„Chorraumzeit“

Kaiser-Passion als besondere Entdeckung in Bensheim

Der Kammerchor Sankt Georg und die Churpfälzische Hofcapelle waren in der Stadtkirche zu hören.

Von 
Klaus Ross
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Der Kammerchor Sankt Georg und die Churpfälzische Hofcapelle führten in der Stadtkirche die sogenannte Kaiser-Passion auf. © Thomas Zelinger

Bensheim. Besondere Premiere zum Abschluss der Reihe „Chorraumzeit“: Mit der sogenannten Kaiser-Passion erklang in der Stadtkirche Sankt Georg erstmals das Werk eines Komponistenkollegen von Johann Sebastian Bach, das Bach selbst in unterschiedlichen eigenen Bearbeitungen mehrfach aufgeführt hat.

Gregor Knops fast 80-köpfiges Musikeraufgebot umfasste seinen Kammerchor Sankt Georg, die Churpfälzische Hofcapelle und ein vom renommierten Tenor Markus Schäfer angeführtes Solistenteam mit vier Nachwuchskräften der Frankfurter Musikhochschule. Gewidmet war das Konzert Eva-Maria Weber: Die kürzlich verstorbene Geschäftsführerin des Freundeskreises für Kirchenmusik der hiesigen evangelischen Kirchengemeinden hatte Knop auf diese kaum bekannte Rarität aufmerksam gemacht.

Sieben zusätzliche Arien

Der eigentliche Urheber der auf dem Markus-Evangelium basierenden Kaiser-Passion konnte bis heute nicht endgültig geklärt werden. Viele Indizien sprechen jedoch für den populären Hamburger Opernmeister und späteren Domkantor Reinhard Keiser (1674-1739). Von Bach sind gleich drei aufgeführte Bearbeitungen dokumentiert: Seinen früheren Weimarer und Leipziger Fassungen ließ er noch 1747/48 eine erweiterte späte Version folgen, die durch sieben zusätzliche Arien aus Händels früher Brockes-Passion HWV 48 besonders aufgewertet erscheint.

Mit keiner Passionsmusik eines anderen Komponisten hat er sich über einen Zeitraum von beinahe vier Jahrzehnten immer wieder derart eingehend beschäftigt. So verwundert es nicht, dass Keisers Werk trotz seiner im Vergleich zu Bachs Passionen deutlich knapperen Gesamtanlage (rund 90 Minuten Spieldauer) in vielen Details vorbildhafte Züge trägt. Schon als Kompilationsleistung verdient das Stück höchste Bewunderung: Die Beiträge der Kollegen und Bachs sparsame eigene Choral-Anteile fügen sich nämlich zu einem verblüffend homogenen und bruchlosen Ganzen.

Gregor Knops ebenso vitales wie präzises Dirigat inspirierte beide Ensembles zu starken Auftritten. Bestens disponiert zeigte sich sein Kammerchor Sankt Georg: kraftvoll-klare Präsenz bereits im Eröffnungssatz „Jesus Christus ist um unser Missetat willen verwundet“, punktgenaue Beweglichkeit in den kurzen dramatischen Einwürfen, mitteilsame Emphase in den wohl von Bach stammenden Chorälen „So gehst du nun, mein Jesu, hin“ und „O hilf, Christe, Gottes Sohn“, dazu bezwingende Steigerungsenergie im durch ein „Amen“-Fugato gekrönten dreisätzigen Chorfinale. Die bewährte Originalklang-Formation Churpfälzische Hofcapelle begleitete diesmal zwar in vergleichsweise kammermusikalischer Besetzung (je zwei Oboen und Fagotte plus Truhenorgel inklusive), ließ aber dennoch an Klangintensität und Farbsensibilität absolut nichts zu wünschen übrig. Das von Judith und Wolfgang Portugall organisierte Orchester erwies sich erneut als idealer Partner.

Auch die fünfköpfige Solistencrew bereitete uneingeschränkte Freude. Ein echter Glücksfall für die Aufführung war fraglos der durch eine opulente Diskografie ausgewiesene Tenor Markus Schäfer (Jahrgang 1961), der von Nicolaus Harnoncourt bis Philippe Herreweghe mit allen Koryphäen der Szene zusammengearbeitet hat. Seine geschmeidig beredten Evangelisten-Rezitative wird man als Musterbeispiele lebendigster vokaler Deklamationskunst in Erinnerung behalten. Ella Gehrmanns kaum schöner und inniger vorzustellende Sopranarien (darunter das ausgedehnte finale Händel-Juwel „Wisch ab der Tränen scharfe Lauge“) weckten den dringenden Wunsch nach einer baldigen Wiederbegegnung mit dieser charismatisch timbrierten Nachwuchssängerin.

Ähnliches galt für den mit einer unwiderstehlich sonoren Stimme und exzeptionellem Gestaltungstalent gesegneten Bassisten Jakob Krupp, der sich dem Bensheimer Publikum schon zum wiederholten Male als Paradebesetzung empfehlen konnte. Der empfindsame Tenor Nathan Fischer und die kultivierte Mezzosopranistin Lena Heun – wie Gehrmann und Krupp auch rezitativisch hervortretend – erfüllten ihre Soloparts ebenfalls mit verheißungsvoller Stilsicherheit. Am Ende gab es für dieses besondere Passionsmusik-Erlebnis in der gut zur Hälfte besetzten Stadtkirche zu Recht stehende Ovationen.

Freier Autor Besprechung klassischer Konzertveranstaltungen seit über drei Jahrzehnten (darunter als Schwerpunkte das umfangreiche regionale Kirchenmusikangebot sowie die renommierten Kammermusikreihen der Kunstfreunde Bensheim und von Forum Kultur Heppenheim)

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