Neujahrsempfang

Mut zur Höhe bei der Stadtplanung

Bensheimer Grüne thematisieren Wohnungsbau / Politik und Anwohner müssen mitziehen

Von 
Thomas Tritsch
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Beim Neujahrsempfang der Bensheimer Grünen hielt die Architektin Antje Adam ein Impulsreferat zum Thema Stadtplanung und Wohnungsbau. © Jürgen Strieder

Bensheim. Der Neujahrsempfang von Bündnis 90/Die Grünen stand am Sonntag unter der Überschrift Stadtplanung und Wohnungsbau. Die Frage nach einem ausreichenden innerstädtischen Angebot angesichts eines stetig wachsenden Bedarfs beschäftigt Stadtplaner, Politiker und Vertreter der Bauindustrie seit Jahren. Auch in Bensheim. Eine Antwort lautet Nachverdichtung. Zum Beispiel durch neue Stockwerke auf alten Gebäuden.

Doch in die Höhe bauen ist nicht die einzige Möglichkeit. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung für Stadtentwicklung (BBSR) beschreibt noch fünf weitere gängige Ansätze, die von der Bensheimer Architektin Antje Adam im Wappensaal des Dalberger Hofs erläutert und auf ihre Anwendbarkeit für Bensheim kommentiert wurden.

Unter den rund 30 Teilnehmern waren am Vormittag auch Vertreter der örtlichen Fraktionen von FDP und SPD. Im Namen des Ortsverbands begrüßte Michael Krapp alle Gäste, darunter auch seine neu gewählte Vorstandskollegin Karo Mehling-Großenbach sowie die Stadträtin Nicole Rauber-Jung.

„Flächen sparen, Innenverdichtung planen“ titelte der Impulsvortrag der grünen Stadtverordneten, der als Input des Dialogs im Nachgang die zentralen Fragen angerissen hat. In den kommenden Jahren müssen laut Antje Adam für die Stadt tragfähige Lösungen gefunden werden, um genügend neue Wohnungen zu schaffen und den Flächenverbrauch zu drosseln. Der Begriff meint die Inanspruchnahme oder Überbauung von Böden durch Siedlung und Verkehr.

Um das Problem intelligent und nachhaltig zu lösen, komme man auch um die Neunutzung und Überplanung vorhandener Wohn- und Gewerbeflächen nicht herum, so Adam. Doch das Tempo des Flächenverbrauchs sei weiterhin zu hoch. Die Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes sah bereits 2016 vor, diese Zahl bis zum Jahr 2030 auf unter 30 Hektar am Tag zu verringern.

Flächenverbrauch reduzieren

Doch noch immer würde mehr als das Doppelte an Ackerland in Siedlungsflächen umgewandelt. Nach dem Klimaschutzplan der Bundesregierung soll der Flächenverbrauch bis 2050 auf Netto-Null reduziert und somit der Übergang in eine Flächenkreislaufwirtschaft vollzogen sein. Nicht jeder geht davon aus, dass dieses Ziel erreicht werden kann. Doch der Flächenverbrauch hat auch Auswirkungen auf die Umwelt. Versiegelte Flächen schaden Böden und begünstigen Hochwasser. Die Zersiedelung erzeugt zudem mehr Verkehr. Die wesentliche Handlungsmaxime einer nachhaltigen Flächenentwicklung ist deshalb zusätzlich zum Reduktionsziel das Prinzip Innen- vor Außenentwicklung.

Im Jahr 2013 wurde mit der Novelle des Baugesetzbuchs dieser Grundsatz zur Bauleitplanung ausformuliert. Auch in Hessen ist dies ein grundlegendes landespolitisches Ziel. Antje Adam appelliert an die kommunale Politik, aber auch an Gewerbetreibende und Bürger, ihren Teil dazu beizutragen, dass Maßnahmen zur inneren Nachverdichtung auch umgesetzt werden können. Momentan erkennt sie hier noch blockierende Tendenzen – auch in den politischen Strukturen der Stadt Bensheim.

Es müssten aber viele Akteure kollaborieren, um nachhaltige Wohnprojekte auch real umsetzen zu können. Bensheim habe genügend städtebauliche Lücken und Leerstände für eine notwendige und erfolgreiche Innenverdichtung. Sofern der politische Wille diesen Kurs ebnen sollte.

Die Architektin vermisst unter anderem „Mut zur Höhe“. Bundesweit könnten 2,7 Millionen Wohnungen durch vertikale Baumaßnahmen neu geschaffen werden. Allein im Rhein-Main-Gebiet gebe es das Potenzial für zirka 250 000 zusätzliche Wohneinheiten durch eine Bebauung von Dächern. Vor allem Flachdächer wie auf Supermärkten, Büro- und Parkhäusern sieht sie als geeignet an.

Zu Lasten der Wohnqualität

Doch diese Strategie birgt auch Konfliktpotenzial: Wird zu stark verdichtet, geht das zu Lasten der Wohnqualität. Menschen leiden unter mehr Lärm und Verkehr und haben weniger Freizeitflächen in ihrer Umgebung. Entstehen dann noch mehrheitlich Eigentums- oder teure Mietwohnungen, ist der neue Wohnraum für viele nicht bezahlbar.

Die Architektin fordert nicht nur eine Vereinfachung der lokalen Bauordnung, beispielhaft nennt sie die verpflichtende Ausweisung von 1,5 Stellplätzen pro Wohnung. „Das ist ein zu hoher Aufwand insbesondere bei kleinen Bauprojekten wie Anbauten.“ Sie ruft auch dazu auf, beim Wohnungsbau nach oben zu denken.

Verpasste Chancen

In Bensheim wären höhere Gebäude keineswegs neu, Adam verweist auf die Taunusanlage, die Odenwaldstraße oder die Wormser Straße. Durch solche Projekte könne man relativ einfach eine doppelte Innenverdichtung erzielen, wenn man im Kontext einer klugen Konversion bislang ungenutzte Gebäude wie zum Beispiel ehemalige Militärbauten oder Bauhöfe neu und hoch bebaut. Das ehemalige Bundeswehrdepot würde hier ins Portfolio passen. „Wir müssen aber zunächst klar definieren, was auf solchen Flächen genau passieren soll.“

Die Stadt habe hier gute Perspektiven, aber auch verpasste Chancen vorzuweisen. Zum Beispiel auf dem früheren Obi-Areal an der Schwanheimer Straße. Die diskutierte Umwandlung eines Gewerbe- in ein Mischgebiet hätte auch dem Wohnungsbau Raum zur Verfügung gestellt. Doch leider habe man dies verpasst, weil sich auch mittelständische Unternehmen gegen eine solche strukturelle Veränderung ausgesprochen hätten.

In Bensheim sei dies fast ein chronisches Problem, so Adam im Dalberger Hof. Aktuell könne sie in der Stadt keine klare Richtung erkennen, wohin die Reise gehen soll – bei allem Verständnis dafür, dass es Zeit brauche, um kommunale Vorhaben und Planungsprozesse unter den nötigen ökonomischen wie ökologischen Maßgaben in die richtige Richtung zu lenken und politisch abzunicken.

Baudezernentin plädiert für behutsame Nachverdichtung

Die Baudezernentin Nicole Rauber-Jung verwies beim Neujahrsempfang der Grünen auf den Stellenwert von Gewerbeflächen. Auch die lokale Wirtschaft brauche Raum zum Wachsen. Gleichzeitig gebe es bereits Projekte – unter anderem mit der Wohnbau Bergstraße – für eine Nachverdichtung im Bestand, die sich auch in die Höhe orientiere. Ein Vorteil dabei ist, dass (An-)baugebiete im innerstädtischen Bereich nicht mehr extra ausgewiesen werden müssen. Auch am Neumarkt-Center sieht die Stadträtin in einigen Gebäuden Luft nach oben.

Eine weitere Möglichkeit ist die Blockrandbebauung. Sie bezeichnet eine städtebauliche Gruppierung von Gebäuden in geschlossener Bauweise um einen gemeinsamen Hof. Die mehrgeschossigen Blöcke sind allseitig von Straßen eingerahmt und die Bebauung ist zur Straße orientiert. So wie am Ritterplatz gegenüber dem Stadtpark.

Städtebauliches Feingefühl

Sie zeigen auch das typisch zurückgesetzte Dach, um die Fassaden an der Straße nicht zu mächtig wirken zu lassen. Eine solche geschlossene Front wäre laut Architektin auch auf dem Hoffart-Gelände denkbar. Doch Bauen in einer Baulücke erfordere immer architektonisches und städtebauliches Feingefühl. Denn der Neubau muss sich in das Bild der Nachbarschaft einfügen. Auch der Bebauungsplan der Stadt muss dabei beachtet werden.

In Hessen gibt es dafür ein digitales Potenzialflächenkataster. Auf dieser Basis können die kommunalen Bauämter vorhandene Potenziale zur behutsamen Nachverdichtung nutzen und eine Flächenversiegelung im Außenbereich verhindern. Aber auch dies zeige nur dann einen Nutzen, wenn es konkret angewendet wird, so die Planerin, die hofft, dass Entwicklungsmöglichkeiten und Chancen einer sensiblen Nachverdichtung in Bensheim genutzt werden, um das Wohnungsproblem zu kurieren und der nächsten Generation bessere Bedingungen bieten zu können.

Dabei sei nicht nur die Politik gefordert. Auch Gewerbe und Anwohner müssten auf diesem Weg konstruktiv zusammenarbeiten.

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