Bensheim. Europas am schnellsten wachsendes Start-up im Bereich Wasseraufbereitung kommt aus Bensheim. Im jährlichen Ranking „FT 1000: Europe’s Fastest Growing Companies“ der Financial Times belegt Aqon Pure den ersten Platz.
Im Gesamtranking über alle Branchen hinweg belegen die Gründer Konstantin und Maximilian Wilk Rang 220 von 1000. Die Liste wird gemeinsam mit der deutschen Online-Plattform Statista veröffentlicht und basiert auf den durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten im Zeitraum von 2019 bis 2022.
Wasserenthärtung ohne umwelt-schädliches Salz
Dominiert wird das Ranking von IT- und Softwareunternehmen. Umso bemerkenswerter ist das Abschneiden von Aqon Pure, das 2018 an den Markt ging und sich auf die Enthärtung von kalkhaltigem Wasser spezialisiert hat. Die Brüder haben ein System entwickelt, das den Kalk im Wasser kristallisiert, ohne die Trinkwasserqualität zu beeinflussen. Das Gerät wird unkompliziert in die Hauptwasserleitung integriert und kommt im Gegensatz zu anderen Lösungen ohne umweltschädliches Salz aus. Damit gelangt weder Natrium ins Trinkwasser noch Chlorid ins Abwasser. Zudem soll ein höherer Energieverbrauch aufgrund verstärkter Kalkablagerungen verhindert werden.
Dass es in Deutschland rund 19 Millionen Wohngebäude gibt und davon zirka 40 Prozent in einer Region mit hartem Wasser liegen, öffnet dem jungen Familien-Start-up direkt vor der Haustür einen Milliardenmarkt. Vom internationalen Markt ganz zu schweigen. Aktuell dehnen die Bensheimer ihr Netzwerk auf weitere europäische Länder aus. In Österreich und in der Schweiz hat man bereits einen Fuß in der Tür. Bis zum Jahr 2030 will die Firma eine Million Gebäude mit ihrer Anlage ausgerüstet und damit in diesem Segment einen neuen Standard etabliert haben.
Der Bedarf ist groß. Auch in der Region Bergstraße sind viele Städte und Gemeinden ziemlich verkalkt, darunter auch Bensheim. Hier rangiert man mit 19 Grad deutscher Härte (dH) im tiefroten Bereich und deutlich über dem bundesweiten Durchschnitt. Das führt zu verstärkten Ablagerungen in Boilern, Ventilen und Rohrleitungen.
Auf der FT-Liste findet sich kein einziges weiteres Unternehmen, das sich auf die Wasseraufbereitung fokussiert hat, so Maximilian Wilk, der das Ranking mit großem Interesse – und einer Prise Stolz – zur Kenntnis genommen hat. Zudem spiegelt die Position unter den Top 250 das rasante Wachstum der Bensheimer, die ihr Business auf dem Geschäft ihres Vaters Marian Wilk aufgebaut haben, der sich bereits seit 2003 mit der Aqon Water Solutions GmbH auf eine nachhaltige Wasseraufbereitung ohne Chemie für industrielle Prozesse spezialisiert hat.
Als Maximilian Wilk 2016 für einen deutschen Konzern im Silicon Valley seine Master-Thesis schrieb, ist er zufällig auf ein Gesetz gestoßen, das vom kalifornischen Gouverneur Arnold Schwarzenegger 2006 unterzeichnet worden war. Im „water softener ban“ ging es um das teilweise Verbot von privaten Wasserenthärtungsanlagen mit Salz, um das Wasser von Chlorid zu entlasten. Zuhause in Deutschland hat er mit seinem Bruder und dem im Familienunternehmen gespeicherten Insiderwissen über Wassertechnologien das Start-up befeuert.
Und das ohne Venture Kapital. Das Unternehmen finanziert sich allein aus eigenen Einnahmen. Der Verzicht auf Fremdinvestitionen ermöglicht dem kleinen Branchenstarter flexible Entscheidungsprozesse und schnelle Reaktionen auf das Marktgeschehen. „Wir agieren ohne Druck von außen“, so Maximilian Wilk, der diese Entscheidung bis heute als maßgeblichen Grund für den schnellen Erfolg in einer eher als träge geltenden Sanitär-Heizung-Klima-Branche (SHK) bewertet.
Solide aufgestellt und keine Lieferprobleme
Nach zwei Jahren intensiver Netzwerkarbeit mit Branchenpartnern wie Installateuren ging es ab 2020 mit den ersten Millionenumsätzen deutlich aufwärts. Seit 2022 kaufen immer mehr Handwerker das System, um es eins zu eins an ihre Kunden vor Ort weiterzugeben. Damit hat sich Aqon Pure einen weiteren Umsatzzweig erschlossen, der noch eine Menge Potenzial verspricht.
Mit einem Investor im Rücken wäre die Biografie des Unternehmens wohl etwas anders verlaufen: weniger selbstbestimmt und weniger souverän, aber vielleicht noch umsatzstärker. Für die Brüder kein Problem: Während sich Solar-Start-ups wie Enpal dreistellige Millionenbeträge als neues Investorenkapital sichern, bleibt Aqon als weiterentwickeltes Familienunternehmen seiner Philosophie treu. „Wir sind solide aufgestellt, waren früh profitabel und haben keine Lieferprobleme.“
Hinzu komme ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit gegenüber Installateuren und Handwerkern, die selbst oft aus dem klassischen Mittelstand stammen und viel Wert auf stabile Liquiditätspolster und eine hohe Eigenkapitalquote legen. Die wissen laut Wilk zu schätzen, wenn es einer aus eigener Kraft nach oben geschafft hat.
Mittlerweile gehen bei dem mehrfach ausgezeichneten Unternehmen (Nominierung für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis, Hessischer Gründerpreis 2021) beinahe täglich zahlreiche Anfragen ein.
Die Anzahl der Installationspartner hat sich von zehn zum Marktstart auf über 400 erhöht. Lag der Umsatz im ersten Geschäftsjahr 2018 noch bei rund 50.000 Euro, erzielte das Unternehmen 2021 bereits sechs und 2022 zehn Millionen Euro. Im siebten Geschäftsjahr hat sich Aqon stabil am Markt positioniert.
Die Kapazitäten am Standort im Bensheimer Stubenwald sind groß genug, um eine weitere Expansion abfedern zu können, so der Wirtschaftsingenieur. Aktuell zählt das Start-up 22 Mitarbeiter. In Zusammenarbeit mit einem Darmstädter Fachunternehmen prüft man derzeit die Wasserhärten im europäischen Ausland, um attraktive Märkte für das System abzuklopfen und weitere Strukturen für Installation und Vertrieb zu entwickeln.
Der rasante Ausbau Netzwerks ist das eigentliche Kapital der Firmengründer, deren Blick sich nun erneut Richtung Kalifornien richtet: Denn jüngst hat auch der Global Director des USC Schwarzenegger Institute an der University of Southern California, Conyers Davis, vom Erfolg der deutschen Brüder erfahren – und dem Gesetz, durch das ihr Businessplan inspiriert worden war. Man sei stolz, dass Schwarzeneggers einstige Politik langfristig dazu geführt hat, dass Wohngebäude ökologischer und nachhaltiger werden. Ende April steigt Maximilian Wilks ins Flugzeug, um sich dort einmal persönlich vorzustellen.
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