Partnerschaft für Demokratie

Geschichte und Akteure rechten Terrors in Hessen

Buchvorstellung mit Yvonne Weyrauch und Sascha Schmidt sowie Diskussion im Café Klostergarten in Bensheim

Von 
Hans-Günter Dolle
Lesedauer: 
Yvonne Weyrauch und Sascha Schmidt stellen ihr Buch „Rechter Terror in Hessen“ im Café Klostergarten in Bensheim vor. © Thomas Neu

Bensheim. Die Initiative „Vielfalt. Jetzt!“ innerhalb der Partnerschaft für Demokratie in Bensheim hatte zur Veranstaltung ins Mehrgenerationenhaus in Bensheim eingeladen, bei der Yvonne Weyrauch und Sascha Schmidt ihr Buch „Rechter Terror in Hessen - Geschichte, Akteure und Orte“ vorstellten.

Beide haben Politikwissenschaften studiert und sind im „Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus und für Demokratie“ aktiv. Yvonne Weyrauch ist Dozentin für politische Bildung, Sascha Schmidt als Leiter der Abteilung „extreme Rechte/Diskriminierung“ beim DGB Hessen-Thüringen tätig.

Rechter Terror könne sich auch in Hessen jederzeit Bahn brechen. Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke im Juni 2019, das Attentat von Hanau im Februar 2020, bei dem zehn Menschen ermordet wurden, sowie der Mordversuch von Wächtersbach im Juli 2019 hätten dies deutlich gemacht. Auch wenn wir es in den letzten Jahren mit einer neuen Qualität rechter Gewalt zu tun hätten, so zeige der Blick in die Geschichte, dass rechter Terror eine permanente Begleiterscheinung der Geschichte der BRD sei. Die Spuren dieser Gewalttaten ließen sich weit über den NSU-Mord 2006 in Kassel hinaus zurückverfolgen, hieß es in der Ankündigung, die etwa 30 Personen veranlasst hatte, in die Begegnungsstätte des Franziskushauses in der Bensheimer Klostergasse zu kommen.

Sie wurden im Namen der Initiative von deren Sprecher Manfred Forell begrüßt. Er wies in seiner kurzen Einführung auf einen fremdenfeindlichen Anschlag im Januar 1992 hin, bei dem eine Familie aus Sri Lanka ums Leben gekommen war. Erst in diesem Jahr sei es endlich gelungen dort eine Gedenkveranstaltung durchzuführen.

Die beiden Politikwissenschaftler stellten in dem etwa 75 Minuten dauernden Vortrag, den sie mit entsprechenden Projektionen hinterlegten, abwechselnd zentrale Erkenntnisse ihres Buches vor und gingen dabei auch auf Geschehnisse in Südhessen ein.

Es könne resümiert werden, dass rechter Terror eine permanente Begleitererscheinung der hessischen Nachkriegsgeschichte sei. Ein öffentliches Bewusstsein dafür sei aber erst nach Bekanntwerden des Ausmaßes der NSU-Morde festzustellen gewesen. Mangelndes Bewusstsein wiederum habe auch zu falschen Einschätzungen geführt.

Erst nach dem Mord an Dr. Lübcke im Juni 2019 und dem Attentat von Hanau im Februar 2020 seien Gründe zur Aufarbeitung erkannt worden. Hessen gelte zwar als Bundesland mit relativ schwach ausgeprägten rechten Strukturen, dennoch seien in diesen beiden Jahren in Hessen elf Menschen dem rechten Terror zum Opfer gefallen.

Chronologisch hätten die Autoren alle verübten und geplanten Anschläge analysiert und versucht deren Kontinuität und Bandbreite sichtbar zu machen. Unter rechtem Terror sei Gewalthandeln zu verstehen, das rechter Einstellung folge. Dabei würden Feindbilder definiert und politische Emotionen entsprechend strukturiert. Die Taten seien Folge rechter, oft auch nur diffus vorhandener Einstellungen.

Ultranationalismus verbunden mit Krisenerzählungen alter völkisch-nationaler Narrative würden dabei mitunter auch für scheinbar „ganz normale Bürger“ handlungsleitend. Potentielle Opfer wie rassifizierte Personen, sozial Benachteiligte, Menschen jüdischen Glaubens, aber auch politisch Aktive und Repräsentanten des (verhassten) Staates würden „entmenschlicht“, die Gewalttaten als notwendig und zielführend propagiert.

Bereits in den 50er-Jahren habe der „Technische Dienst“ als bewaffnete Einheit des in Frankfurt gegründeten „Bund Deutscher Jugend“ Schießübungen auf einem Gelände in Wald-Michelbach durchgeführt. Dort habe es auch Waffenlager gegeben, es seien „Todeslisten“ politischer Gegner geführt worden. Beide Organisationen wurden 1953 verboten.

In der 60er-Jahren sei es verstärkt zu Schändungen jüdischer Einrichtungen und Anschlägen gegen Personen wie beispielsweise Fritz Bauer gekommen. In den 70ern hätten die rechten Aktivitäten nach dem Scheitern der NPD zugenommen, es habe kein Jahr ohne rechten Terror gegeben.

In den Folgejahren hätten sie in ihrer Analyse drei Hauptphasen rechten Terrors in Hessen festgestellt. Die erste habe vom Ende der 70er bis 1982 gedauert und sei durch Anschläge sowie Banküberfälle gekennzeichnet gewesen. Motive hätten vorwiegend in Antikommunismus, dem Verhindern der Aufarbeitung von NS-Verbrechen sowie Antiamerikanismus gelegen. So habe die Hepp-Kexel-Gruppe im Jahr 1982 drei Auto-Bombenanschläge auf US-Soldaten in Frankfurt, Butzbach und Darmstadt verübt, bei denen nur dank glücklicher Umstände niemand ums Leben kam.

Die zweite Hochphase von 1991 bis 94 sei durch Brandanschläge, Straßengewalt und erste Todesopfer in Hessen gekennzeichnet. Gewalttaten seien auch von unorganisierten rechten Gruppen und häufig situativ oder nur kurzfristig geplant begangen worden und endeten häufiger tödlich.

Beispielhaft genannt wurden der eingangs geschilderte Fall in Lampertheim sowie die Ermordung Ali Bayrams in Darmstadt, der am 18.2.94 vor den Augen seiner Töchter von einem Nachbarn offenbar aus rassistischen Gründen erschossen wurde. In dieser Phase seien aus dem rechten Spektrum in Hessen 115 Brandstiftungen und 75 Körperverletzungsdelikte verübt worden.

Mehr zum Thema

Konflikt in Nahost

Sechs Tote bei Anschlag in Jerusalem - Zwei Täter erschossen

Veröffentlicht
Von
Sara Lemel
Mehr erfahren

Auf die als inzwischen hinreichend bekannt vorausgesetzte NSU-Mordserie ging das Autorenteam an diesem Abend nicht weiter ein, auch wenn sich einer der Morde in Kassel ereignet hatte und auch im Buch thematisiert wird. Darüber hinaus habe es außerhalb der so bezeichneten Hochphasen schwere Straftaten gegeben. Die letzte dieser Phasen habe 2014/15 begonnen und dauere bis heute an. Dabei sei eine Diversifizierung (weitere Verzweigung) des rechten Terrors festzustellen.

Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte wie 2015 in Heppenheim oder 2017 in Alsbach-Hähnlein, Gewalttaten wie der Messerangriff auf einen aus dem Irak geflüchteten in Lohfelden im Jahr 2016, sowie gezielte Tötungsdelikte und Versuche in Limburg, Wächtersbach und Kassel zählten ebenso zu den Facetten rechten Terrors wie Anschlags- und Umsturzpläne. Hierzu wurden beispielhaft die Fälle des Franco A. aus Offenbach, der eines jungen Mannes, der in Wiesbaden den Mordanschlag von München wiederholen wollte, bei dem eine Vielzahl Menschen mit Migrations-hintergrund in einem Schnellrestaurant getötet wurden, sowie die Umsturzpläne um Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Frankfurt genannt.

Hessen sei zwar bundesweit lediglich Anfang der 80er-Jahre ein rechter Hotspot gewesen und liege in dieser Hinsicht eher im hinteren Drittel. Zwischen 1991 und 2024 seien dennoch 1.492 entsprechende Gewalttaten zu Buche geschlagen; nach Bewertung des Autorenteams müssten mindestens 20 Todesopfer dem rechten Terror in Hessen zugeordnet werden.

Es bestehe weiterhin eine erhebliche Gefahr, zumal sich die Rechte aktuell auch dem „Kulturkampf“ beispielsweise gegen CSD-Veranstaltungen verschrieben habe. Es gelte wachsam zu bleiben und Verdachtsfälle unbedingt bei der Meldestelle „Hessen gegen Hetze“ bekannt zu machen.

Auf die Frage nach Methoden der Recherche berichteten die Referenten, diverse Archive ausgewertet und insgesamt ca. 1000 Quellen benannt zu haben. Bei der anschließenden Aussprache war festzustellen, dass die zuvor beschriebenen Gefahren auch im Publikum gesehen wurden. Aus deren Reihen wurden dann auch die Verbesserung politischer Bildung, die Stärkung der Medienkompetenz und engagiertes Eintreten für demokratische Werte eingefordert.

Copyright © 2025 Bergsträßer Anzeiger

  • Winzerfest Bensheim