La Traviata“ auf der Picknickdecke. „Il Trovatore“ im Schatten der Mammutbäume. Und vielleicht ein kühler Riesling zum Schlusschor aus der „Zauberflöte“. Das dritte OpernAir im Fürstenlager war ein atmosphärisches Gesamtkunstwerk aus klassischer Musik und monumentaler Kulisse. Mit rund 1800 Gästen hatte die Großveranstaltung im Auerbacher Staatspark die Erwartungen der Organisatoren am Samstagabend übertroffen. Viele Gäste kamen frühzeitig auf das Konzertareal an der Herrenwiese, um sich bei dieser Freiluft-Gala ein feines Plätzchen für den perfekten Hörgenuss zu sichern.
Auch der Ort selbst ist einer der Hauptakteure dieses „musikalischen Sommervergnügens“, wie es die Veranstalter nennen: Die ehemals ländliche Sommerresidenz des Hauses Hessen-Darmstadt aus dem späten 18. Jahrhundert passt wunderbar zur Blütezeit der Oper, die in dieser Zeit ein zentrales künstlerisches wie gesellschaftliches Ereignis darstellte. Die ausgesuchten Klassik-Perlen harmonierten wunderbar mit der kultur- und kunsthistorischen Aura des Parkensembles, so dass man die lose Konzertreihe in dieser Premium-Location spätestens jetzt als einen der musikalischen Höhepunkte im regionalen Kulturkalender bezeichnen muss. Nicht zuletzt auch deshalb, weil zu diesem Anlass verschiedene Akteure aus der lokalen Kulturszene sehr eng und konstruktiv zusammenarbeiten.
Fast 100 Sängerinnen und Sänger
Beispielhaft und klangvoll verkörpert dies der große Projektchor unter der Leitung von Gregor Knop, der sich anlässlich des ersten OpernAir 2014 (damals im Stadtpark) formiert hatte und vor allem aus Ensemblemitgliedern des Kammerchors Sankt Georg besteht. Hinzu kommen weitere Stimmen aus dem Oratorienchor, dem Konzertchor ars musica und dem Kammerchor Cantemus. Mit knapp einhundert Sängerinnen und Sängern war der hintere Bühnenteil an diesem milden Samstagabend dicht besetzt.
Im Vordergrund bildete das Collegium Musicum Bergstraße mit 50 Musikern unter der Leitung von Kushtrim Gashi eine instrumentale Macht auf der XXL-Bühne vor dem Herrenhaus. Die hoch qualifizierten Laienmusiker bewiesen einmal mehr viel Spielfreude, technische Klasse und eine kultivierte Klangsprache – wobei eine starke, aber dennoch differenzierte und transparente akustische Präsenz bei einem Open-Air-Konzert in einer dermaßen weiten Natur-Arena durchaus eine orchestrale Herausforderung darstellt.
Aber auch der gemischte Chor bewältigte diese Aufgabe erstaunlich mühelos. Regionalkantor Gregor Knop hatte den Klangkörper vom ersten Takt an souverän unter seinem Dirigat: Smetanas Eingangschor aus „Die verkaufte Braut“ („Seht am Baum die Knospen springen“) war ein romantisches Appetithäppchen im Fürstenlager, das kurz nach 20 Uhr noch teilweise von der Sonne ausgestrahlt wurde. Auch die wechselnde Lichtregie des Abends, insbesondere zur Dämmerung während der „blauen Stunde“, hat das Konzerterlebnis für das Publikum in dieser eleganten Umgebung nochmals gesteigert.
Hoch kompetente Moderatorin
Moderiert wurde der Abend von der Bensheimer Sängerin, Schauspielerin und Dirigentin Cosima Seitz, die das Programm in gewohnt charmanter Weise dem Publikum präsentierte: informativ, aber nicht geschwätzig. Leicht, aber nicht oberflächlich. Und hoch kompetent, ohne auch nur annähernd belehrend zu sein. „In der Oper gelten eigene Gesetze“, betonte sie und kündigte zwei Lieder aus Lehárs „Giuditta“ an: ein Zwitterwesen zwischen Oper und Operette. Denn wie bei anderen späteren Werken des Komponisten gibt es auch in dieser musikalischen Komödie kein typisches Happy End, wie das sonst in diesem Unterhaltungsgenre üblich ist. Normalerweise wird in der Operette geliebt bis zum glücklichen Finale, während in der Oper am Schluss grundsätzlich gestorben wird. „In der Operette haben die Protagonisten bessere Chancen, den Abend zu überleben“, so Cosima Seitz vor zwei veritablen Ohrwürmern: „Freunde, das Leben ist lebenswert“, das Auftrittslied des Octavio, sowie Giudittas Bekenntnis im Walzertakt mit dem Titel „Meine Lippen, sie küssen so heiß“.
Als Solisten gastierten Martina Unruh (Sopran), Christopher Jähnig (Bass) und Thomas Heyer (Tenor) in Auerbach, wo das Publikum zunächst drei Werke von Richard Wagner aus „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ erlebte. Thomas Heyer füllte mit seiner Stimme die Herrenwiese bis zum letzten Grashalm aus. Lediglich im mittleren Abschnitt – auf halber Strecke zwischen Bühne und Freundschaftstempel – musste sich die Akustik sukzessive der Landschaft geschlagen geben. Auch Marina Unruh, die regelmäßig Meisterkurse mit Heyer anbietet, bezauberte mit ihrem präzisen, farbigen und transparenten Sopran bei der Arie der Elisabeth aus „Tannhäuser“ („Dich, teure Halle, grüß ich wieder“). Gemeint ist die Halle der Minnesänger in der Wartburg, wo gerade ein Sängerkrieg tobt.
Lockerer, familiärer Rahmen
Im Staatspark ging es indes friedlich weiter Richtung Pause: Christopher Jähnig intonierte die Sarastro-Arie „In diesen heil’gen Hallen“ aus Mozarts „Die Zauberflöte“, wo man eher die Liebe als die Rache predigt und dem Feind gnädig vergibt. Genug positive Stimmung, um das Publikum in eine längere Auszeit zu schicken. Für Erfrischungen in fester und flüssiger Form war an mehreren Ständen gesorgt. Das Team von Sebastian von Engelmann, der auch den Kiosk im Fürstenlager betreibt, hatte alle Hände voll zu tun. Der lockere, familiäre Rahmen der Veranstaltung wurde von vielen Besuchern gelobt. Das Konzept, bekannte Opernmelodien in einem legeren Kontext zu servieren, war einmal mehr erfolgreich und schloss sich fast nahtlos an die Konzerte aus den Jahren 2017 und 2019 an.
Im zweiten Teil setzten sich die Arien, Chöre und Duette dann etwas kürzer getaktet fort – der Fokus aber blieb auf populären Melodien, diesmal vor allem aus italienischer Feder: Puccinis „Tosca“-Arie und der Chor „La Zingarella“ aus „Il Trovatore“ aus Verdis dramatischer Troubadour-Story sorgten für prickelnde Atmosphäre auf den Picknickdecken. Teilweise wurde sogar mitgesungen. Die Ouvertüre von Bizets „Carmen“ führte zunächst allerdings nach Sevilla, bevor der Jägerchor aus Franz Schuberts Schauspiel „Rosamunde“ über die Fürstin von Zypern mit den Zeilen „Wie lebt sich’s so fröhlich im Grünen“ beinahe schon das Motto des Abends definierte.
Nach dem Duett und Chor aus „La Traviata“ wurden alle Mitwirkenden auf der Bühne stürmisch gefeiert. Als Zugabe servierten Chor und Orchester noch den Gefangenenchor („Va, pensiero“) aus „Nabucco“ – einer der berühmtesten Verdi-Chöre überhaupt. Eine sehnsuchtsvolle, etwas pathetische Melodie, die Heimat als Identifikationsort des Menschen beschwörend. Ebenfalls nicht gerade unpassend an diesem klangvollen Samstagabend im Herzen des Fürstenlagers.
Anreise mit dem Shuttle-Bus oder per Fahrrad
Der Orchesterverein trat in diesem Jahr erstmals als Veranstalter auf. Das Event wurde vom Collegium Musicum Bergstraße in Kooperation mit der Bensheimer Stadtkultur auf die Beine gestellt – und hatte Anfang des Jahres noch gefährlich gewackelt: Ein städtischer Zuschuss in Höhe von 25 000 Euro war aus Sparzwängen gestrichen worden.
Kurzfristig hatte das Collegium das Dirigat übernommen und sich erfolgreich um verschiedene Förderungen für die außergewöhnliche Kulturveranstaltung beworben.
Unterstützt wurde das OpernAir 2023 unter anderem vom Bundesmusikverband Chor & Orchester im Rahmen seines Programms „Neustart Amateurmusik“ sowie durch den Kultursommer Südhessen und die Bürgerstiftung Bensheim. Als lokale Sponsoren waren die Sparkasse Bensheim und die GGEW AG im Boot. Das Budget rangierte bei rund 65 000 Euro.
Die musikalische Leitung lag in den Händen von Gregor Knop und Kushtrim Gashi. An der Organisation waren außerdem beteiligt: Hanns-Christian Wüstner (für das Collegium Musicum), Mitinitiatorin und Ideengeberin Anne Dingler, Parkleiter Stefan Jagenteufl sowie Thomas Herborn und Marco Gremm vom Team Stadtkultur.
Viele Gäste nutzten den kostenlosen Shuttlebus-Service zum Veranstaltungsort. Für eine gute Verbindung nach Auerbach standen Parkplätze bei den Firmen TE Connectivity und der Herbert GmbH zur Verfügung. Andere Kulturfreunde zogen das Fahrrad vor, um gleich nach den letzten Opern-Takten entspannt Richtung Bachgasse hinabgleiten zu können. tr
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