Bensheim. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) entwickeln Bensheimer Schüler eine Software, die Vogelstimmen erkennen soll. Zwei Tage lang haben sich jetzt acht versierte Tüftler bei der Firma Speedikon getroffen, um tierische Audiosignale so umzuwandeln, dass sie von der Maschine analysiert werden können. Ein ambitioniertes Hightech-Projekt, das in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Talente organisiert wurde und junge Menschen zum kreativen Forschen anregen soll.
Viel Motivation war nicht nötig, um die Schüler – allesamt Jungs im Alter von 15 bis 17 Jahren – für das Thema zu begeistern. Sie haben sich nach einer Ausschreibung des Workshops gezielt beworben und in den Räumen der Software-Spezialisten am Berliner Ring getroffen.
Dort wartete nicht nur neuste IT-Technologie, sondern auch geballtes menschliches Know-how: Markus Heuck, Leiter Forschung und Entwicklung, und Patrick Lehaire haben den „Hackathon“ (eine Wortschöpfung aus „Hack“ und „Marathon“) organisiert und begleitet. „Die Schüler bringen sehr gute Vorkenntnisse mit“, so Heuck, der sich als Experte für Computerlinguistik interdisziplinär mit den Bereichen Informatik, Mathematik, Sprache und Philosophie beschäftigt.
An der Schnittstelle zwischen Mensch und Computer werden für gewöhnlich menschliche Sprachsysteme von Rechnern verarbeitet. Diesmal sind es Vögel: Amsel, Drossel, Buchfink und Star nur an deren Stimmen zu erkennen, das fällt selbst manchem Ornithologen nicht immer leicht. Eine schnelle Erfassung der Vogel-Vielfalt in einem bestimmten Lebensraum ist deshalb ein bislang mühsames Unterfangen. Ein KI-System könnte dabei helfen, in dem es spezifische Muster aus der Natur zuordnet und erkennt.
Die große Herausforderung für die Schüler ist der Weg zum Ziel. Die einen haben sich dafür entschieden, die Signale in Bilder, sogenannte Spektrogramme, zu konvertieren, um die Frequenzen so klassifizieren zu können. Ein anderes Team hat die Töne in Zahlen „übersetzt“, um besonderen Merkmalen auf die Spur zu kommen. In jedem Fall war der Workshop ergebnisoffen angelegt.
„Als Softwareentwickler wollen wir in diesem Fall keine Musterlösung anbieten, sondern dazu motivieren, ein Problem kreativ anzugehen“, so Firmengründer Peter Merkel. Anlässlich seines Geburtstags wollte er in diesem Jahr keine Spenden nach draußen überweisen, sondern klugen Köpfen eine Plattform zum Forschen bieten.
Das Netzwerk Talente, das junge Menschen gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft, Bildung und Forschung in den MINT-Disziplinen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) fördert, hatte die nötigen Kontakte in die Bergsträßer Bildungslandschaft beigesteuert. Das Unternehmen spendierte Mitarbeiter, Räume, Technik und Verpflegung. Denn Denken macht hungrig.
„Wir gehen sokratisch vor“, so Markus Heuck über die Methode des wissenschaftlichen Diskurses. Dabei wird zunächst ein Untersuchungsprojekt definiert und abgegrenzt, bevor die Teilnehmer durch geschickt platzierte Fragen und Behauptungen selbst auf den Pfad der (neuen) Erkenntnis geführt werden. Die Jugendlichen hat diese Herangehensweise beflügelt – so wurde der Forschungseifer auch nach Rückschlägen und Blockaden bei Laune gehalten.
Anspruchsvoller Spaß
Kai Grübener (17) vom Goethe-Gymnasium will nach dem Abitur Informatik studieren. „Das Erfassen und Dekodieren der Audiodateien macht Spaß, ist aber auch sehr anspruchsvoll“, so der Schüler. Er hofft, dass die Forschungsarbeit fortgesetzt wird. Doch damit das Programm irgendwann die Stimmen erkennt, muss die Software zunächst mit entsprechenden Aufnahmen gefüttert und müssen die Daten minutiös ausgewertet werden. Allerdings sei die Verarbeitung von Audio-Rohdaten aufgrund der Länge der Signale schwierig zu bewältigen. Es müsse daher eine Repräsentation gefunden werden, die den Input vereinfacht. Sozusagen visuelle Zwitscher-Fragmente statt tonaler Melodien.
Wenn ein solches KI-System funktionieren sollte, ließen sich nicht nur Arten bestimmen, so Markus Heuck, sondern auch zählen, da jedes Tier eine spezifische Frequenz an den Tag lege. Für Ornithologen eine enorme Vereinfachung. Für die Schüler eine tierische Herausforderung.
Projekt benötigt eine enorme Rechenzeit
„Die Vogelstimmen sind nur ein Aufhänger“, so Speedikon-Chef Peter Merkel. Prinzipiell könnte jede Künstliche Intelligenz mit einem beliebigen „Futter“ gespeist werden, um als lernendes System charakteristische Muster erfassen und zuordnen zu können.
Weil für das Projekt eine enorme Rechenzeit nötig ist, hat Speedikon den Schülern eine Cloud zur Verfügung gestellt.
Im Einplatinen-Computer Raspberry PI konnten die Forscher ihre Arbeit mit nach Hause nehmen und dort weiter arbeiten. „Wir wollen junge Menschen an diese Technologien heranführen“, so Merkel weiter.
Künstliche Intelligenz (KI), betont Merkel, sei in unzähligen Geräten und Anwendungen vorhanden, nur sei dies den meisten Menschen nicht bewusst.
Die Förderung der MINT-Fächer müsse weiter forciert werden, ist er überzeugt. Deutschland sei auf geistige Ressourcen angewiesen, so der Firmengründer, der hofft, den ein oder anderen Teilnehmer aus dem Workshop irgendwann wieder im Unternehmen begrüßen zu können.
Entweder im Rahmen einer Fortsetzung des Projekts, als Praktikant oder späterer Mitarbeiter. „Gute Informatiker sind heute schwer zu finden.“ tr
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