Bensheim. Bau- und Hauptausschuss treten erstmal auf die Bremse – aber nicht so, wie es sich manche vielleicht erhofft haben. In beiden Gremien gab es keine Mehrheit für eine Vorlage der Verwaltung, der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeit“ beizutreten. Im Kern geht es darum, dass Land und Bund den Kommunen mehr Handlungsspielräume ermöglichen sollen – vor allem beim viel diskutierten Thema Tempo 30.
Im Sommer 2020 hatte die Stadtverordnetenversammlung ein von Präsidium und Hauptausschuss des Hessischen Städtetags vorgelegten Text unterstützt, der sich ebenfalls damit auseinandersetzte. Der Magistrat wurde daraufhin beauftragt, die Entscheidung der Stadtverordneten den damaligen Bundes- und Landtagsabgeordneten mitzuteilen.
Der nun vorgeschlagene Beitrag zur Initiative, die im Ursprung von sieben Städten ausging, verfolge das gleiche Ziel wie im Text des Städtetags formuliert, hieß es aus dem Rathaus. Deshalb hatte man einen entsprechenden Beschlussvorschlag auf den Weg gebracht.
CDU nicht überzeugt
Die CDU zeigte sich jedoch im Ausschuss nicht überzeugt „von der Begründung des Städtetags“, so Feridun Bahadori. Man sei zwar dafür, Tempo 30 dort anzuordnen, wo es angemessen sei. Aber die Christdemokraten haben nach eigenem Bekunden ein Problem mit der Art der Initiative, was nicht bedeute, dass man gegen Tempo 30 sei.
Die Verkehrsprobleme in Bensheim besonders auf den überfüllten Zufahrtsstraßen wie Wormser oder Schwanheimer Straße müssten gelöst werden und zwar mit einem Verkehrskonzept, das hoffentlich bald vorliege. Dabei würden aber noch andere Dinge zum Tragen kommen.
Die Grünen hatten wenig überraschend eine andere Sichtweise. Eine Mitgliedschaft in der Initiative wäre ein Fortschritt für Bensheim, bekundete Kira Knapp. Die Stadt könne, sollten die Forderungen auf Bundes- und Landesebene angenommen werden, selbst darüber entscheiden, wo sie das Tempolimit heruntersetzt. „Und da gibt es viele Stellen, ein Beispiel ist die Friedhofstraße“, so Knapp. Auf den Hauptverkehrsstraßen könne es ja bei 50 km/h bleiben, wollte sie den Skeptikern die „Angst“ vor flächendeckenden 30er-Zonen im gesamten Stadtgebiet nehmen. Unterstützung signalisierte auch die BfB. „Das ist genau unser Ansinnen“, betonte Norbert Koller. Er machte vor allem die umfassenden Neubauten für die Zunahme des Verkehrs verantwortlich.
Ralph Stühling (SPD) plädierte für eine differenziertere Herangehensweise. Es müsste konkret festgelegt werden können, wo man Tempo 30 braucht und dann Entscheidungen am Punkt beschließen. Dafür bedürfe es keiner Initiative.
Für Peter Leisemann (Freie Wählergemeinschaft) wäre es ebenfalls von Vorteil, wenn die Kommunen einfach ihre eigenen Beschlüsse umsetzen könnten. Thorsten Eschborn (FDP) sah keine Vorteile darin, „einem Verein beizutreten, der uns nicht weiterhelfen kann“.
Änderung liegt in der Luft
Thomas Götz (Grüne) nahm im Bauausschuss die ablehnenden Haltung aus Richtung der Koalition mit Gelassenheit entgegen. „Eine Änderung der Straßenverkehrsordnung liegt in der Luft“, spielte er auf die Verhandlungen der künftigen Ampelkoalitionäre in Berlin an. Er gehe davon aus, dass es in fünf Jahren nicht mehr notwendig sei, darüber diskutieren zu müssen.
Für Eschborn war dies ein weiterer Grund, dem Ansinnen nicht zuzustimmen. „Warum soll die Verwaltung dafür Arbeitskraft verschwenden, wenn es ohnehin kommt?“ Er befürchtete außerdem, dass man in der Öffentlichkeit Erwartungen wecke, die man letztlich nicht einlösen könne.
So trudelte die Debatte ohne emotionale Zwischentöne (das war besonders bei diesem Thema schon anders) ins Abstimmungsfinale. Grüne, BfB und FWG votierten dafür, CDU und FDP dagegen. Die SPD enthielt sich, was unterm Strich auf ein Patt hinauslief – und damit zu einer Ablehnung.
Der Haupt- und Finanzausschuss beschäftigte sich am Montag deutlich länger mit der Vorlage, ohne zu einem anderen Resultat zu kommen. „Es ist absurd, dass eine Stadt mit mehr als 40 000 Einwohnern nicht selbst darüber entscheiden kann, wo es Tempo 30 gibt oder ein Zebrastreifen angelegt werden soll“, meinte Franz Apfel (BfB). Der Beitritt zur Initiative wäre ein Weg, den man gehen sollte.
Tobias Heinz (CDU) bedankte sich zunächst für eine Übersicht der Verwaltung, wo es in Bensheim bereits 30er-Zonen gibt, monierte aber, dass die Karte nicht aktualisiert worden sei. Er würde sich mehr Dialog wünschen zwischen den Fraktionen und dem Magistrat. Man müsse hier über etwas diskutieren, an dessen Ende sich nichts bewege. Es sei zielführender, über Maßnahmen für einzelne Straßen zu sprechen. Sein Fraktionskollege Bernhard Stenger ergänzte, dass man gegen einen Beitritt sei, weil die CDU nicht Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit für ganz Bensheim wolle. Das werde aber von der Initiative vorgeschlagen.
Doris Sterzelmaier wies für die Grünen darauf hin, dass sich viele Anlieger Tempo 30 vor der eigenen Haustür wünschten. In Bensheim gebe es Verbesserungspotenzial. Sie machte darauf aufmerksam, dass in den vergangenen Jahren zwar weniger Tote bei Autounfällen zu beklagen gewesen seien, es sich bei Passanten und Radfahrern aber genau umgekehrt verhalte. Mit einer Reduzierung der Geschwindigkeit könne viel erreicht werden.
Rolf Kahnt (Fraktion Vernunft und Augenmaß) plädierte für mehr Kontrollen in den 30er-Zonen und insgesamt für einen moderaten Ausbau, ohne dass man gleich der Initiative beitreten müsse. Rolf Tiemann (FWG) unterstützte den Vorstoß aus dem Rathaus, eine Entschleunigung des Verkehrs „mit Augenmaß eingeführt, hilft allen“.
Nur über Bundestag zu erreichen
Stadtrat Adil Oyan (Grüne) erinnerte daran, dass es in der Vorlage nicht darum geht, wo es überall schon Tempo 30 gibt, ob mehr Kontrollen stattfinden sollen, und eine Zustimmung nicht bedeute, dass morgen überall in der Stadt auf die Bremse getreten wird. „Es geht um den Beitritt zu einer Initiative, die das Ziel hat, die gesetzlichen Vorgaben zu ändern, damit von den Kommunen leichter Tempo 30 angeordnet werden kann“, so Oyan. Das könne nur über den Bundestag erreicht werden. Deshalb sei es gut, wenn sich viele Städte und Gemeinden anschließen. „Sie können hier ein politisches Signal senden“, bemerkte der Verkehrsdezernent.
Bürgermeisterin Christine Klein konnte die ablehnende Haltung von CDU und FDP nicht nachvollziehen, schließlich habe der Magistrat nur den Beschluss von 2020 fortgeführt. Es sei schließlich im Interesse aller, dass die Stadt mehr Handlungsspielraum erhalte.
Am Abstimmungsergebnis im Haupt- und Finanzausschuss änderten die Einlassungen von Klein und Oyan nach einer langatmigen Debatte ohnehin nichts mehr. Grüne, BfB und FWG stimmten dafür, CDU und FDP dagegen, die SPD enthielt sich – womit es wie im Bauausschuss zu einem Patt samt Ablehnung kam.
In der Stadtverordnetenversammlung wird nun abschließend darüber entschieden. Nach den Runden in den Ausschüssen wären dafür eigentlich keine großen Reden-Schlachten mehr notwendig. Aber was heißt das schon.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-keine-mehrheit-fuer-tempo-30-initiative-in-bensheim-_arid,1873937.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim.html