Interview

Kunstfreunde Bensheim freuen sich auf die 75. Konzertsaison

Anne Dingler, Vorsitzende der Kunstfreunde Bensheim, spricht aus Anlass der 75. Saison des Kammermusikvereins über vergangene und künftige Herausforderungen

Von 
Barbara Cimander
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Bensheim. Die Kunstfreunde Bensheim mit ihren rund 300 Mitgliedern blicken auf eine lange Geschichte zurück: 1948 gegründet, sind die Kunstfreunde der älteste Kammermusikverein Hessens, der nach der Sommerpause in seine 75. Saison geht. Aus Anlass des Jubiläums haben wir mit der langjährigen Vorsitzenden Anne Dingler über das Erfolgsrezept des Vereins, die positive Wirkung von Live-Musik, anstehende Herausforderungen und Wünsche zum Geburtstag gesprochen.

75 Jahre Kunstfreunde Bensheim – ein stolzes Jubiläum für einen Kulturverein. Was ist in Ihren Augen das Erfolgsrezept des Kammermusikvereins?

Anne Dingler: Einerseits stehen die Kunstfreunde Bensheim für ein Konzertangebot auf qualitativ ganz hohem Niveau, inhaltlich und besetzungsorientiert und durchaus überraschend, was die Prominenz der Musiker betrifft. Das heißt, hier treffen Sie auf internationale Künstler, die am Vortag in der Philharmonie in Berlin gastiert haben und am nächsten Tag dann zum Konzert in der New Yorker Carnegie Hall unterwegs sind. Das überrascht so manchen in einer kleinen Stadt wie Bensheim. Bensheim – der Stadtname ist ja nicht umsonst Bestandteil unseres Namens und hat in all den Jahren einen großen Bekanntheitsgrad in der Konzertwelt erreicht. Man spielt in Bensheim, und das sehr gerne. Andererseits funktioniert auch ein gutes Konzept nur dann, wenn es auf Interessenten trifft. Kunst und Kultur haben in Bensheim ein interessiertes Publikum, unser Angebot wird jedoch auch von Besuchern weit über die Region hinaus wahrgenommen. An der wichtigen überregionalen Wahrnehmung arbeiten wir intensiv und bauen die Kommunikation über Social-Media-Kanäle weiter aus. Stillstand würde auch hier Rückschritt bedeuten.

Wenn in Bensheim dieselben Künstler zu erleben sind wie in den großen Konzerthäusern – wie finanzieren Sie als Verein diese hochkarätige Reihe?

Dingler: Wir mussten gerade die Eintritts- und Abonnementpreise leicht anpassen, trotzdem sind wir im Vergleich zu kommerziellen Anbietern in den Großstädten noch unglaublich günstig! Das funktioniert vor allem deswegen, weil wir zwar im Vereinsvorstand die Arbeit einer Konzertagentur übernehmen, aber alle ehrenamtlich arbeiten – niemand wird bezahlt. Daneben unterstützen uns einige großzügige Sponsoren – Privatpersonen wie Unternehmen –, eine eigens für uns tätige Stiftung sowie die Stadt Bensheim.

Die Kunstfreunde wurden 1948 mitten in der entbehrungsreichen Nachkriegszeit gegründet. Auch momentan blicken viele Menschen sorgenvoll in die Zukunft. Was meinen Sie: Warum ist auch in Krisenzeiten Kultur – insbesondere Musik – so wichtig?

Dingler: Das ist eine spannende Frage, die im Moment auch ein sehr beliebtes Forschungsthema ist. Musik ist wie keine andere Kunstform in der Lage, Menschen spontan emotional tief zu berühren. Sie kann großen Einfluss auf das physische wie psychische Wohlbefinden der Menschen ausüben. Gerade der klassischen Musik werden unzählige positive Wirkungen zugeschrieben, vom Blutdrucksenken über Schmerzlinderung bis zur Steigerung der Produktivität.

Aber es macht einen Unterschied, ob ich alleine zu Hause Musik höre oder ein Konzert besuche?

Dingler: Ja, genau – da möchte ich gerne grundsätzlich differenzieren zwischen dem unspezifischen Musikhören und dem Erleben eines Live-Konzerts. Man spricht beim 1:1-Musikerleben in einem Konzertraum von Immersionserlebnissen, das bedeutet ein Eintauchen in die Musik, verbunden mit emotionalen Erfahrungen. Hier spielt auch der Rahmen des Konzerts eine wesentliche Rolle – ein schönes Ambiente, wie es das Parktheater bietet, oder eine der beliebten Einführungen im Foyer vor den Konzerten. Wissenschaftler sprechen davon, dass Live-Musikerlebnisse die Hörer in einen anderen Modus als den des Alltagshörens versetzen können – ich glaube, darin liegt das große Geschenk, das uns die Musik als Kunstform macht.

Die zurückliegenden zwei Jahre waren wohl mit die schwersten in der Geschichte der Kunstfreunde – wie hat der Verein die Herausforderungen der Corona-Pandemie gemeistert?

Dingler: Das ist richtig, die Pandemie hat uns in ganz kurzen Abständen immer wieder zu großer Flexibilität, schneller Lösungsfindung und guter Kommunikation herausgefordert. Langweilig waren die letzten beiden Jahre nicht – im Gegenteil. Der Arbeitsaufwand war für das ehrenamtlich agierende Team tatsächlich grenzwertig, aber die Motivation war groß, auch diese Situation gut zu bewältigen. Stolz und froh sind wir unter anderem darüber, dass wir – trotz vieler Auflagen und Einschränkungen – in der vergangenen Saison all unsere Konzerte durchführen konnten und keines absagen mussten.

Wie blicken Sie auf die kommenden Jahre – welche Herausforderungen stehen in der Zukunft an? Was wollen die Kunstfreunde erreichen?

Dingler: Eine der großen Herausforderungen ist sicher, die tradierte klassische Konzertform so anzureichern, dass sie ein ganzheitliches Rundum-Erlebnis wird, bei der zwar immer noch die Musik im Fokus steht, aber eben auch andere Aspekte der Wahrnehmung berücksichtigt werden. Konzerte sollen eine Kulturform des Ermöglichens werden, dafür muss man mit dem Publikum im Kontakt und Austausch sein. Ich wünsche mir diesen aktiven Dialog auch von Seiten der Konzertbesucher. Eine große Herausforderung wird in diesem Zusammenhang außerdem der Generationswechsel im Publikum sein. Wir müssen in der Lage sein, auch ein nachwachsendes Publikum für klassische Musik zu begeistern und dabei das Feuer weitergeben, nicht die Asche. Wir spüren aber bereits seit ein paar Jahren und nehmen erfreut zur Kenntnis, dass immer mehr jüngere Menschen in unsere Konzerte kommen.

Welche Unterstützung wünschen Sie sich für die Kunstfreunde von Seiten der Stadt Bensheim?

Dingler: Mit der Stadt sind wir gut verbunden, das finde ich sehr erfreulich. Wir sind froh, mit dem Parktheater einen so schönen Veranstaltungsort nutzen zu können – mit idealer Akustik insbesondere für Kammermusik. Ich wünsche mir, dass wir weiterhin konstruktiv im Gespräch bleiben und die Stadt sich auch als Multiplikator unseres kulturellen Angebots versteht.

Das Klassik-Angebot in der Region Rhein-Main-Neckar ist durchaus umfangreich. Wie steht man bei den Kunstfreunden anderen Konzertanbietern gegenüber – Konkurrenz oder eher Zusammenarbeit?

Dingler: Netzwerken ist für uns ein sehr wichtiges Thema, mit dem wir uns schon seit vielen Jahren immer wieder beschäftigen. Wir werden auch künftig verschiedene Möglichkeiten überprüfen – aktuell sind wir im Austausch mit einem der ganz großen Festival-Anbieter in der Region. Wir sind gespannt, was daraus entstehen kann.

Worauf können sich die Besucher in der Jubiläumssaison freuen?

Dingler: Wie immer: auf zehn wunderbare Konzerte, einige mit neuem Twist – und dann zum eigentlichen Geburtstag im September 2023 zusätzlich auf einige tolle Überraschungen.

Sie dürfen sich für die Kunstfreunde ein Geburtstagsgeschenk wünschen – welches wäre das?

Dingler: Ganz klar: Ein zu begeisterndes Publikum, das diese Art von kulturellem Angebot in einer kleinen Stadt wertschätzt und nutzt. Dafür lohnt sich jede Mühe seitens des Kunstfreunde-Teams. Natürlich wünschen wir uns ein volles Haus – und wir freuen uns immer über neue Mitglieder. Ein weiterer Wunsch wäre, dass sich bei der gastronomischen Infrastruktur in der Innenstadt noch etwas bewegt – damit Konzertbesucher nach der Veranstaltung den Abend in einem nahen Restaurant ausklingen lassen können.

Sie sind seit vielen Jahren Vorsitzende der Kunstfreunde – an welche Begegnungen, Konzerte, Musiker denken Sie besonders gerne zurück?

Dingler: An fast alle. Jedes Konzert hatte seine ganz eigenen Highlights, seine eigene Atmosphäre und seine ganz besonderen Künstlerpersönlichkeiten. Ganz besonders waren aber immer die Erlebnisse und Erfahrungen mit unserer Nachwuchsförderung, das heißt, wenn man über einen gewissen Zeitraum erleben kann, was an musikalischer Entwicklung und Talentförderung möglich ist, wenn man mit großen künstlerischen Vorbildern arbeiten kann. Das begabten Kindern und Jugendlichen hier an der Bergstraße zu ermöglichen, gehört zu den Dingen, für die das ganze Kunstfreunde-Team sehr dankbar ist. Ich glaube, damit hinterlässt man wirklich Spuren.

Das Programm der 75. Konzertsaison im Überblick

  • Zehn Konzerte mit renommierten Musikern sind in der kommenden 75. Saison der Kunstfreunde Bensheim geplant. Beginn ist jeweils um 20 Uhr im Parktheater.
  • 17. September: Boulanger Trio – Werke von Bernstein, Copland, Glass, Françaix, Jones, Piazzolla. Vor dem Konzert Sektempfang im Foyer zur Saisoneröffnung.
  • 15. Oktober: Dorothee Mields (Sopran) & Stefan Temmingh (Flöte), Wiebke Weidanz (Cembalo), Domen Marincic (Viola da Gamba) – Werke von Händel, Pepusch, Nussen, Corelli und anderen.
  • 5. November: Phaeton Klaviertrio – Werke von Rachmaninow, Zemlinsky, Saint-Saëns.
  • 26. November: vision string quartet – Werke von Dvorák, Jazz & Pop (Album „Spectrum“).
  • 14. Januar: Alexander Melnikov (Klavier) – Werke von Schubert, Brahms, Rachmaninow.
  • 11. Februar: Janoska Ensemble – The Big B‘s: Werke von Bach, Beethoven, Brahms, Bartók, Bernstein.
  • 4. März: Sharon Kam (Querflöte), Julian Steckel (Cello), Enrico Pace (Klavier) – Werke von Beethoven, Webern, Rota, Berg, Brahms.
  • 1. April: Goldmund Quartett – Werke von Haydn, Schnittke, Beethoven.
  • 6. Mai: Xavier de Maistre (Harfe) – Francisque, Dussek, Lecuona, Fauré, Debussy, Renie.
  • 3. Juni: ensemble amarcord & Schumann Quartett – Werke von Bach, Dietrich, Rosenmüller, di Lasso und anderen.
  • Karten für alle Konzerte können bereits jetzt erworben werden – bei bekannten Vorverkaufsstellen sowie im Internet unter https://kunstfreundebensheim.reservix.de/events.
  • Mitglieder der Kunstfreunde Bensheim können zwischen zwei Abo-Modellen wählen: ein Abo für alle zehn Konzerte mit festem Sitzplatz oder ein Abo für sechs Konzerte (freie Auswahl nach Verfügbarkeit). Weitere Infos unter https://kunstfreunde-bensheim.de/abo/
  • Zu ausgewählten Konzerten wird es auch in der kommenden Saison wieder eine Einführung mit dem Musikexperten Hans Hachmann geben, der im Gespräch mit den Künstlern das Programm erläutert.

Redaktion Redaktion Bensheim

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