Bensheim. Seit 1996 ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar in Deutschland ein bundesweiter, gesetzlicher Gedenktag. Am Jahrestag der Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager in Auschwitz durch die Rote Armee wird in an diesem Tag an öffentlichen Gebäuden Trauerbeflaggung gesetzt, etwa indem nur auf halbmast geflaggt wird. Im Jahr 2005 erklärten die Vereinten Nationen den Tag zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.
Wie schon in den vergangenen Jahren hatte der Kreisverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zu einer Gedenkveranstaltung am Stolperstein-Mahnmal neben dem Bensheimer Bürgerbüro eingeladen, bei der ein Kranz niedergelegt wurde und Vertreter mehrerer Initiativen und Organisationen zu Wort kamen. Alle Redner machten deutlich, dass das Gedenken keine leere Pflicht, sondern eine große Verantwortung in der Gegenwart bedeutet und setzten das Motto des Kranzes „Den Toten zu Gedenken – den Lebenden zur Mahnung“ mit Glaubwürdigkeit und Nachdruck um.
Gut 50 Menschen aller Altersklassen, darunter auch die Bensheimer Bürgermeisterin Christine Klein, hatten sich bei denkbar widriger Witterung um den Stolperstein versammelt, anlässlich eines Themas, so der Kreisvorsitzende der GEW Holger Giebel bei seiner Begrüßung, „das leider nie obsolet wird“.
Sabine Allmenröder vom evangelischen Dekanat Bergstraße erinnerte an einen Besuch von Charlotte Knobloch im März 2020 in der Geschwister-Scholl-Schule. „Packen wir die Koffer?“, habe diese anlässlich des damals wenige Monate zurückliegenden rechtsextremistischen Mordanschlags auf die Synagoge in Halle gefragt – und verneint. Es gelte vielmehr, dem Hass und der Hetze entgegenzutreten, etwa wenn Verschwörungstheoretiker unter den Impfgegnern und Coronaleugnern den Holocaust relativierten. Aber, so betonte Allmenröder: „Wir müssen mit den Menschen im Gespräch bleiben, auch wenn sie sich nicht impfen lassen“.
Manfred Forell von der Initiative „Vielfalt.Jetzt!“ rief zum aktiven Auftreten gegen alle Facetten einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit auf, die immer auf der Grundlage einer Ideologie von der Ungleichwertigkeit der Menschen beruhe. So habe das „rasend schnelle Mordprogramm“ der Nationalsozialisten deshalb funktioniert, weil den Opfern das Lebensrecht von vornherein abgesprochen worden sei. Keiner der Täter habe deshalb persönliche Schuld empfunden.
Das erkläre zum Beispiel das Mitwirken von Firmen wie der Ofenbauer von Auschwitz „Topf & Söhne“. Diese seien weder fanatische Nationalsozialisten gewesen noch hätten sie unter Zwang oder Befehl gehandelt, sondern seien von dem Ehrgeiz getrieben worden, eine technische Herausforderung zu bewältigen.
„Klare Kante gegen rechts zeigen“, definierte Hilde Kille von den Gewerkschaftsfrauen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im Kreis Bergstraße als eine zentrale gewerkschaftliche Aufgabe angesichts des Wiedererstarkens der rechtsextremistischen Bedrohung, die sich auch bei den Demonstrationen der Coronaleugner und Impfgegner zeige. „Nie wieder Faschismus“, rief Günther Schmidl vom Ortsverband Bensheim des DGB am Ende seiner Rede, in der er Gedenken und Erinnerung als beste Versicherung gegen Rassismus bezeichnete. Erinnerung dürfe nicht enden und müsse auch für künftige Generationen geeignete Formen finden.
Franz Beiwinkel für den Ortsverband Heppenheim des DGB machte die kalte Menschenverachtung deutlich, mit der die Ermordung der Juden betrieben worden war, indem er Auszüge aus dem Protokoll der Wannseekonferenz im Wortlaut verlas. Hier wurde das Ziel definiert, „auf legale Weise den deutschen Lebensraum von Juden zu säubern“. Anstelle der zuvor favorisierten „Auswanderung“ der Juden (deren finanzielle Last von diesen selbst getragen werden musste), wurde nun auch die „Evakuierung nach dem Osten“ als Möglichkeit gesehen. Beim straßenbauenden Arbeitseinsatz dort wurde erwartet, dass „zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird“.
„Wie war das möglich?“, so Tony Schwarz für die GEW Bergstraße, sei seit der Befreiung von Auschwitz die Kernfrage gewesen, die jeder auch persönlich für sich beantworten müsse. Als Lehrer könne er mit Literatur und Filmen oder der Begegnung mit Zeitzeugen keine Antwort geben, doch immer wieder auf diese Frage hinweisen – und darauf, dass niemand sicher sein könne, nicht selbst dem Ungeist anheimzufallen. „Die“ gebe es nicht, erkläre er seinen Schülern, nicht „die Gymnasiasten“ oder „die Impfgegner“ oder „die Frauen“, die nicht einparken könnten. „Die“ führe immer zu Distanz und mache Schuldzuweisungen einfach und ende beim schlimmsten aller Sätze: „Die Juden sind unser Unglück“.
Es gelte, sich nicht aufhetzen zu lassen und sich zugleich dem Unrecht entgegenzustellen und den Anfängen zu wehren: Einerseits achtsam in der Sprache und im Handeln und indem man stets Artikel 1 des Grundgesetzes hochhalte: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Außerdem aber gelte: „Nie wieder Krieg.“ Die Rolle unseres Landes sei es zu vermitteln und nicht schleichend zu militarisieren.“
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