Frauenbüro - Anette Merke referierte im Haus am Markt über Erkrankungen der Schilddrüse

Kleines Organ mit großer Bedeutung

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Das Bild einer erkrankten Schilddrüse: In Deutschland sind zahlreiche Patienten von Fehlfunktionen des kleinen Organs betroffen.

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Bensheim. Warum versteckt Schlagersänger Heino stets seine Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille? Dahinter verbirgt er ein Geheimnis: die Erkrankung Morbus Basedow, eine Dysfunktion der Schilddrüse, die häufig mit hervortretenden Augen einhergeht. Das kleine Organ, das hormonelle Prozesse im Körper steuert, ist der Schlüssel für viele im Körper ablaufende Kreisläufe. Doch entsprechend weit fächert sich das Bild an Krankheitssymptomen auf, wenn die Schilddrüse nicht mehr richtig funktioniert.

Die Bensheimer Molekularbiologin vom Schilddrüsenzentrum Bergstraße Anette Merke referierte auf Einladung des Frauenbüros über die Funktion des schmetterlingsförmigen Organs und über die Probleme, die bei einer Dysfunktion auftreten können. Die Frauenbeauftragte Marion Vatter tat gut daran, das Haus am Markt als Veranstaltungsraum zu wählen. Das Thema stieß auf große Resonanz. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt.

Wie eine Walnuss

Die Schilddrüse ist etwa walnussgroß und nur rund 30 Gramm schwer. Trotzdem kommt ihr als Steuerungsorgan und Hormonregulator eine große Aufgabe zu. Es produziert auf Anregung des von der Hypophyse gebildeten TSH (Thyroidea-stimulierendes Hormon) die Wirkstoffe T3 und T4 und schickt sie in den Blutkreislauf.

Diese beiden Hormone sind dann stoffwechselaktiv. Liegt eine Unterfunktion vor, wird der gesamte Metabolismus im Körper heruntergefahren, bei einer Überfunktion passiert genau das Gegenteil.

Erkrankungen des Organs wirken sich somit auf den gesamten Körper aus: auf das Nervensystem, auf Haut und Fingernägel, auf den Darm wie auch auf das Knochenwachstum, auf das Herz-Kreislauf-System bis hin zur Muskulatur und die Fortpflanzung.

Bildung von Antikörpern

Die Referentin zeigte die Symptome auf, die bei Morbus Basedow auftreten. Der Körper bildet in diesem Fall Antikörper gegen die eigene Schilddrüse. Dabei kommt es aufgrund eines komplizierten Mechanismus zu einer Schilddrüsenüberfunktion mit teilweiser Kropfbildung.

Die Patienten leiden häufig an Schlaflosigkeit, Zittern, Nervosität, Herzrhythmusstörungen und Gewichtsverlust trotz Heißhunger-Attacken. Ein Indiz ist ein Hervorquellen der Augäpfel.

Eine andere Form der Dysfunktion ist Hashimoto-Thyreoiditis. Sie ist die am häufigsten vorkommende Autoimmunkrankheit. In Deutschland sind je nach Schätzung zwischen sieben und zwölf Prozent der Menschen daran erkrankt. Die Hashimoto-Thyreoiditis ist nicht heilbar. Sie entsteht dadurch, dass der Körper Antikörper gegen das Schilddrüsengewebe bildet. Dies führt zu Symptomen wie trockene Schleimhäute, Nervenentzündungen, Stimmungsschwankungen, Hautreizungen, Gewichtszunahme und vereinzelt Kopfschmerzen.

Die Diagnose lässt sich häufig anhand der genannten klinischen Symptome stellen. Eine Ultraschalluntersuchung zeigt die vermehrte Durchblutung der Schilddrüse, die aufgrund einer Entzündungsreaktion auftritt. Die Schilddrüsenhormone sind zudem erhöht.

Die Referentin beklagte, dass den Dysfunktionen der Schilddrüse in der Medizin zu wenig Beachtung geschenkt werde. So seien in Deutschland nur drei große Studien initiiert worden. In Essen, in Ludwigshafen, an der auch das Schilddrüsenzentrum Bergstraße beteiligt war, und eine letzte, die in Mecklenburg-Vorpommern jetzt gestartet sei. Die Molekularbiologin geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Jede dritte Person habe mit Veränderungen der Schilddrüsenfunktion zu kämpfen, ohne es zu wissen. Sie sprach von acht Millionen Menschen, die betroffen seien, darunter auch viele Kinder.

Sie mahnte die Schwangeren zur Vorsorge. Bei einer Unterfunktion sei zu 50 Prozent mit einer Tot- oder Frühgeburt oder auch mit gravierenden Folgeschäden bei den Neugeborenen zu rechnen. Sie riet deshalb zu einer umfangreichen Laborkontrolle.

Im Schilddrüsenzentrum Bergstraße erfolgt nach einer Ultraschalluntersuchung und einer labormedizinischen Diagnostik mit einer Bestimmung nicht nur des TSH- sondern auch der T3- und T4-Werte und einer Antikörperbestimmung eine sogenannte Szintigraphie. Nur dann lasse sich der tatsächliche Befund stellen.

Für Diagnostik unzureichend

Anette Merke beklagte, dass oftmals nur der TSH-Wert gemessen werde, was für eine Diagnostik jedoch nicht ausreiche. So würden körperliche Beschwerden von Patienten nicht ernst genommen, wenn das Blutbild im Normbereich liege. Die Referentin berichtete von Patienten, die mit Psychopharmaka behandelt wurden, aber unter einer Schilddrüsenerkrankung litten. Ein enger Zusammenhang bestehe zudem zu Burn-out oder Fibromyalgie.

Der typische Kropf zeigt eine Vergrößerung des Organs an und kann durchaus mit Symptomen wie einem Druckgefühl im Hals verbunden sein.

Die Referentin sprach mit Blick auf die Unterfunktion gar von einer modernen Epidemie. Weltweit seien 200 Millionen Menschen betroffen und nur 20 Prozent davon in medizinischer Behandlung. moni

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