Bensheim. Die Europäische Union hat ihre Strategie zum Ausbau der Wasserstoffwirtschaft vorgelegt. Deren Realisierung könnte in den nächsten 30 Jahren Investitionen von bis zu 470 Milliarden Euro freisetzen. Gleichzeitig hat Deutschland angekündigt, beim Wasserstoff als Energieträger die Weltmarktführerschaft anzustreben und darauf eine nationale Industrie aufzubauen.
Die grundlegende Idee in beiden Lagern ist, den nötigen Strom für die Wasserstoff-Elektrolyse bevorzugt aus erneuerbaren Energien bereitzustellen. Also beispielsweise aus Sonne, Wind oder Wasserkraft. Das Prinzip: Unter Einsatz von Strom wird Wasser in die Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Dabei wird elektrische in chemische Energie umgewandelt und im Wasserstoff gespeichert.
Zentrale Rolle in der Zukunft
Experten sind sich einig: Wasserstoff und Brennstoffzellen werden in einer zukunftsfähigen Energieversorgung eine zentrale Rolle einnehmen. Auf den Beginn einer groß angelegten Initiative als Einstieg in eine globale Wasserstoffwirtschaft hat auch Helmut Schiller lange gewartet. „Viel zu lange“, wie er betont. Der Bensheimer Ingenieur sieht in dem europaweiten Milliardenprogramm eine Chance, um mit einer von ihm entwickelten Technologie neue Türen aufzustoßen.
Schillers Unterwasserturbine wurde bereits vor zwölf Jahren zum Patent angemeldet. Beim ersten Versuch, die kompakten Anlagen zu erproben und auf den Markt zu bringen, hat ihm die Finanzkrise ab Herbst 2007 einen Strich durch die Rechnung gemacht – die Investoren hatten kalte Füße bekommen. Aus einem zwischenzeitlich angepeilten Produktionsstandort in Irland wurde nichts. „Und dieses Jahr kam Corona“, so der Unternehmer und Produktentwickler, der mit seiner Schiller GmbH als weitsichtiger Einzelkämpfer in einer von Konzernen dominierten Welt nicht die Motivation verliert.
Partner aus der Wirtschaft gesucht
Jetzt hofft Schiller, Jahrgang 1959, dass die Turbine im Zuge der Wasserstoff-Welle neue Aufmerksamkeit erfährt. Seine Idee: eine Produktion in der Metropolregion Rhein-Neckar. Am liebsten im Kreis Bergstraße. „Das Know-how soll im Lande bleiben.“ Dafür sucht er Partner oder Lizenznehmer aus der Wirtschaft, die ihn beim Bau von Prototypen und bei ersten praktischen Tests unterstützen. Dass seine Turbine funktioniert und die Leistungsdaten stimmen, hat ihm die Universität Stuttgart längst attestiert.
Bei seiner Innovation handelt es sich um die Optimierung eines Prinzips: Die Unterwasserturbine ermöglicht die energetische Nutzung von Strömungen in Flüssen oder im Meer. Allerdings nicht groß, schwer und teuer wie Konkurrenzanlagen, sondern klein, kostengünstig und relativ leicht.
Das Wasser setzt einen mechanischen Propeller in Gang. Gegenüber offenen Turbinen könne die von ihm gebaute Technik etwa eine vierfache Leistung erzeugen. Ausschlaggebend sind zwei Seitenkanäle, in denen das Wasser beschleunigt wird und dadurch hinter dem Turbinentrakt ein Unterdruck erzeugt wird. Durch die Sogwirkung wird die Strömung im Innern etwa verdoppelt.
Der Generator ist mit 1,5 Tonnen Gewicht die schwerste Einzelkomponente. Die eigentliche Turbine hat einen Durchmesser von vier Metern, ist also rund ein Viertel so groß wie übliche zweiflügelige Modelle. Doch das Wichtigste ist der Wirkungsgrad, den Helmut Schiller mit etwa 90 Prozent angibt. Das liege an einer sehr gleichmäßigen Geschwindigkeit des Wassers am Turbinenrand.
15 Meter lang und aus Glasfaser
Als weiteren Vorteil führt der Entwickler an, dass seine SUT-Maschine durch die geringeren Maße auch in niedrigeren Wassertiefen von etwa 20 Metern eingesetzt werden kann. Bei einer Strömungsgeschwindigkeit von vier Metern in der Sekunde soll das System recht konstant 500 KW elektrische Leistung erbringen.
Die Stromherstellungskosten rangieren laut Schiller – je nach Standort – bei einem bis 1,5 Cent pro Kilowattstunde. Das ermögliche eine günstige und verlässliche Stromproduktion aus erneuerbarer Energiequelle, wie sie für die Herstellung von Wasserstoffgas geradezu ideal sei.
Durch die Komponentenbauweise könne man die kaum 15 Meter langen Turbinen, die überwiegend aus Glasfaser bestehen, in Containern praktisch an jeden geeigneten Standort transportieren. Die Endmontage erfolgt vor Ort. Das biete beste Voraussetzungen für dezentrale Versorgungsstrukturen.
Als potenzielle Einsatzgebiete nennt er Großbritannien, Irland und Norwegen. Auch Gezeitenströmungen lassen sich durch die Turbine nutzen, die bei aller Effizienz auch das maritime Leben um sie herum schonen soll: Weil sie kein Getriebe hat, sondern mit einem ebenfalls in Eigenregie gebauten Generator arbeitet, erzeuge sie nur minimale Geräusche. Ein Schutzgitter verhindert, dass Tiere in die Rotoren geraten.
Rund 200 Anlagen pro Jahr
Damit sich die Produktion wirtschaftlich rentiert, geht Schiller von rund 200 Anlagen pro Jahr aus. Für einen Einmannbetrieb ist das indiskutabel. „Großinvestoren halten derzeit die Füße still“, kann der Ingenieur die Vorsicht im Corona-Modus durchaus nachvollziehen. Dennoch hofft er, dass seine Erfindung im Zuge der Wasserstoff-Strategie einen gewissen Rückenwind erleben wird. Zudem die Herstellung des Gases bei einem erhöhten Umgebungsdruck unter Wasser technische Vorteile im Elektrolyseur mit sich bringe.
Ohne Zweifel: Wasserstoff ist ein toller Energieträger. Zur Herstellung benötigt man lediglich Wasser und elektrischen Strom. Bei der Nutzung durch Verbrennung oder in einer Brennstoffzelle entsteht als Abfallprodukt wiederum nur Wasser. Für Helmut Schiller ist das Thema übrigens alles andere als neu. Bereits Anfang der 90er Jahre hat er Brennstoffzellenautos getestet, später Elektroroller mit immensen Reichweiten entwickelt. Vor allem im Güter- und Personentransportverkehr sieht der Bensheimer attraktive Einsatzbereiche.
Um Wasserstoff als einen Schlüsselrohstoff für eine erfolgreiche Energiewende zu etablieren, müssten jetzt alle Potenziale für eine Wertschöpfung erschlossen und genutzt werden. Das beziehe sich auch auf den Klimaschutz. Schiller erkennt spannende Perspektiven auch im Schiffs- und Flugverkehr. Und einen sich gerade erst öffnenden Markt für seine Turbinen, die zwar hier erfunden, aber noch nicht „Made in Bensheim“ sind. Was nicht ist, kann ja noch werden.
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