Interview - Die Schauspielerin und Sängerin gastiert am Donnerstag im Duett mit dem Gitarristen Buddy Sacher im Musiktheater Rex

Meret Becker mag die kaputten Mädchen

Von 
Thomas Tritsch
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Die Schauspielerin und Sängerin Meret Becker tritt am Donnerstag (7.) im Musiktheater Rex in Bensheim auf.

© Kerstin Groh

Bensheim. Meret Becker kommt ins Musiktheater Rex. Am Donnerstag (7.) wird die Schauspielerin und Sängerin im Duett mit dem Gitarristen Buddy Sacher (Ars Vitalis) neue Lieder präsentieren. Im aktuellen Programm treffen mechanisches und elektronisches Instrumentarium aufeinander.

"Musique en miniature" nennt Meret Becker diesen Stil, bei dem jeder Ton sitzt und auch die Pausen zwischen den Tönen effektvoll Akzente setzen. Das Publikum erwartet ein verspieltes Klangerlebnis mit einer extrem wandlungsfähigen und vielseitigen Künstlerin, die zarte Lyrik mit purer Energie zu vereinen weiß. Meret Becker ist die Schwester von Ben Becker und die Stieftochter des Schauspielers Otto Sander, der im September verstorben ist.

Mit dem Bergsträßer Anzeiger sprach das vielfach ausgezeichnete Multitalent (Grimme-Preis, Goldene Kamera, Deutscher Filmpreis) über die frühe Liebe zur Musik, über singende Sägen und eine Zukunft jenseits der Kamera.

Frau Becker, nach längerer Pause sind Sie wieder musikalisch unterwegs. Was bekommen wir beim Konzert in Bensheim zu hören?

Meret Becker: Mit Buddy Sacher präsentiere ich Auszüge aus dem neuen Album "Deins & Done". Ein stilistisch breites Spektrum zwischen Folk und Blues und Bluegrass. Die Platte ist in Arbeit und soll bis April fertig sein. Derzeit stecken wir noch in der, wie wir es nennen, Sneak-Prelistening-Phase. Eine größere Tournee steht daher erst nächstes Jahr an. Vorher gastieren wir ausschließlich in kleinen Häusern.

Wie klein?

Becker: Naja, wir haben in Kneipen angefangen. Das ist wunderbar und wir genießen den Luxus, uns ohne jeglichen Druck der Musik zu widmen. Ganz neu und intim.

Man kennt Sie mit singender Säge. Ist sie schwer zu spielen?

Becker: Das kommt darauf an, wie gut man es kann. Ich spiele auf einer Original-Feldmann aus dem Jahr 1937. Sie begleitet mich seit über zwanzig Jahren.

Sie komponieren eigene Songs und haben außerdem grandiose Coverversionen etwa von Tom Waits aufgenommen. Finden sich solche auch im aktuellen Programm?

Becker: Von Waits haben wir diesmal "Lullaby" gecovert. Die meisten Stücke stammen aber von mir, dazu einiges von Buddy Sacher. Die Zusammenarbeit mit ihm ist in jeder Hinsicht sehr fruchtbar.

Die Musik spielte früh eine Rolle in Ihrem Leben?

Becker: Ich habe schon als kleines Mädchen immer vor mich hingesungen. Bei meinen Großeltern stand ein Klavier, auf dem ich herumgeklimpert habe. Mit acht Jahren fing es mit dem Unterricht an. Als ich zwölf war, habe ich Saxofon gelernt. Das Singen gehörte während der ganzen Zeit immer dazu.

Ihre Singstimme ist enorm vielseitig. Nehmen Sie Gesangsunterricht?

Becker: Bis heute.

Man sagt Ihnen ein Faible für die kantigen, skurrilen und abgründigen Charaktere nach. Spiegelt sich das auch in ihrer musikalischen Orientierung?

Becker: Auf jeden Fall. Und hier denke ich gleich wieder an den großartigen Tom Waits. Aber auch Künstler wie Rickie Lee Jones und PJ Harvey gehören zu meinen persönlichen Lieblingen. In diesem Umfeld fühle ich mich musikalisch zu Hause.

Sie wurden 2010 als Conférencière im neu eröffneten Berliner Wintergarten gefeiert. Ist Varieté eine Kunstform, die Ihnen besonders nahe steht?

Becker: Meine Oma ist noch im historischen Wintergarten aufgetreten. Für mich selbst war das Varieté letztlich eine Brücke in die Musik. Das Genre interessiert mich seit langem, es ist schillernd und passt in unsere Zeit. Ich liebe diese Mischung aus Akrobatik, Gesang, Zauberei und Clownerie. Mit meiner Band "The Tiny Teeth" haben wir bei "BerliNoise" etwas ganz Ähnliches gemacht. Ich plane übrigens seit langem ein eigenes Zirkusprogramm, allerdings keines im herkömmlichen Stil.

Sie balancieren stilsicher zwischen den Genres Film und Musik: Ist Filmmusik ein Thema?

Becker: Das habe ich schon gemacht, unter anderem 2004 zum Film "Pipermint" von Nicole-Nadine Deppé, in dem ich auch mitgespielt habe. Dafür gab es den Max-Ophüls-Preis.

Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Film- oder Theaterrollen aus? Wann werden Sie neugierig?

Becker: Erst mal schaut man, was die Rolle hergibt. Man muss ein gewisses Potenzial erkennen und spüren, dass man einer Figur zum Leben verhelfen kann. Letztlich ist mir aber das Gesamtwerk wichtiger. Mir geht es ums große Ganze. Ein Film muss etwas in mir auslösen, er muss mir auch als Zuschauer gefallen.

Nehmen Sie sich die Freiheit, Figuren zu verändern?

Becker: Das kommt auf die Rolle an und darauf, ob der Regisseur das zulässt. Ja, ich spiele schon gerne an einer Figur herum, vor allem denke ich mir gerne Fehler aus. Ecken und Kanten reizen mich enorm. Ein Charakter sollte so farbig und vielschichtig wie möglich gestaltet sein. Am Ende geht es ja um einen Menschen, den man darstellt. Wenn es sehr gut läuft, verschmilzt man mit der Figur und distanziert sich vom Status des Schauspielers. In manche Rollen habe ich mich regelrecht verliebt.

Wo war die Liebe besonders innig?

Becker: Zum Beispiel bei "Komm näher" von Vanessa Jopp, einer meiner Lieblingsfilme. Aber auch in "Polly Blue Eyes". Ich mag die kaputten Mädchen, die etwas Zerstörtes an sich haben. Die vom Leben nicht verwöhnt wurden und dennoch nicht aufgeben. Zu solchen kleinen Helden entwickle ich eine sehr große Zuneigung.

Bringen Sie auch eigene Erfahrungen und Emotionen ein? Bekommen die Rollen auch ein Stückchen Meret Becker ab?

Becker: Immer. Ohne das geht es gar nicht.

Sie lesen keine Kritiken. Auch keine guten?

Becker: Normalerweise nicht. Der Grund ist schwer zu erklären. Jedes besondere Ereignis gibt mir ein bestimmtes Gefühl, eine gewisse Vertrautheit und Nähe mit dem Moment. Wenn man dann etwas darüber liest, wird von dieser Qualität meiner Meinung nach immer etwas Wesentliches weggenommen.

Sie sind Jahrgang 1969. Was spielen Sie in zwanzig Jahren?

Becker: Ich weiß gar nicht, ob ich dann überhaupt noch spielen werde. Man muss nicht ewig seinen Kopf hinhalten. Ich kann mir sehr gut vorstellen, zu schreiben und mich noch mehr auf die Musik zu konzentrieren. Nicht erst in 20 Jahren. Aber erst mal habe ich schon noch ein paar Sachen vor, die meinen Kopf und Körper fordern.

Sie sind künstlerisch sehr umtriebig. Sind Sie denn schnell gelangweilt?

Becker: Das nicht. Aber man muss mich schon bei Laune halten, damit ich mich konzentrieren kann. Man darf mich nicht spüren lassen, dass ich gerade arbeite. Mit Regisseurin Vanessa Jopp klappt das sehr gut. Mit ihr werde ich im Frühjahr einen Film machen. Darauf freue ich mich.

Sie hören regelmäßig damit auf: Wann fangen Sie denn wieder an zu rauchen?

Becker: Ungefähr alle zwei Jahre. Das ist bei mir ein ständiges Hin und Her. Im Moment rauche ich nicht. Spätestens mit 70 qualme ich aber ungeniert bis zum Ende weiter. Alter ist was Schönes, man braucht nicht mehr mit der Zukunft zu hadern.

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