als Vater und Sohn“ gewährt Keret autobiografische Einblicke – in seine Rolle als junger Vater, in das Leben in einem von politischen Spannungen geprägten Land, in die Geschichte seiner Familie, die zum Teil den Holocaust überlebte, zum Teil nach Israel auswanderte.
Der deutsche Schauspieler Robert Levin brachte diese Geschichten mit großer Präsenz und feinem Gespür für Zwischentöne auf die Bühne. Levin ist hauptberuflicher Radiosprecher, unter anderem beim Deutschlandfunk Kultur und beim Westdeutschen Rundfunk in Köln, arbeitet aber auch für das Fernsehen.
Mit humorvoll trockenem Ton las er etwa „Heldenverehrung“, eine berührende Hommage an den sieben Jahre älteren Bruder des Autors, den dieser mit viel Humor als unerschütterliches Vorbild an Aufrichtigkeit, Mut und einen freien Geist schildert. „Entscheidung auf dem Spielplatz“ war eine ebenso zu Herzen gehende Schilderung der Absurdität, dass sich israelische Eltern schon im Babyalter ihrer Kinder mit der Möglichkeit konfrontiert sehen, dass diese Kinder später beim Militärdienst sterben könnten – und wegen einer unverantwortlich handelnden Landesführung „potenzielle Kriegsverbrecher aufzuziehen“.
Die Lesung wurde kongenial umrahmt von der Klezmer-Band „Cladatje“ mit Clive Ford (Kontrabass, Gesang), Edna Eversmeier (Geige, Gesang) und Kurt Kratzenberg (Gitarre). Ebenso mitreißend wie feinfühlig fügten die Musiker ihre musikalischen Einschübe aus der Tradition der osteuropäischen Juden mal sanft und melancholisch, mal rhythmisch und lebensfroh zwischen die Geschichten - zu einem atmosphärisch dichten Gesamterlebnis.
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