Bensheim. Die Veranstaltung hatte sich gegen ein Menge Konkurrenz durchzusetzen, nicht zuletzt gegen den gleichzeitigen großen Workshop zum „Marktplatz der Zukunft“ im Bürgerhaus. Doch waren nach Schätzung der Polizei rund 500 Menschen der Einladung aller Bensheimer Parteien und Wählergemeinschaften gefolgt, um am Samstagvormittag auf dem Beauner Platz an einer Kundgebung für Demokratie und Menschenrechte teilzunehmen.
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Musikalisch umrahmt wurde die friedlich verlaufende Demonstration von der Europahymne – ein Bekenntnis, das auch in den Reden eine wichtige Rolle spielte. Stadtverordnetenvorsteherin Christine Deppert moderierte die Veranstaltung und hielt die erste Rede. Jede Form von Extremismus und Diskriminierung sei eine Bedrohung unserer Gesellschaft, betonte sie, und warb für Vielfalt und Toleranz.
Jede Stimme zählt
119 Nationen seien in Bensheim präsent, das seien Freunde, Kollegen und Mitbürger: „Das macht Bensheim aus, das macht Bensheim bunt und liebenswert!“ Demokratie sei das Herzstück unserer Freiheit, die müsse verteidigt und gepflegt werden – von allen. Bei den kommenden Wahlen zähle jede Stimme und setze ein Zeichen für Demokratie. Depperts Schlussappell: „Lassen Sie uns wachsam bleiben – nie wieder ist genau jetzt“.
Horst Knop vom Sportverein TSV Auerbach erklärte die zentrale Bedeutung von Menschenrechten und Demokratie in einem Sportverein, in dem Menschen von vielerlei Herkunft zusammenkommen. Ihn treibe die Sorge um, ob die Mitglieder ohne deutschen Pass oder mit Migrationshintergrund sich vor „Remigration“ fürchten müssten. „Denk dran, du hast eine Familie“, habe ihm seine Frau am Morgen mit auf den Weg gegeben, erzählte Knop und fragte: „Sind wir schon so weit?“.
"Zu unserer Demokratie gibt es keine Alternative"
Unter großem Applaus äußerte er großen Respekt für den Mut der vielen Menschen, die in Russland an der Trauerfeier für Alexei Nawalny teilgenommen haben. Ausführlich widmete sich Knop auch dem Thema Inklusion und erinnerte an die Ermordung von Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen während der Zeit des Nationalsozialismus unter anderem in der Pflegeanstalt Hadamar.
Er forderte ein Nein zu Extremismus von rechts und von links. „Noch liegt das Handeln in unserer Hand“, sagte Knop und rief ebenfalls eindringlich dazu auf, wählen zu gehen: „Zu unserer Demokratie gibt es keine Alternative“.
Im Namen der Marokkanischen Kulturgemeinschaft Bensheim sprach Mostafa Ben-Et-Taleb. In der letzten Zeit habe der Rassismus zugenommen, erklärte er, auch wenn viele Menschen angeben würden, keine Rassisten zu sein. Das aber könnten nur diejenigen beurteilen, die rassistisch angegangen würden. Dennoch seien die gerade überall stattfindenden Kundgebungen ein Zeichen der Verbundenheit, ein Bild des friedlichen Zusammenlebens und der herrschenden Willkommenskultur. Ursula Schlosser, Vorsitzende des Auerbacher Synagogenvereins, ergänzte die von ihren Vorrednern angesprochenen Aspekte und sprach in Zusammenhang mit Demokratie und Menschenrechten über den Antisemitismus, der seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel stark zugenommen habe – „als wäre dieser brutale Überfall ein Freibrief für Antisemiten in Deutschland mal endlich so richtig loszulegen“.
Genauso gegen Antisemitismus gehen, wie gegen Rassismus
Auf der Berlinale sei Israel gerade das Existenzrecht abgesprochen worden, Schauspieler und Regisseure hätten geklatscht, als auf der Bühne die Vernichtung Israels propagiert wurde – „in der deutschen Hauptstadt“. Gleichzeitig gebe es Demonstrationen für Demokratie und gegen den rechten Rand mit bisher etwa fünf Millionen Teilnehmern. Dennoch bleibe der Kampf gegen den Antisemitismus eine Leerstelle.
Antisemitismus müsse ebenso erkannt und wahrgenommen werden wie Rassismus. Dabei sei israelbezogener Antisemitismus nicht zu verwechseln mit einer berechtigten Kritik an der rechtsradikalen Regierung Netanjahu. „Seien Sie mutig, gehen Sie gegen Antisemitismus genauso an, wie gegen Rassismus. Es reicht nicht auf die Straße zu gehen. Lasst uns mutig sein, Tag für Tag. In unserem Alltag.“
Flammendes Bekenntnis zu Europa und gegen die AfD
Eine starke, mit entlarvenden, hasserfüllten Zitaten von AfD-Politikern gespickte Rede hielt Luise Clever, Schulsprecherin am Goethe-Gymnasium in Bensheim. Mit dem refrainartig wiederholten Statement „Ich bin Deutsche, das geht mich sehr wohl etwas an“, beleuchtete sie antisemitische Entwicklungen ebenso wie das Unwort „Remigration“ oder die von AfD-Politikern geforderte Abschaffung der gleichgeschlechtlichen Ehe.
Ihr flammendes Bekenntnis zu Europa richtete sich insbesondere an die jungen Wähler. „Wählt Europa, das Wahlalter ist 16 Jahre. Wir haben es in der Hand!“, rief sie unter Jubel und langanhaltendem Beifall. Explizit gegen die AfD gewandt war nicht nur diese Rede, sondern auch von den Kundgebungsteilnehmern – einer buntgemischten Menge – gehaltene Schilder wie „Omas gegen rechts“ oder „EkelhAfD“. Andere bevorzugten allgemeiner gehaltene Appelle wie „Selbst Ötzi hat einen Migrationshintergrund“.
Die Zusammengehörigkeit aller Menschen auf der Erde betonte auch Pfarrer Christian Stamm, Leiter des katholischen Pastoralraumes Bensheim/Zwingenberg. Er trat als letzter Redner der rund einstündigen Veranstaltung auf und erklärte vor dem Hintergrund des unter anderem beim Potsdamer Treffen zum Ausdruck gekommenen Ungeists, der unser Zusammenleben vergifte: „Wir gehören alle zu einer Menschheitsfamilie. Jeder einzelne Mensch hat eine gottgeschaffene Würde, die unantastbar ist.“
Wer diese mit Füßen trete, verlasse den Boden der freiheitlichen Demokratie. Radikale Thesen müssten diskutiert und so entlarvt werden: „Wer rechtsextrem wählt, gräbt sein eigenes und unser aller Grab.“
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