Bensheim. Braune Schiebermütze, rotes Karo-Flanellhemd, durch Hosenträger und Gürtel zweifach gesicherte blaue Arbeitshose, abgewetzte, schwarze Schuhe – Heinz Beckers seit 30 Jahren unverändertes Outfit ist ein klares Statement: Alles soll so bleiben, wie es war. Der Dauerrentner aus dem Saarland ist gegen Veränderungen in seiner heilen Welt. Schon eine Urlaubsreise ist für ihn ein absolutes No-Go. „Haben die Leute zu Hause nix mehr zu schaffen“, wundert er sich. Der Beckers Heinz hat jedenfalls immer was zu tun. Verlängerungskabel oder Taschenlampe suchen, sich darüber aufregen, dass harte Butter und frisches Mischbrot nicht zusammen passen und so weiter.
Vor Vorurteilen triefend
Gerd Dudenhöffer hat den ätzenden, im saarländischen Dialekt dauernörgelnden Heinz Becker kreiert. Am Freitagabend gastiert Dudenhöffer unter der Überschrift „Deja-vu“ mit einer Art „Best-of“ aus 16 Heinz Becker-Bühnenprogrammen im nahezu ausverkauften Parktheater. Becker ist ein Spießbürger und Kleingeist. Er arbeitet sich mit festen, vor Vorurteilen triefenden Ansichten durch verschieden Themenblöcke: Frau-und-Mann-Rollenklischees, Ehe für alle, Flüchtlingsstrom, Tücken des Alltags und so weiter.
Bei Beckers („Ich bin bestimmt nicht tolerant“) Anmerkungen zu Flüchtlingen, Schwarzen oder Homosexuellen breitet sich Unsicherheit und Unbehagen im Parktheater aus. Kann man darüber lachen, wenn ein Bekannter Beckers ein Hakenkreuz auf seinem Garagentor nur deswegen entfernen lässt, weil die Schmiererei nicht korrekt aufgesprayt ist? Kann man darüber lachen, dass Becker wenig von gut ausgebildeten Flüchtlingen hält, weil es ihm nichts nützt, wenn der Einbrecher Abitur hat. Als Sohn Stefan den Besuch eines homosexuellen Balletttänzers (Becker: „Das sind die, die sich einen ganzen Hasen vorne in die Hose stecken“) im Elternhaus anmoderiert, macht sich der Vater Gedanken über die anschließende Desinfektion des Heims. „Das sind ja alles Bakterienträger.“ Ist das lustig? Nein.
Dudenhöffer lässt die Kunstfigur Becker zeitweise als verbal irrlichternden, rechtspopulistischen Parolen zugeneigten Wutbürger agieren, der unreflektiert und tabulos saudummes Zeug schwätzt. „Deja-vu“ ist bisweilen ein Ritt entlang des komödiantischen Absturzes. Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich Dudenhöffer in diesen Momenten mit dem einfach gestrickten Charakter Heinz Becker bewegt.
Deutlich mehr Zuspruch durch das Publikum erfährt Becker für die Geschichten zu alltäglichen Problemen, die schon mal dazu führen, dass mangels Verlängerungskabel das Fondue 18 Zentimeter von der Steckdose entfernt eingenommen werden muss. s’ Hilde, Beckers Ehefrau seit über 40 Jahren, hat es mit ihrem Heinz, einem Anhänger der traditionellen Rollenverteilung, nicht leicht. Heinz’ größte Sorge ist, dass sich Hilde ein Bein bricht, er dann den ganzen Haushalt schmeißen muss und sich dadurch zum „letzten Depp“ macht.
Sex im Alter – und Sex überhaupt – ist und war für Becker nie eine Freude. Durch die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung ist Geschlechtsverkehr inzwischen überflüssig, meint er und findet das gut. Er denkt mit Graus an die Tage zurück, an denen er von der Arbeit nach Hause kam und das Schlafzimmer vorgeheizt war. Da wusste Mann, was ihn erwartete.
Hauptsache, sie kann gut kochen
Bei der Ehe für alle kommt Heinz Becker durcheinander – ebenso wie bei Fremd- und Sprichwörtern –, ist aber grundsätzlich dafür, dass nicht jeder heiraten muss. Früher war die Auswahl bei der Eheschließung irgendwie überschaubarer. Evangelisch oder katholisch spielte keine ganz große Rolle, aber gut kochen können musste die auserwählte Frau.
Am stärksten ist Becker, wenn er Belangloses zu absurden Mega-Themen aufbauscht. Etwa die Verwerfungen, die die Neubesetzung des Chorleiters im örtlichen Gesangsverein hervorrufen kann und die durchaus mit göttlicher Bestrafung einhergehen können.
In der Zugabe beschäftigt sich Becker ausführlich mit der Frage, ob Rotkraut oder Blumenkohl besser zu Kalbsrouladen passt und schildert seine Diskussionen mit s’ Hilde zu diesem Komplex. „Da erzieht man die Frau 40 Jahre lang und als Dank fällt sie einem mit Rotkraut in den Rücken.“
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