Bensheim. Beim Bergsträßer Winzerfest ist Bensheim im Ausnahmezustand. Für neun Tage verwandelt sich die Innenstadt in ein Lichtermeer, zwischen Fachwerkhäusern dröhnen Bässe von den Fahrgeschäften, und über allem liegt der Duft von Zuckerwatte und frisch gebackenem Crêpe. Wer hier abends durch die Menge zieht, vergisst leicht die Zeit – und noch schneller, wie viel Geld eigentlich schon den Besitzer gewechselt hat. Genau deshalb wage ich ein Experiment: Mit einem Startkapital von 50 Euro will ich herausfinden, wie weit man damit kommt. Reicht es für Essen, Trinken und Fahrgeschäfte? Oder ist das Geld schneller weg, als man das Wort „Weinschorle“ sagen kann
Der erste Appetit meldet sich schon kurz nach dem Start. Vor einem Stand prangt ein großes Schild „Pommes uff Hessisch“. Ich lasse mich locken. Für 5,50 Euro gibt es eine Portion Pommes, mit einer ordentlichen Portion Kochkäse. Herzhaft, warm, sättigend – und mein erster Griff ins Portemonnaie. 44,50 Euro bleiben übrig, ein gutes Polster. Schon beim nächsten Stand bleibe ich erneut hängen. Dort wird ein Slush-Ice angeboten – doch nicht für Kinder, sondern verfeinert mit Aperol. Orangefarben, eisig und bitter-süß. Für 6 Euro nehme ich den Becher entgegen, die kalte Mischung schmilzt langsam im Mund. Es ist die wohl erwachsenste Version eines Slush-Ice, die man sich vorstellen kann. Der Kontostand: 38,50 Euro.
Dann zieht es uns Richtung Fahrgeschäfte. Der „Taumler“ blinkt bunt in den Abendhimmel, das Bassgewitter hämmert über den Platz. 4,50 Euro kostet die Fahrt – und schon sitze ich angeschnallt. Der DJ ruft ins Mikrofon: „Musikwünsche sind gratis!“ – und wir schreiben gemeinsam unsere Favoriten auf die Liste. Besonders angesagt sind derzeit „Tau mich auf“ von Zartmann und „Ordinary“ von Alex Warren. Tatsächlich werden beide gespielt, während die runde Plattform sich immer schneller dreht. Das Gefühl, mit den eigenen Songs durch die Nacht gewirbelt zu werden, ist unbezahlbar. Als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe, bleiben mir noch 34 Euro.
Kaum sind die Beine wieder ruhig, lockt uns ein neuer Duft. Spiralförmig geschnittene Kartoffeln drehen sich im heißen Öl, werden knusprig und golden frittiert. Die Tornado-Kartoffel, gewürzt mit Chili, ist für 3,50 Euro zu haben. Ein einfacher Snack, doch originell – und schnell verspeist. Mein Budget sinkt auf 30,50 Euro. Der nächste Kick wartet gleich um die Ecke: der „Shake“. Hier geht es heftiger zur Sache – ruckartige Bewegungen, plötzliche Drehungen, laute Schreie. Für 5 Euro lassen wir uns mitreißen, fest im Sitz verankert, und lachen trotz Schwindel, als wir wieder unten ankommen.
25,50 Euro Restbudget. Jetzt ruft die süße Abteilung. Am Schokoobst-Stand glitzert die Glasur im Scheinwerferlicht. Für 5 Euro gönne ich mir einen Spieß mit Erdbeeren und Bananen, umhüllt von dunkler Zartbitterschokolade. Der Preis wirkt stolz, doch der Geschmack rechtfertigt ihn – fruchtig, herb und cremig zugleich. 20,50 Euro bleiben. Zeit für etwas Flüssiges. Ein kleiner Bembel-Cola-Shot für 2 Euro bringt die Mischung aus Tradition und Neugier. Kurz darauf bestelle ich mir eine Apfelweinschorle für 3 Euro, für junge Erwachsene das obligatorische Getränk auf dem Winzerfest. Zwar kostet das Glas 3 Euro Pfand, doch nach dem Zurückgeben bleiben mir 15,50 Euro.
Und weil das Winzerfest nicht nur Kirmes, sondern vor allem ein Weinfest ist, zieht es uns weiter zum Hospitalbrunnen. Dort wird unter anderem Heppenheimer Kabinett Riesling, trocken ausgeschenkt. 0,1 Liter für 3 Euro – frisch, spritzig und typisch Bergstraße. Auch hier kommt das Glas zurück – mein Guthaben: 12,50 Euro. Plötzlich entdecke ich etwas, das nach Kindheit schreit: Zuckerwatte. Für 1,50 Euro dreht sich die rosa Wolke auf den Stab, klebt sofort an den Fingern und schmeckt wie purer Zucker. Gleich daneben wartet ein Boxautomat. Für 50 Cent schlage ich zu, die Anzeige bleibt weit von Spitzenwerten entfernt. Dafür lachen die Umstehenden umso mehr.
10,50 Euro habe ich jetzt noch. Die süßen Verlockungen reißen nicht ab. Ein Crêpe mit Pistaziencreme lacht mich an. Für 5,50 Euro bekomme ich ein hauchdünnes Stück Teig, gefaltet, mit grün glänzender Creme bestrichen und mit Puderzucker bestäubt. Warm, knusprig, cremig. Danach stehen mir noch 5 Euro zur Verfügung. Bevor wir endgültig den Heimweg antreten, muss es noch einmal Kirmes pur sein: der Autoscooter. Für 3,50 Euro jagen wir uns über die Fläche, rammen uns gegenseitig, drehen enge Kurven und lachen. Danach bleiben noch 1,50 Euro im Geldbeutel – kaum genug für ein Getränk, aber genau richtig für den letzten Versuch des Abends.
Der Greifarmautomat blinkt verheißungsvoll. „Drei Runden noch“, sage ich, und meine Freunde nicken. Beim ersten Versuch rutscht das Stofftier wieder weg, beim zweiten packt der Greifer zwar zu, lässt aber zu früh los. Doch beim dritten Mal hält er fest. Langsam hebt sich die Klaue, das Stofftier baumelt wacklig in der Luft – bis es tatsächlich in den Schacht fällt. Wir jubeln, als hätten wir den Jackpot geknackt. Das kleine Plüschtier wandert in meine Tasche, und ich weiß: Es wird mich noch länger an diesen Abend erinnern. Im Portemonnaie bleibt nun kein einziger Euro mehr übrig. Doch statt Leere spüre ich Fülle – an Eindrücken, an Lachen, an gemeinsamen Momenten. Mit 50 Euro habe ich nicht nur Pommes, Schorle und Fahrgeschäfte bezahlt, sondern mir auch ein Stück Winzerfest-Gefühl gekauft. Und das ist, wie wir auf dem Heimweg feststellen, unbezahlbar.
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