Demokratiekonferenz

Merz‘ Stadtbild-Aussage sorgt auch in Bensheim für hitzige Debatte

Bei der Podiumsrunde wurde kontrovers über den Satz des Bundeskanzlers diskutiert.

Von 
Frederik Koch
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Podiumsrunde bei der Demokratikonferenz (v.l.): Moderator Florian Schmanke, Bernd Sterzelmaier, Michael Meister, Nuno Wörrlein, Salome Saremi und Aisha Camara. © Thomas Zelinger

Bensheim. Bei der Podiumsdiskussion der ersten Demokratiekonferenz in Bensheim zum Thema „Wie schützen wir unsere Demokratie – vor Ort und heute – und welche Rolle spielen dabei die klassischen und die neuen Medien?“ kamen sehr unterschiedliche Stimmen zusammen: Schulsprecher des Goethe-Gymnasiums Nuno Wörrlein, Journalist Bernd Sterzelmaier, Staatsminister und Bergsträßer Bundestagsabgeordneter Michael Meister, die Vertreterin migrantischer Organisationen Salome Saremi und Keynote-Speakerin Aisha Camara. Moderiert wurde die Runde von Florian Schmanke.

„Wenn wir gesellschaftliche Machtverhältnisse analysieren wollen, wird oft plötzlich über Gefühle gesprochen. Ich sehe das in Teilen auch als Ablenkungsmanöver. Da hat jemand etwas gemacht, und dann kann man sagen: Wenn der sich ändert, ist das Problem gelöst. Aber wir müssen über die Strukturen dahinter reden“, betonte die Kommunikationsexpertin Aisha Camara. Michael Meister (CDU) sagte: „Man kann in Deutschland alles sagen, was man möchte. Man muss nur den Widerspruch ertragen. Wenn Probleme da sind, müssen sie artikuliert werden. Und dann kommt der entscheidende Unterschied: Gehe ich mit einer Parole dran oder versuche ich im demokratischen Streit, die beste Lösung zu entwickeln.“ Demokratie, so Meister, lebe davon, dass man Probleme nicht verschweige, sondern sich in der Diskussion darum bemühe, Lösungen zu finden. Wenn Menschen sich nicht an Regeln halten, würde das von rechten Kräften hochgezogen und es komme zu einer Verallgemeinerung, die zu einer politischen Fehlwahrnehmung führe. Schützen könne man Menschen davor hauptsächlich mit Bildung.

„Wenig Geduld für lange politische Botschaften“

Schulsprecher Nuno Wörrlein brachte darauf seine Sicht ein: „Ich bin ein sehr positiver Mensch. Aber wenn man auf Social Media blickt, sieht man, wie weit die Politik hinterherhinkt. Extreme Parteien verstehen dort besser, wie junge Menschen funktionieren. Politiker sollen zeigen, wer sie sind, und nicht versuchen, jung zu sein. Sucht die Personen aus, die es können – und seid selbst authentisch.“ Junge Menschen, so Wörrlein, hätten wenig Geduld für lange politische Botschaften. „Man muss wirklich auf den Punkt kommen und die jungen Menschen da treffen, wo sie sich aufhalten.“

Journalist Bernd Sterzelmaier warnte anschließend vor dem Verlust lokaler Medien. „Dort, wo es keine Lokalzeitung mehr gibt, ist der Nährboden für populistische Parteien ideal. Wenn auch lokale Rundfunksender mundtot gemacht werden, haben die Echokammern und die sogenannten sozialen Medien freie Bahn.“

Im Zentrum der Debatte stand schließlich die „Stadtbild“-Aussage des Bundeskanzlers Friedrich Merz. Aisha Camara fragte Meister direkt: „Sie haben gerade gesagt, Rechte instrumentalisieren Straftaten und pauschalisieren Schuldige. Ist das nicht auch das, was Friedrich Merz gemacht hat mit seiner Stadtbild-Aussage?“ Der Bundestagsabgeordnete widersprach entschieden: „Nein, das sehe ich ausdrücklich nicht so. Ich war bei dieser Aussage im Bundestag dabei. Er wurde gefragt, wie er als Bundeskanzler die AfD bekämpfen will. Dann hat er gesagt, dass die illegale Migration nach Deutschland über 50 Prozent zurückgegangen ist, dass das aber in der Wahrnehmung der Menschen noch nicht angekommen ist, weil die Bestandszahlen sich nicht verändert haben. Deshalb sei im Stadtbild eine Veränderung noch nicht zu sehen. Das war die Aussage.“ Was daran diskriminierend sein solle, könne er nicht verstehen.

Zwischenrufe aus dem Publikum

Meister ergänzte: „Wenn ich am Winzerfest den Umzug schaue, stehen an jeder größeren Zufahrtsstraße Lkw quer – Stadtbild. Wollen wir das im Stadtbild sehen? Wenn ich zum Winzerfest gehe, werde ich kontrolliert – will ich das im Stadtbild sehen? Wenn ich nach Frankfurt fahre, sagt der Zugbegleiter: ‚Passen Sie auf Ihre Sachen auf.‘ Jedem ist das Phänomen bekannt, dass im Stadtbild was nicht in Ordnung ist. Da bin ich der Meinung, man muss wirklich mal über das Thema Stadtbild diskutieren.“

Daraufhin ertönten seitens des Publikums laute Zwischeninterventionen. Meister reagierte darauf: „Jetzt sage ich was, und Sie versuchen mir den Mund zu verbieten.“ Das sei demokratiefeindlich. „Wie können Sie erkennen, ob es sich bei mir oder bei meinem Bruder um eine Person handelt, die illegal in Deutschland ist?“, wollte Camara wissen. „Erklären Sie mir den Zusammenhang zwischen Taschenkontrolle am Hauptbahnhof und illegaler Migration. Das ist einfach für mich und für viele Menschen in diesem Land nicht zu erklären – außer, und das wäre jetzt eine These von mir, mit Rassismus.“

Meister entgegnete: „Das, was Sie hier machen, ist der Grund, warum Demokratie kaputt geht. Ein Mensch tätigt eine Aussage, und Sie unterstellen ihm etwas und diffamieren ihn.“ Zur Demokratie gehöre nicht nur, dass man frei redet, sondern auch, dass man die Meinung eines anderen ertrage. Moderator Schmanke versuchte zu beruhigen: „Ich würde bitten, die Zwischenrufe und vor allem die Aussagen aus dem Publikum jetzt fürs Erste zurückzustellen.“

Salome Saremi sagte: „Die Aussage unseres Bundeskanzlers hat 30 Prozent in diesem Land einfach an den Rand gedrängt, die sich dann fragen: Sind wir nicht auch Deutschland, gehören wir nicht dazu? Wie viele Generationen müssen Menschen an ihrem Aussehen ihre Zugehörigkeit beweisen? Ich bin hier zur Schule gegangen, habe mein Ehrenamt, aber das höchste Amt in diesem Land hat noch nicht verstanden, dass Menschen, die hier leben und das als Heimat bezeichnen, nicht alle so aussehen wie Herr Merz.“

Hätte er sich entschuldigt und verstanden, dass so viele Menschen davon verletzt seien, „hätten wir vielleicht wieder diese Begegnung und den Raum öffnen können, um die tatsächlichen Probleme zu besprechen. Wir schaffen das nur, wenn wir auch zuhören, Verhetzung auch benennen dürfen und dann ins Gespräch kommen, weil sonst verlieren wir uns alle.“ Der letzte Satz habe seine volle Zustimmung, entgegnete Meister. „Meine Familie ist zu 75 Prozent migrantisch.“ Man brauche auch dringend mehr Migration im Bereich Fachkräfte. Aber der entscheidende Punkt sei nicht Migrant oder Nicht-Migrant, sondern ob der Staat die Kontrolle habe über das, was im Bereich Migration geschieht. Und das ist laut Meister das, was der AfD so einen riesigen Zulauf bringe, „wenn die Menschen, die der AfD hinterherlaufen, den Eindruck haben, der Staat hat die Kontrolle über das Thema Migration verloren.“

Freier Autor für den Bergsträßer Anzeiger – ressortübergreifend an der gesamten Bergstraße tätig.

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