Bensheim. Die Partei hat alles miterlebt: von wegbrechenden Mehrheiten über das lange Ausharren auf der Oppositionsbank bis zur sogenannten Deutschland-Koalition, in der CDU, SPD und FDP nach der Kommunalwahl 2021 erstmals zusammengefunden haben. Nach 50 Jahren hatte es die Bensheimer SPD wieder in die Stadtregierung geschafft. Und auch die amtierende Bürgermeisterin hat ein rotes Parteibuch.
Heinz-Jürgen Schocke und Norbert Bauer, langjährige Galionsfiguren des Ortsvereins, haben die Biografie der lokalen SPD maßgeblich mitgeprägt - und miterlebt. Schocke unter anderem als Vorsitzender, Bauer als Fraktionschef. In die Bensheimer Stadtverordnetenversammlung zog er erstmals 1972 ein, kurz nach seinem Eintritt in die Partei. Er gehörte dem Gremium mit einer Unterbrechung 25 Jahre lang an. Der langjährige Kreistagsvorsitzende Schocke kam 1968 zur SPD, ein Jahr nachdem er aus Darmstadt nach Bensheim gezogen war. Beide sind Träger der Willy-Brandt-Medaille und berichteten jetzt im Medienhaus über die letzten Jahrzehnte ihrer Partei in der Bensheimer Stadtpolitik. Flankiert von der jungen Generation mit der weiblichen Vorstandsspitze Julia Hamm und Josefine Koebe. Gemeinsam habe man lange und intensiv im Stadtarchiv gestöbert, um zum Jubiläum ein paar historische Knabbereien zu servieren. Dabei fand man heraus, dass zum ersten Vorstand, der 1908 wiedergewählt wurde, neben Lorenz Metz als Vorsitzendem auch Franz Joseph Ross gehörte, der von 1912 bis 1933 und wieder ab 1945 der Stadtverordnetenversammlung sowie von 1919 bis 1931 dem Hessischen Landtag angehörte.
Bensheim kein klassisches SPD-Pflaster
Der gebürtige Bensheimer war den Nazis ein Dorn im Auge, 1944 wurde er drei Monate ins Konzentrationslager Dachau gesperrt. Die sozialdemokratischen Strömungen, die in der Stadt bereits während der Weimarer Zeit gereift waren, kamen zum Erliegen. Nach der Machtübernahme legten die SPD- Mandatsträger im April 1933 ihre Ämter nieder. Ross wurde ebenso verfolgt wie seine Parteikollegen Georg Lang, Wilhelm Werner oder Theodor Kräge, der 1945 zum Bürgermeister gewählt wurde. Sein Nachfolger war ein Jahr später SPD-Mann Willy Klapproth. Eine markante Persönlichkeit in den 60er und 70er Jahren war auch Heinz Eiff, der von 1964 bis 1972 Stadtverordneter und von 1968 bis 1972 Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung war, wie Norbert Bauer berichtet.
Bensheim war damals nicht gerade ein klassisches SPD-Pflaster. Die Bevölkerung im ehemals Kurmainzer Terrain war von Adel, Beamten und Klerus geprägt - und entsprechend konservativ. Und langsam kehrte die Stadtgesellschaft - zumindest in ihrem Kern - wieder in diese Richtung zurück. „Eine SPD-Mitgliedschaft war Anfang der 70er fast so etwas wie ein Befreiungsakt“, so Heinz-Jürgen Schocke. Das bundespolitische Klima hatte sich ebenfalls verändert: Im Oktober 1969 wurde Willy Brandt zum Kanzler gewählt. Der Regierungswechsel zur sozial-liberalen Koalition markierte nicht nur innenpolitisch eine Wende, sondern strahlte auch in die Kommunen aus. Brandt war einer der elementaren Auslöser, in die Partei einzutreten, betonen beide. „Wir spürten den freiheitlichen Geist, der von der SPD ausging“, so Norbert Bauer.
"Unsere Stadt in guten Händen"
In Bensheim habe eine Aufbruchstimmung anderer Art geherrscht: Die Fußgängerzone entsteht, Parktheater und Hallenbad werden gebaut. „Unsere Stadt in guten Händen“ titelte das Wahlprogramm der SPD im Jahr 1972. Die Zeit der Gebietsreform. Und das Jahr, in dem Georg Stolle für die CDU das Rathaus übernahm. Die SPD verlor ihre komfortable Mehrheit mit der FDP, die politischen Kräfteverhältnisse drehten sich. Bei der Wahl setzte sich Stolle nur knapp gegen seinen sozialdemokratischen Konkurrenten durch, den späteren hessischen Staatsminister Karl Schneider.
Frühere Weggefährten
Heinz-Jürgen Schocke erinnert an frühere Weggefährten wie Ruth Nauheimer, Fred Schulz, Karl Schwinn und den langjährigen Landrat Ekkehard Lommel. Im Landratsamt regierten nach 1945 deutlich mehr Genossen als Unionspolitiker. Darunter Lothar Bergmann, Dietrich Kaßmann und Norbert Hofmann.
In Bensheim gilt Karl Pfeiffer, viele Jahre Erster Stadtrat und Stellvertreter des Bürgermeisters, als eines der prominentesten SPD-Gesichter. 14 Monate lang musste er nach dem Tod von CDU-Rathauschef Kilian das Bürgermeisteramt kommissarisch ausüben. Dann übernahm Stolle.
In Pfeiffers Amtszeit fielen etliche für Bensheim wichtige Maßnahmen, die das Stadtbild wesentlich geprägt haben. Etwa die Innenstadtsanierung, der Bau des Bürgerhauses und des Hauses am Markt sowie die Planung des Berliner Rings und der Bau der Tiefgarage am Beauner Platz. Manche Themen leben heute in veränderter Qualität wieder auf, so Norbert Bauer, der mit Heinz-Jürgen Schocke in einer Kommission an der neuen Satzung des Ortsvereins mitgearbeitet und so der Bensheimer SPD neue Parteistrukturen gegeben hatte. „Das politische Klima war scharf, aber wir konnten die Situation durch eine konstruktive Oppositionspolitik etwas entkrampfen“, so Bauer über die langen Jahre unter Stolle und einer dominanten CDU im Stadtparlament.
Doch die SPD bleibt in dem Gremium auch quantitativ standhaft und gibt bis 1990 keinen Sitz mehr ab. Bis dahin war Bauer Fraktionschef, danach drei Jahre Vorsitzender. Nach 50 Jahren ununterbrochener Mandatsausübung war der ehrenamtliche Stadtrat 2021 in den kommunalpolitischen Ruhestand getreten.
Wechselhafte Biografie
Er erinnert sich: In den 80er Jahren gab es im Ortsverein eine lebhafte Diskussion darüber, ob und in welcher Form man mit der CDU zusammenarbeiten könnte. Keine zehn Jahre später nagte der sogenannte Bauamtsskandal auch an der alten Dominanz der Union, die fortan auf wechselnde Koalitionspartner gesetzt hat. Seit Mitte der 80er Jahre war auch die Grüne Liste (GLB) ein potenzieller Partner der etablierten Parteien auf dem politischen Parkett erschienen.
In den vergangenen 20 Jahren habe die SPD Bensheim dann weiter erfolgreich an ihrem kommunalpolitischen Profil gearbeitet, so Bauer, der wie Schocke lange als Schulleiter tätig war. Aber auch regulatorische Neuerungen hätten die politische Bühne deutlich verändert. Zum Beispiel die Einführung des Kumulierens und Panaschierens in Hessen, was den Wählern mehr Einflussmöglichkeiten gibt.
In der aktuellen Koalition bewege man sich auf Augenhöhe mit den Partnern, so Bauer. Trotz der wechselhaften Biografie des Ortsvereins sei die Bensheimer SPD eine Programmpartei mit klaren Grundsätzen geblieben.
Stabile Werte, die neue Perspektiven schadlos aushalten können, ist Josefine Koebe überzeugt. Sie gilt wie Julia Hamm als frisches Gesicht der Partei, die mit Empathie und Bürgernähe politische Zusammenhänge lebensnaher und greifbarer kommunizieren und zum Mitgestalten einladen will.
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