Parktheater

Solo für einen Weltbürger aus Sizilien

Der italienische Liedermacher Pippo Pollina begeistert das Publikum mit gefühlvollen Balladen und seinem Kampf für Frieden und Gerechtigkeit

Von 
Marvin Zubrod
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Der italienische Liedermacher und Entertainer Pippo Pollina präsentierte im Bensheimer Parktheater sein Programm „Solo in Concerto“ mit alten und neuen Liedern sowie vielen Geschichten aus dem Leben des Weltbürgers. © Thomas Zelinger

Bensheim. „Solo in Concerto“ heißt das neue Programm, mit dem Pippo Pollina am Dienstagabend im Parktheater auftrat. Für den italienischen Liedermacher ist es die erste Solo-Tour seit vielen Jahren – und vielleicht eine der kreativsten.

Erst vor wenigen Monaten ist sein neues Album „Nell’Attimo erschienen, das es – ganz im Sinne des Traditionalisten – auch als CD und LP zu erwerben gibt.

Der Kampf gegen die Mafia prägte sein Leben

Auf die großen Songs wie „Camminando“, „Mare, mare, mare“ und „A mani basse“ müssen die Fans an diesem Konzertabend trotzdem nicht verzichten. Alte und neue Lieder, virtuelle Duette an der Leinwand sowie italienische Strophen, teils garniert mit deutschen Wörtern, schildern die Geschichte des Weltbürgers, der zwei Jahre durch Europa reiste und sich dabei als Straßenmusiker über Wasser hielt.

„Ich mag die Freiheit zu improvisieren“, erzählt Pollina dem Publikum. Für den 60-Jährigen einer der Gründe, wieso er sich dazu entschied, in diesem Jahr ohne Band auf der Bühne zu stehen. Bereits vor dreißig Jahren trat der aus Palermo stammende Künstler in Bensheim auf. Einige seiner treuen Fans waren damals schon dabei, wie den Rufen aus dem Publikum zu entnehmen ist, als Pollina über seine Anfänge spricht.

Ein Entertainer ist der Sizilianer allemal. Die Geschichte über seine Kindheit, der Kampf gegen die Mafia während des Studiums, der anschließende Fortzug aus Italien sowie der unverhoffte musikalische Erfolg im Ausland sind berührend und unterhaltsam zugleich. Nur vorgezeichnet war dieser Weg nicht.

Erst im Alter von 15 Jahren bekam Pollina von seinem Großvater eine Gitarre geschenkt. Bereits wenige Monate später hatte der damals 16-Jährige seine erste Band gegründet: Agricantus. „Volksmusik ist in Sizilien anders als in Deutschland. Sie ist politisch“, erklärt er. Inspirationen holten sich die Jugendlichen von der sozialistischen Gruppe Inti-Illimani. Die Musiker aus Chile befanden sich während des Militärputsches am 11. September 1973 nicht in ihrem Heimatland, sondern waren auf Tournee in Italien. Dort blieben sie notgedrungen bis Ende der Achtziger und prägten so den jungen Pippo Pollina, der sich in seinem künstlerischen Schaffen den Bauern in Sizilien widmete.

„Es war damals ein anderes Italien“, sagt der Sänger über den Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit. Die Arbeiterlieder fanden auch hinter den Landesgrenzen Gehör und so erhielt Agricantus eine Einladung aus der DDR. Mit dem sowjetischen Sozialismus konnte Pollina nicht viel anfangen. Dennoch ergriffen die Künstler diese Chance und reisten 1984 als einzige westliche Band zu einem Musikfestival in die DDR. Dort gab der wortgewandte Gitarrist der Tagesschau ein Interview, das jedoch zu „95 Prozent gekürzt wurde“, wie sich Pollina darüber, allerdings nicht ganz ernst gemeint, in seinem italienischen Charme echauffiert.

„Es lohnt sich, an seine Träume zu glauben“

Überhaupt blickt der 60-Jährige mit den Zuschauern während des rund zweistündigen Konzerts mehrfach auf seine früheren Stationen zurück. Von seinem Entdecker, dem Schweizer Linard Bardill, über Konstantin Wecker bis zu Werner Schmidbauer und Martin Kälberer, mit denen er das bayrisch-italienische Album „Süden“ produzierte, entführt Pollina das Publikum auf eine ganz persönliche Reise.

In der Pause und nach dem Konzert nimmt er sich Zeit für seine Anhänger, führt Gespräche, erfüllt Foto- sowie Autogrammwünsche und wartet so lange, bis der letzte Fan glücklich nach Hause geht. Das zeichnet Pollina aus – und er bleibt sich treu. Ob gefühlvolle Balladen am Klavier, rockige Akzente an der Gitarre oder individualistische Töne mit dem Tamburin (sizilianische Trommel): Musikalisch bringt der Cantautore sein ganzes Repertoire hervor.

Von seiner politischen Überzeugung ist Pippo in all den Jahren nicht abgewichen. In Bensheim hielt der Sizilianer ein Plädoyer für den Frieden. „Heutzutage sollte jeder Künstler mindestens ein Lied gegen den Krieg spielen“, betont Pollina, der sich gegen weitere Aufrüstung ausspricht. Zwar würde ihm dafür häufig Realitätsverlust unterstellt werden, aber: „Utopien sind wichtig. Sie malen uns eine mögliche Zukunft“, sagt er. Wer sich vor 150 Jahren für das Frauenwahlrecht einsetzte, sei ausgelacht worden. Einige Jahrzehnte später war es Realität. Und auch wenn es in seiner Wahlheimat Schweiz bis 1971 dauerte: „Es lohnt sich, an Träume zu glauben.“

Die Welt hat sich verändert – und vieles sei nicht mehr greifbar, sagt er. Als Pollina in den achtziger Jahren sein Studium begann, wollte er Anwalt werden und die Mafia bekämpfen. Er war sogar publizistisch tätig, doch wegen der unsicheren Lage verließ er Italien. Trotzdem ist Pollina seiner Heimat bis heute verbunden geblieben. Zudem konnte der Kampf gegen die Cosa Nostra, die sizilianische Mafia, in der jüngeren Vergangenheit Erfolge erzielen, aber vorüber ist er nicht.

Letztes Jahr wurde der jahrzehntelang gesuchte Mafioso Matteo Messina Denaro festgenommen. Auf den ersten Blick ein Erfolg für die italienischen Sicherheitsbehörden. Aber der Strippenzieher vieler Morde war zu diesem Zeitpunkt bereits unheilbar an Krebs erkrankt. Er habe gefunden werden wollen, sagt Pollina im Gespräch nach dem Konzert.

Für den Wahl-Züricher, der den Schweizer Dialekt zur Freude des Publikums bestens imitiert, könnte es dennoch bald zurück in die Heimat gehen. Zumindest für einige Monate. Er könne sich gut vorstellen, zukünftig die Hälfte des Jahres in Palermo zu verbringen, sagt Pollina.

Den größten Wunsch hat sich der Sizilianer bereits 2017 erfüllt. Damals trat er das erste Mal im Opernhaus seiner Heimatstadt, dem „Teatro Massimo“, auf. „Als Kind bin ich immer daran vorbeigelaufen und hatte den Traum, eines Tages dort zu spielen“, erzählt er.

Dass es trotz des Erfolges so lange dauerte, lag an den hausinternen Regeln. Denn normalerweise werden dort nur Opern aufgeführt. „Ich musste viel Überzeugungsarbeit leisten“, sagt Pollina, der seine persönliche Utopie nie aufgab. Es lohnt sich also immer noch, an Träume zu glauben.

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