Bensheim. Sollte jemals ein Buch über die Bensheimer Stadtbibliothek verfasst werden, so könnte der passende Titel – angelehnt an Fontane oder Ende – „Irrungen und Wirrungen“ oder „Die unendliche Geschichte“ lauten. Stets kommen neue Kapitel hinzu. Und wenngleich die Handlung durchaus von komödiantischen Passagen durchzogen ist, im großen und ganzen handelt es sich um ein Drama. Ob an dessen Ende die Katastrophe oder die Lösung aller Konflikte steht, ist bisher unklar.
Die Stadtbibliothek Bensheim – einst eine Institution für Bildung und Begegnung – ist zu einem Symbol für organisatorisches Chaos geworden. Jüngst hat die Stadtverordnetenversammlung entschieden, den Mietvertrag für den Übergangsstandort Schwanheimer Straße 151 doch wieder zu kippen. Wie der Ausstieg aus dem Mietvertrag gelingen kann, wird derzeit noch überprüft. Stattdessen soll die Bibliothek vollständig in die Alte Gerberei ziehen, die allerdings schnell an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen wird.
In der Sitzungsrunde im Oktober hatten Grüne und FWG noch vorgeschlagen, die Bibliothek zurück in den Neumarkt zu bringen. Der Eigentümer – nicht gerade bekannt für seine Zuverlässigkeit – hat dort nicht nur regelmäßig die Kappung der Energiezufuhr hingenommen, sondern auch die erheblichen Mängel im Bibliotheksgebäude nicht beseitigt. Dennoch gab es Optimisten, die seiner Zusicherung, sich der Mängel zeitnah annehmen zu wollen, Glauben schenkten. Nicht allerdings, ohne vertragliche Pflichten festzulegen. Der Vorschlag wurde mehrheitlich abgelehnt. Mittlerweile wurde der Mietvertrag im Neumarkt gekündigt, er läuft im August kommenden Jahres aus.
Geradezu begeister war die Koalition von ihrem Vorstoß, den Übergangsstandort Schwanheimer Straße 151, an dem ein Großteil der Medien und die Mitarbeitenden der Einrichtung über – mindestens – fünf Jahre untergebracht werden sollten, aufzugeben. Grund: Die hohen Kosten für die Herrichtung, deren Ausmaß die Vorstellungen der Stadtverordneten weit überschritten hätten. Während die Befürworter ihre „kleine aber feine“ Lösung feiern, sehen die Gegner die Existenz der Stadtbibliothek dadurch weiter gefährdet – jeder weitere Tag, an dem die Institution geschlossen hat, tut dabei sein Übriges.
Neuer Standort soll im Sommer 2025 eröffnen
Die Alte Gerberei als neues Zuhause der Bibliothek: Ein Ort, der durchaus Charme hat, aber auch erhebliche Einschränkungen mit sich bringt. Mit Platz für nur 10 000 der 37 000 Medien wird ein Großteil des Bestands in Depots verschwinden. Barrierefreiheit? Fehlanzeige. Für die Unterbringung des Personals gibt es bisher keine konkreten Pläne, wahrscheinlich müssen hierfür Räume angemietet werden. Denn das Untergeschoss der Gerberei ist weder für die Herstellung von Arbeitsplätzen noch für die Lagerung von Medien geeignet. Das bekamen die Stadtverordneten bei einem Termin vor Ort noch einmal bestätigt. Auch was mit denn überschüssigen Büchern passieren soll, ist noch nicht abschließend geklärt.
Die einen sehen die Alte Gerberei als alleinigen Übergangsstandort als pragmatische Lösung, die der Stadt langfristig Geld spart. Die anderen befürchten hingegen, dass die Stadtbibliothek damit an Bedeutung verliert. Ein reduzierter Bestand, fehlender Raum für Veranstaltungen und erschwerte Zugänglichkeit könnten langfristig dazu führen, dass die Bibliothek ihre Funktion als kultureller Mittelpunkt einbüßt.
Im Sommer soll die Bibliothek in der Alten Gerberei neu eröffnet werden. Ein Bücherflohmarkt am 14. Dezember bot Interessierten bereits einen Einblick in die Räumlichkeiten. Die Debatte um die Stadtbibliothek Bensheim verdeutlicht die Herausforderungen, mit denen kommunale Einrichtungen in einer Zeit finanzieller und struktureller Zwänge konfrontiert sind. Die kommende Entwicklung bleibt ein Balanceakt zwischen pragmatischen Lösungen und den Ansprüchen an eine moderne Bibliothek.
Damit die Bürger weiterhin Zugang zu Büchern haben, wurde eine „Pop-up-Bibliothek“ im Parktheater eingerichtet – mit gerade einmal 250 Medien. Das Angebot mag eine nette Geste sein, wirkt aber im Vergleich zum vollen Bestand der Bibliothek eher wie ein Tropfen auf den heißen Stein.
Die Geschichte der Stadtbibliothek ist noch nicht zu Ende geschrieben. Die Stadtverordnetenversammlung hat sich für einen Weg entschieden, der Kompromisse verlangt – von der Verwaltung, dem Team der Stadtbibliothek und vor allem von den Bürgerinnen und Bürgern. Ob die Bibliothek in der Alten Gerberei zu einem neuen kulturellen Anker wird oder zu einer verstaubten Randnotiz verkommt, wird die Zeit zeigen. Bis dahin bleibt den Bensheimern nur, zu hoffen, dass dieser Umzug tatsächlich eine solide Grundlage für die Zukunft schafft.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-stadtbibliothek-standort-geschichte-_arid,2271149.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim.html