Bensheim. Mit einem „Nachzügler“, der es in sich hatte, ging das Lesefestival 2025 mit leichter Verspätung zu Ende. Die Ende September ausgefallene Lesung mit dem preisgekrönten Journalisten und Kognitionswissenschaftler Bent Freiwald wurde jetzt nachgeholt. Wobei, von einer Lesung (Originalton Freiwald „Frontalunterricht“) konnte keine Rede sein. Schon eher von einer interaktiven, ebenso hochinteressanten wie unterhaltsamen Veranstaltung, die verblüffende Erkenntnisse lieferte - mit dem Gehirn als Hauptdarsteller.
Große Leidenschaft für das Gehirn
In der Bibliothek der Liebfrauenschule stellte der Autor, der schon als Jugendlicher seine „Leidenschaft für das Gehirn“ entdeckte, dem aufmerksamen Publikum (darunter auch einige Schülerinnen und Schüler) sein aktuelles Buch „Wer denkt, ist klar im Vorteil - Wie du dein Gehirn im Alltag smarter nutzt“ vor und ging dabei in den direkten Dialog. Und räumte im lockeren Plauderton, untermauert mit internationalen Studien und wissenschaftlichen Ergebnissen, mit so manchen Missverständnissen auf. Gleichzeitig zeigte er anhand von Beispielen auf, wie wir unsere Denkprozesse im Alltag beeinflussen beziehungsweise verbessern können.
Deutlich wurde einmal mehr: Unser Gehirn kennt keine Pause und ist rund um die Uhr im Einsatz. Selbst in unseren Träumen, seien sie noch so bizarr. Träume, so Freiwald, können eine „Art innerer Therapie, eine Wiederholung unserer Erfahrungen im Wachen, sprich einer Art von Spielfilm mit uns in der Hauptrolle sein,“ die die Wirklichkeit allerdings nicht eins zu eins widerspiegelt, sondern von starken Emotionen geprägt sind und Rationalität oftmals unterdrücken: „Es gibt keine Zufälle.“ So ergaben Traumlabor-Studien mit Menschen, die eine schmerzvolle Trennung erlebt hatten, dass diejenigen, die davon träumten, die Trennung nach einem Jahr besser verarbeitet hatten als die Personengruppe ohne entsprechende Träume.
Dass die äußere Wahrnehmung nicht so sehr von der Außenwelt abhängt, sondern auch von dem, was unser Gehirn daraus macht und interpretiert, machte Bent Freiwald anhand eines einfachen, umso erstaunlicheren Experiments deutlich. Gefragt wurde nach der Farbe eines Kleides auf einem berühmten, viral gegangenen Foto. Während die Mehrzahl der Besucher auf schwarz-blau tippte, sahen einige das Kleid in den Farben weiß-gold. Der wissenschaftliche Buchautor nutzte das Beispiel der individuellen Wahrnehmung für einen Abstecher in die Politik und zur „Stadtbild“-Aussage des Bundeskanzlers und der anschließend erbittert geführten Diskussion.
Ein weiteres Beispiel, wie Metaphern Einfluss auf unsere Entscheidung haben und Sprachen unser Denken beeinflusst, gibt eine Studie aus den USA zum Thema Verringerung der Kriminalität. Während die Gruppe, die zur „Kriminalitätsbekämpfung“ befragt wurde, eher Präventionsmaßnahmen befürwortete, forderten Befragte anhand absolut identischer Statistiken bei der Formulierung „Kriminaliätsbestie“ ein weitaus härteres Vorgehen von Polizei und Politik. Fazit: Sprache verändert Menschen in ihrem Denken. Freiwald nannte dazu ein Beispiel: die AfD.
Bewegung hilft, die Konzentration zu steigern
„Denken ist nicht nur Gehirn. Denken ist auch Körper“, lautet eine weitere These, die einmal mehr untermauert, dass „Denken von vielen Faktoren abhängig ist.“ So hilft uns nicht nur Bewegung, unsere Konzentration zu steigern, sondern ganz stark auch die Natur. Nach neusten Erkenntnissen lösten diejenigen Personen, die zuvor einen Spaziergang ins Grüne unternommen hatten, die gestellten Aufgaben besser als diejenigen, die in der Stadt unterwegs waren: „Natur hilft auch gegen Grübeln“, wie seröse Wissenschaftler herausgefunden haben.
Geradezu spektakulär: Wer etwa nur 40 Sekunden aus dem Fenster auf ein begrüntes Dach oder eine Wiese schaut, schneidet im anschließenden Test ebenfalls besser ab als die zweite Testgruppe, die lediglich auf eine Betonband blickt. Fotos und Natur-Videos haben demnach sogar „den gleichen Effekt wie eine Schmerztablette.“ Noch eine Erkenntnis: „Sport hilft der Psyche“ und hat gleichzeitig einen enormen, präventiven Charakter bei gewissen Erkrankungen. Im Anschluss an seine Ausführungen beantwortete Bent Freiwald, der in seinem Newsletter „Das Leben des Brain“ wöchentlich über Ergebnisse aus der Hirnforschung berichtet, Fragen aus dem Publikum.
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