Parktheater - Das Neue Globe Theater aus Potsdam führte den Klassiker „Die Räuber“ als entstaubte Version auf

Schillers Räuberbande im 68er-Look

Von 
Eva Bambach
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Das Neue Globe Theater führte den Klassiker „Die Räuber“ von Schiller im Bensheimer Parktheater auf. © Neu

Bensheim. Das Verdienst des Neuen Globe Theaters ist es, Klassiker entstaubt und frisch ganz nah zum Zuschauer zu bringen. Am Dienstagabend war die Truppe aus Potsdam wieder im Parktheater zu Gast – inzwischen schon zum sechsten Mal. Diesmal auf dem Programm: „Die Räuber“ von Friedrich Schiller. Es wurde ein entspannter und kurzweiliger Theaterabend. Am Ende gab es einen schönen Applaus von knapp 300 Zuschauern, darunter vielen Schülern, für die das Schillersche Drama auf dem Lehrplan steht.

Das Neue Globe Theater, als Schauspieler-Theater 2015 gegründet, hat sich vorgenommen, die Prinzipien von Shakespeares Londoner Globe Theater auf heutige Aufführungen zu übertragen. Gespielt wird auf einer Guckkasten-Bühne und im Kontakt mit dem Publikum. Die Grenze zwischen Zuschauern und Akteuren soll aufgehoben sein, die Schauspieler verschmelzen nicht mit der Bühnenfigur, sondern bleiben als Menschen erlebbar, die dem Zuschauer auf einer Bühne etwas vorspielen.

Sechs Akteure und ein Musiker

Bei einer „Wanderbühne“ darf die Zahl der Schauspieler nicht zu groß sein – die „Räuber“ kommen mit sechs Akteuren und einem Musiker aus, ein Schauspieler verkörpert häufig mehrere Rollen. In Alter und Geschlecht passen die Schauspieler nicht unbedingt genau zur Rolle, so wirkte der Schauspieler des Grafen von Moor (Urs Stämpfli ) jünger als die Kollegen, die seine Söhne verkörperten. Und der provokante und brutale Spiegelberg wird von einer Frau (Rike Joeinig ) gespielt, die auch die Rolle der heimlich Zigarren rauchenden Haushälterin Dani (für die von Schiller vorgesehene Figur des Dieners Daniel) übernimmt.

Die gesamte Aufführung war von Spielbegeisterung und Einfallsreichtum geprägt, stärker noch als zu Beginn vielleicht im Teil nach der Pause. Der Text war mit Respekt, doch ohne übertriebene Ehrfurcht, adaptiert worden. Hin und wieder flossen stückfremde heutige Vokabeln ein, wie „Veganer“, „New York, Tokio und Bensheim“ oder „RTL 2“. Dazu gab es auch eigene kleine, zum Rüpelspiel ausgebaute Szeneneinschübe. Dies alles jedoch unverkrampft und viel eher spielerisch, als um eine aktualisierte Botschaft unterzubringen. Die Ausstattung orientierte sich an dem Kontrast zwischen spießigem Heimatmief und 1968er-Protestbewegung: Das Bühnenbild war ausdrücklich hässlich, geprägt von mit Kunstrasen und schlimmem Teppichboden belegten Podesten samt ausgestopftem Fuchs und Fliegenpilz.

Graf Moor kam im Trachtenlook, die Räuberbande dagegen im Stil von Rainer Langhans & Co. Über allem thronte Schlagzeuger Anton Nissl, begleitete das Geschehen mit modernen Rhythmen und Musikkonserven und unterstützte die Handlung mit einem das Vergehen von 18 Jahren symbolisierenden Uhrticken oder Schussgeräuschen – deren letztes, statt des zu erwartenden Knalls beim Selbstmord von Karl Moor, das leise Ping der Triangel war. Und damit war das Stück aus.

Das Stück erregte zur Zeit seiner Uraufführung 1782 am Nationaltheater Mannheim großes Aufsehen wegen seiner unverhohlenen Kritik am Feudalsystem. Das Neue Globe Theater spielte es in universellerer und unpolitischer Sicht als Geschichte von Liebe und Eifersucht, Treue und Verrat, von Helden und Gescheiterten. Der Graf von Moor hat zwei Söhne: Franz hasst seinen älteren Bruder Karl (Kai Frederic Schrickel), der ihm stets bevorzugt wurde. Franz ist neidisch auf das Erbe, auf die Braut Amalia, auf die Liebe des Vaters vor allem.

Durch Intrigen entfremdet er den Vater dem in der Ferne studierenden Karl, der daraufhin zum Räuber wird und in einen Kampf gegen das Establishment zieht, der zu sinnloser Gewalt entgleist. Währenddessen wirft Franz den Vater in ein Verlies und erklärt ihn für tot. Er versucht vergeblich, Karls Braut Amalia (Petra Wolf) zu gewinnen und erhebt als neuer Herr auf Schloss Moor ebenfalls den Terror zum Herrschaftsprinzip. Am Ende kehrt Karl reuig zurück. Er entdeckt den Betrug, erkennt jedoch, dass es kein Zurück mehr gibt. Der allgemeine Zusammenbruch mündet im Tod aller Beteiligten.

Zombies sorgen für Grauen

Das Geschehen auf der Bühne wurde der Drastik der Handlung gerecht. „Das Theater glich einem Irrenhaus, rollende Augen, geballte Fäuste, heisere Aufschreie“ – was in einem Bericht von der Uraufführung auf die Zustände im Zuschauerraum gemünzt war, ließe sich gut auf das große Sterben am Kulminations- und Endpunkt der aktuellen Aufführung übertragen, an dem auch die schon Toten als Zombies weiter für Grauen sorgten.

Doch solchen Momenten nahe der Hysterie setzte Regisseur Andreas Erfurth, der für den erkrankten Sebastian Bischoff als Franz Moor eingesprungen war und die Rolle grandios meisterte, geschickte Brüche entgegen. Die Figur des Kosinskiy etwa, über dessen Charakter man im Original nicht viel erfährt, der aber ein Schicksal ähnlich dem von Karl Moor erlitten hat und sich den Räubern anschließen möchte, wird von Saro Emirze als blonder Weichling zu einer erfrischend komödiantischen Einlage ausgebaut.

Fazit: Ein Stück des Sturm und Drang in der Spielweise des elisabethanischen Theaters? Funktioniert!

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