Bensheim. Mehr Retro Rock geht kaum. Schwere Orgelklänge flirren durchs Musiktheater Rex, die E-Gitarre setzt zu immer neuen Soli an, dazu wummernde Bassläufe und ein krachendes Schlagzeug: Die schwedische Hardrock-Band „Siena Root“ macht Station in der alten Güterhalle. Im Gepäck: das genau an diesem Tag neu erschienene, komplett analoge Doppel-Livealbum „Made in Kuba“. Ein authentisches Live-Erlebnis ohne Overdubs oder Studiotricks.
Geboten wird von den vier Bandmitgliedern Musik aus ihrem gesamten, 20 Jahre zurückreichenden Repertoire. Keiner der Songs war bisher auf dem Live-Vorgängeralbum zu hören. Kein Wunder, dass das Quartett sein Werk aus „Dynamic Root Rock Experience“ beschreibt. Gespielt wird eine Mischung aus eingängigen Rhythmen, harten Riffs, schönen Soli und besonderem Gesang.
Das Ganze ist musikalisch absolut top. Die Band entspricht in Klang und Aussehen absolut dem 70er-Jahre-Klischee mit psychedelischen Ausflügen, Ausflügen in den Progressive Rock, langen wehenden Haaren, dem ganzen analogen Equipment. Nur: Von der Bühne kommt etwas zu wenig außer dem perfekten Sound. Interaktion mit dem Publikum gibt‘s so gut wie keine. Der Auftritt erscheint etwas seelenlos-professionell.
Die Schweden wissen eben, was sie können. Das haben sie in den über 20 Jahren ihres Bandbestehens schon oft bewiesen, zuletzt im vergangenen Jahr auf dem Finkenbach-Festival. Am ehesten sticht noch Gitarrist Johan Borgström heraus, der seine Lektion Black Sabbath mit schweren Gitarren und Deep Purple mit einem Riff à la Highway Star scheinbar mit der Muttermilch aufgesogen hat.
Schlagzeuger Love Forsberg trommelt sich hinter seiner Schlagzeugbude einen ab und ist für die seltenen Ansagen verantwortlich. Der Aktionsradius von Bassist Sam Riffer ist sehr begrenzt. Er ist auch optisch eher der gemütliche Bär, der stoisch seine Arbeit verrichtet. Mehr aus ihrem Part hätte Zubaida Solid machen können. In ihrem langen gelben Mantel ist die Sängerin ein Blickfang auf der Bühne, ist dazu auch noch für die Orgel zuständig. Mit Borgström liefert sie sich interessante gemeinsame Parts.
Da der Besuch im Rex außerdem noch ausbaufähig ist, kommt die Gruppe zwar gut an, aber für die letzte Begeisterung fehlt noch der gewisse Kick. Zu hören gibt es ein Best-of der Bandgeschichte, wie sich das auf einer Live-Platte anbietet. Das fetzige „Into to woods“ hat etwa schon zwölf Jahre auf dem Buckel. „Ridin‘ slow“ von „Kaleidoscope“ geht bald ins dritte Jahrzehnt. „Root Rock Pioneers“ von 2015 definiert ziemlich gut, wie sich die vier Schweden sehen.
Vinyl, eben nicht CD oder später Streamen, ist eine Tradition, die die Band sehr schätzt. Bereits 2004 erschien ihr Debütalbum als Doppel-Vinyl. Damals lag der Boom für die gute alte Schallplatte noch in weiter Ferne und es war für eine Newcomer-Band nicht einfach, eine so kostspielige Veröffentlichung durchzuziehen. Um dieses Album noch spezieller zu machen, schnitten sie die Platte mit halber Geschwindigkeit. So ähnlich kommt der Auftritt rüber: mit angezogener Handbremse.
Eine Entdeckung ist die Aschaffenburger Band „Kant“ als Vorgruppe mit ihrem selbst definierten „Heavy-Indie-Psych“. Marius Seidel (Gitarre/Gesang), Elena Strähle (Bass), Bryan Göbel (Schlagzeug) und Nicolas Jordan (Gitarre) haben so richtig Spaß an der Sache. Inspiriert wird das Quartett von den glorreichen 70er-Jahren. Sphärische Gitarren, knalliger Bass und dynamisches Schlagzeug schaffen einen eigenen Sound mit Vintage-Effekt. Die Band ist so in ihrem Element, dass sie sogar ihre Auftrittszeit überzieht. Sie hinterlässt wie auch beim diesjährigen Finkenbach-Festival, als sie als Opener eines heißen Samstags begeisterte, einen nachhaltigen Eindruck. Da dürfte noch mehr kommen.
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