Bensheim. Die Stadt der Blüten und des Weins, der Schulen und gezogenen Reißleinen entwickelt sich zurzeit auch zur Stadt der geschlossenen Toiletten. Wer im Zentrum unterwegs ist, braucht schon ein feines Gespür fürs stille Örtchen, wobei der Riecher bei einem solchen Ortstermin naturgemäß nicht allzu ausgeprägt sein sollte. Allerdings sind die Anlaufstellen mittlerweile überschaubar.
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Ab dem 2. Januar bleiben die Anlagen im Stadtpark und im Parkhaus Süd dauerhaft geschlossen. Beschlossen hat dies die Stadtverordnetenversammlung im Zuge der Haushaltsberatung, beantragt von der Koalition aus CDU, SPD und FDP als Beitrag zur Streichliste. Spart 16 800 Euro im Jahr, verringert den Fehlbetrag von 12,4 Millionen nicht grandios. Aber irgendwo muss man halt offenbar anfangen. Wobei die Klos im Stadtpark bei Veranstaltungen wieder aufgeschlossen werden können. Aber im schnöden Tagesgeschäft fallen sie weg.
Im Herbst 2021 eröffnet
Wer am Bensheimer Bahnhof ankommt und von einem dringenden Bedürfnis geplagt wird, darf sich immerhin seit Herbst 2021 am Anblick einer neuen Toilettenbox erfreuen. Zumindest so lange, bis er das Innere erblickt hat. Aktuell stehen nämlich Reisende wie Einheimische dort vor verschlossenen Türen. Offizielle Begründung: wegen Verunreinigung. Wann die WCs wieder an den Start gehen, erfährt man nicht. Aber man kann sich auch ohne ausufernde Fantasie vorstellen, dass es wohl nicht mit einmal nass durchwischen getan ist.
Nun sind öffentliche Toiletten nie Wohlfühloasen, sondern Plätze, die man meistens unter einem gewissen Druck aufsucht. Mit dem Neubau an den Taxi-Ständen sollten sich die Zustände am Bahnhof allerdings verbessern. Die alte Anlage am Eingang zur Tiefgarage war nicht nur geografisch unterirdisch, sondern vermittelte meistens den Eindruck eines Dixie-Klos am letzten Tag von Wacken. Für knapp 240 000 Euro versuchte die Stadt daher Abhilfe zu schaffen. Allerdings investierte man einen Großteil des Geldes nicht in edle Kloschüsseln und Waschbecken, sondern in den Tiefbau und die entsprechenden Anschlüsse. Der Neubau an sich verfügt über eine vollständig beklebte Glasfassade, die Graffiti leichter abwaschbar macht. In den Innenräumen hat man versucht, alles so vandalismussicher wie möglich zu gestalten. Abgetretene Waschbecken oder Toilettenpapier-Halterungen waren in den früheren Räumlichkeiten schließlich keine Seltenheit.
Container als WC-Ersatz am Marktplatz
Sicher vor mutwilliger Zerstörung heißt aber nicht zwingend sicher vor Leuten, die gefehlt haben, als die halbwegs guten Manieren verteilt wurden. So lässt sich zumindest der momentane Ausfall erklären. Dabei haben die Verantwortlichen Vorsorge getroffen, dass der Aufenthalt in der Box nicht zum Dauerzustand wird. Wer nicht mit heruntergelassener Hose die Öffentlichkeit beglücken möchte, muss bei seiner Sitzung berücksichtigen, dass sich die Türen nach im Normalfall völlig ausreichenden 15 Minuten aus Sicherheitsgründen wieder automatisch entriegeln. Nur braucht es selbstredend deutlich weniger als eine Viertelstunde, um ein stilles Örtchen in eine fäkale Horrorshow zu verwandeln.
Wie dem auch sei: Bis zum Comeback am Bahnhof wird die Luft in der Innenstadt dünner, wenn es pressiert. Die Anzahl der „Netten Toiletten“ im Einzelhandel lässt sich an einer Hand abzählen. Am Marktplatz stehen Container als Ersatz für die öffentliche WC-Anlage im Haus am Markt (bekanntlich 2019 von der Baggerschaufel dahingerafft). Im Bürgerbüro in der Alten Faktorei und in der Tourist-Info kann man zu den Öffnungszeiten vorstellig werden.
Apell an die Vernunft der "Sitzungsteilnehmer"
Nun gehört es nicht zur Kernaufgabe einer Stadt, im Ortskern alle paar Meter Versorgungssicherheit herzustellen. Zumal Einrichtungen wie diese nie im Ruf stehen, porentief rein zu sein und anfällig für Besucher sind, die das hygienische Einmaleins nicht beherrschen. Und Bensheim auf diese Probleme sowieso keine Exklusivrechte besitzt. Aber auch ein stilles Örtchen kann zur Aufenthaltsqualität einer Innenstadt beitragen.
In diesem Sinne schadet ein Appell an die Vernunft der „Sitzungsteilnehmer“ nicht. Entscheidungsträger und Verantwortliche sollten das Thema ebenfalls nicht unterschätzen. Bei solch tendenziell unappetitlichen Themen kann doch schnell ein (Achtung, mittelmäßig gutes Wortspiel) Shitstorm entstehen. Die Abschaffung des Windelcontainers, weil man sich die 35 000 Euro im Jahr sparen will, hätte man sich vielleicht tatsächlich sparen sollen.
Aber weder im Rathaus noch in der Bensheimer Stadtverordnetenversammlung sah man (im Gegensatz zu den mittlerweile berühmten Hundekotbeuteln, die es weiterhin geben soll) Handlungsbedarf bei den Haushaltsberatungen.
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