Auerbach

Behindertenhilfe Bergstraße: Tag in der Werkstatt in Bensheim

Beim Tag der offenen Tür bei der Behindertenhilfe Bergstraße zeigen Menschen mit Beeinträchtigungen, wie vielfältig ihre Arbeit ist.

Von 
Lea Fiehler
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Tag der offenen Tür in der Werkstatt der Behindertenhilfe Bergstraße in Bensheim-Auerbach. © Thomas Zelinger

Bensheim. Eine Frau reckt sich in ihrem Rollstuhl nach vorne und löst ein Etikett von der Kleberolle, die vor ihr auf dem Tisch steht. Ihr Arbeitskollege greift nach einem Karton, schiebt ihn zu ihr, hält ihn fest, damit er nicht verrutschen kann. Mit beiden Händen klebt die Frau das Etikett sorgfältig an die dafür vorgesehene Stelle. Dann kommt der Karton zu den anderen auf einen Stapel. Fertig, der nächste ist an der Reihe.

Sie arbeiten in der Werkstatt der Behindertenhilfe Bergstraße (bhb) in Bensheim-Auerbach. Am vergangenen Donnerstag beim Tag der offenen Tür konnte man ihnen bei der Arbeit über die Schultern schauen. Rund 650 Menschen mit Behinderung sind an den drei Standorten Bensheim, Lorsch und Fürth beschäftigt. In Bensheim erstreckt sich das Gelände zwischen Darmstädter Straße und Schillerschule über fast zehntausend Quadratmeter.

Mirko Pöhlmann ist Bildungsbegleiter bei der bhb und führt die Besucher am Tag der offenen Tür durch Werkstatt, Berufsbildungsbereich und die Tagesförderstätte, in der Menschen mit Schwerst- und Mehrfachbehinderungen betreut werden. „Man kann ganz viele integrieren in den Arbeitsbereich“, sagt Pöhlmann. Jede Arbeit ließe sich in so viele Arbeitsschritte unterteilen, dass jeder mitarbeiten kann. „Selbst wenn jemand nur ein kleines Teil in eine Tüte packt und dann weiterschiebt, arbeitet er mit und hat ein Erfolgserlebnis.“

Im Berufsbildungsbereich der Einrichtung bereitet Pöhlmann Menschen mit Behinderung auf den Berufseinstieg vor. Nach einem Eingangsverfahren beginnt die zweijährige Ausbildung. In Schulungen, praktischen Arbeiten und Praktika in der Werkstatt sollen Menschen mit Behinderung sich ausprobieren und ihre individuellen Stärken und Interessen entdecken. Auch das soziale Miteinander und die Teamfähigkeit werden geschult, schließlich treffen hier unterschiedlichste Menschen mit leichten bis schwereren Behinderungen aufeinander. „Der größte Wunsch ist, dass unsere Leute auf den ersten Arbeitsmarkt kommen, aber das kann nicht jeder erreichen“, so Pöhlmann.

In Bensheim sind insgesamt 55 Menschen der bhb in sogenannten betriebsintegrierten Beschäftigungsplätzen – das bedeutet, sie arbeiten zum Teil in einem Betrieb außerhalb, sind aber noch in der Werkstatt angemeldet und werden dort betreut. Die meisten arbeiten nach der Ausbildung in einem Bereich der Werkstatt. In einer von insgesamt fünf Montagegruppen wird gehämmert, im Radio läuft Rockmusik. In der Montage werden Kartons zusammengesteckt, Teile sortiert und verpackt oder kleinere Werkzeuge, so einer der Gruppenleiter, „von den Jungs hier zusammenmontiert“. Die Auftragsarbeiten kommen von verschiedenen Firmen in der Region.

„Was ist, wenn sich jemand während der Arbeitszeit überlastet fühlt?“ fragt ein älterer Mann bei der Führung. Therapie- und Sportangebote während der Arbeitszeit sollen für Ausgleich sorgen. Dabei kann zwischen Musikgruppen, Kunst, Theater oder Sportangeboten wie Bowling, Fußball und Tischtennis gewählt werden.

Arbeit in der Schreinerei ist eine der anspruchsvollsten in der Werkstatt

Von einem Raum in den nächsten leitet Pöhlmann die Gruppe, vorbei an arbeitenden Menschen, die sich kaum aus der Ruhe bringen lassen. „Erzähl mal Simon, wo sind wir hier?“, fragt er einen der Auszubildenden, der die Führung heute begleitet. „In der Schreinerei!“, antwortet er und greift nach einem großen Holzstern, den er freudig über seinen Kopf in die Höhe hält. „Riesengroß! Aus Holz!“

Die Schreinerei ist neben den Montagegruppen und der Schlosserei Teil der Werkstatt in Bensheim. „Eine Schreinerei wie sie früher war“, sagt Gruppenleiter Frank Mayer. Es gibt Sägen, Bohr- und Schleifmaschinen, Fräsen. Mayer ist Schreinermeister, hat dann zwei Jahre lang eine sonderpädagogische Zusatzausbildung gemacht und gelernt, mit Menschen mit Behinderung umzugehen und sie beruflich zu fördern.

Kreative Arbeiten wandern weiter in den Kunstbereich

„Wir haben ganz verschiedene Leute mit verschiedenen Stärken“, sagt er. „Einige können hier jede Maschine bedienen. Ein anderer kann sich nichts behalten, für ihn ist jeder Tag der erste.“ Die Arbeit in der Schreinerei sei eine der anspruchsvollsten in der Werkstatt, sagt Mayer. 16 Menschen mit leichter Behinderung sind hier beschäftigt.

Er schaut einem jungen Mann über die Schulter, der vorsichtig Leim in ein Loch füllt. Dann nimmt er einen Holzstab, steckt ihn in die Öffnung und hämmert drauf – einmal, nochmal, bis er festsitzt. Fertig ist der Deko-Stern, wie es ihn in ein paar Monaten auf regionalen Weihnachtsmärkten in den Ständen der bhb zu kaufen gibt.

„Die Eigenprodukte, die Engel und Sterne, das sind Lückenfüller“, sagt Mayer. „Wir versuchen eigentlich, Aufträge von außen zu bekommen.“ Einfache Arbeiten in großen Stückzahlen, etwa Paletten für Firmen. Für die gibt es Schablonen, in die sich die zurechtgeschnittenen Holzteile ganz einfach reinlegen und miteinander verschrauben lassen. Ob am Ende der Klotz einen Millimeter weiter links oder rechts sitzt, darauf komme es nicht an, sagt Mayer.

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Die kreativen Arbeiten aber wandern weiter in den Kunstbereich, wo das Holz in bunten Farben bemalt und dann im Ladengeschäft der bhb ausgestellt und verkauft wird. Elke Frindt arbeitet seit 27 Jahren hier. Sie fördert Menschen mit Behinderung im Kontakt mit Kunden, zeigt ihnen, wie man ein Kassenbuch führt oder das EC-Gerät benutzt. Sie schätzt vor allem die Herzlichkeit und das Miteinander in der Werkstatt. „Die Hilfsbereitschaft hat mich hier von Anfang an beeindruckt“, sagt sie, „wer fitter ist, hilft wie selbstverständlich denen, die mehr Unterstützung brauchen“.

Das Werkstattkonzept wird in der breiten Öffentlichkeit auch immer wieder kritisch diskutiert - nur wenige Menschen schaffen den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt, die Entlohnung ist niedrig. Man müsse das ganz individuell sehen, sagt Frindt. Nicht für jeden sei der erste Arbeitsmarkt geeignet. „Hier werden die Menschen so angenommen, wie sie sind, ohne Leistungsdruck“, sagt sie. In der bhb gäbe es den Raum, auf die Menschen und ihre Behinderungen einzugehen und das zu fördern, was ihnen im Einzelnen liegt und Spaß macht. „Das ist nicht mit einem normalen Arbeitsplatz zu vergleichen.“

Nach außen bleiben die Werkstätten oft eine abgeschottete Parallelwelt. Der Tag der offenen Tür ist daher auch die Chance für Menschen mit Behinderung, zu zeigen, was sie dort täglich leisten. „Die Mitarbeiter sind mega stolz, wenn das gesehen wird“, sagt Frindt.

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