Bergstraße. Nach 19 Jahren als Vorsitzende des Vereins Frauenhaus Bergstraße kandidierte Christine Klein nicht mehr für ein Amt an der Vorstandsspitze. Die Bensheimer Bürgermeisterin hatte diesen Schritt bereits seit längerem angekündigt und eine Nachfolgerin vorgeschlagen: Am Montag votierte die Mitgliederversammlung einstimmig für Martina Evertz. Die Juristin aus Bensheim ist bis zum Beginn ihres Ruhestands im kommenden Jahr in der Verwaltung des Staatlichen Schulamts in Heppenheim tätig.
Zur Stellvertreterin wurde die bisherige Kassenwartin Konstanze Hiemenz aus Einhausen gewählt. Schriftführerin bleibt Renate Tietz aus Lindenfels. Die Finanzen werden ab sofort von Brigitte Schmidt-Drawitsch (Heppenheim) verwaltet. Sie war in den vergangenen zwei Jahren als Beisitzerin im aktiv. Im erweiterten Vorstand agieren jetzt Kleins bisherige Stellvertreterin Maria Heeß und das langjährige Vorstandsmitglied Heidrun Kübler. Neu in der Riege der Beisitzerinnen ist Silke Naue aus Lorsch. Alle Wahlen erfolgten ohne Gegenstimmen. Kassenprüferinnen sind Brigitte Sander und Sibylle Römer.
Dank an Christine Klein
Christine Klein habe in fast zwei Jahrzehnten mit viel Beharrlichkeit und Einsatz für die Belange des Frauenhauses gekämpft und das Thema häusliche Gewalt in die Bevölkerung kommuniziert, so Konstanze Hiemenz, die der langjährigen Vorsitzenden im Namen des Vereins dankte. Unter Kleins Ägide wurde unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit ausgebaut und das Benefizkonzert mit Bergsträßer Künstlern im Parktheater etabliert. Auch die Schaffung einer hauptamtlichen Geschäftsführerin geht auf ihre Initiative zurück, betonte Hiemenz. Seit Oktober 2020 besetzt Angelika Frank diese Position.
Damit verlagert die Einrichtung einen Großteil der Aufgaben vom ehrenamtlichen in den hauptamtlichen Bereich. Das Frauenhaus wird in erster Linie über öffentliche Mittel finanziert. Neben der Förderung durch das Land Hessen erhält der Verein vom Kreis einen Zuschuss zu den Personal- und Sachkosten.
Die Diplom-Verwaltungswirtin und -Sozialarbeiterin besetzt eine halbe Stelle. Dafür stellt der Kreis Bergstraße zunächst drei Jahre lang jeweils 35.000 Euro zur Verfügung. Allerdings ist der Zuschuss an ein (bereits erstelltes) Konzept zur Reduzierung der Verweildauer gebunden. Eine Prämisse, die im Verein nach wie vor auf Unverständnis stößt: Christine Klein verwies auf den Mangel an preisgünstigem Wohnraum. Von den 36 Frauen, die das Haus in 2020 verlassen haben, konnten nur 13 eine eigene Wohnung beziehen. Die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt sei ein gewichtiger Grund für die durchschnittlich knapp zwölfmonatige Aufenthaltsdauer, sagte Klein.
Auch im Haus selbst mussten die Bedingungen an die Corona-Situation angepasst werden – keine leichte Aufgabe in einer recht kompakten Gemeinschaftseinrichtung mit elf Familienzimmern. Laut Vorstand habe man zügig Abstands- und Hygienekonzepte integriert, um einen maximalen Schutz zu gewährleisten. Bis heute habe es keinen einzigen nachweisbaren Fall einer Infektion gegeben, so Klein: „Dann hätten wir das Haus schließen müssen.“ Dennoch haben einige Frauen die Einrichtung aus Angst vor dem Virus verlassen und waren in die häusliche Situation zurückgekehrt, heißt es im Jahresbericht.
35 Frauen fanden Schutz
Im vergangenen Jahr fanden im Frauenhaus Bergstraße laut Mitarbeiterin Iris Tremel 35 Frauen mit 29 Kindern Schutz, Begleitung und Beratung. Darunter 15 Frauen aus dem Kreis Bergstraße. 69 Frauen mit 71 Kindern konnten aber nicht aufgenommen werden. Ähnlich sah es 2019 aus: zirka 70 Prozent der Hilfesuchenden mussten aufgrund begrenzter Kapazitäten abgewiesen werden. Ob diese Frauen anderswo Schutz gefunden haben oder weiterhin häuslicher Gewalt ausgesetzt waren, muss unbeantwortet bleiben. Corona hatte zudem dazu geführt, dass die Belegung reduziert wurde, um die Möglichkeit einer Quarantäne offen zu halten.
Corona-Zeiten „gut gemanagt“
Für 2020 meldet das Frauenhaus eine Auslastung von knapp 88 Prozent. Der scheinbare Widerspruch zwischen der Zahl der Absagen und der nicht hundertprozentigen Auslastung des Frauenhauses erkläre sich neben der Corona-Situation auch durch die Leerstandstage zwischen Auszug und Neuaufnahme, so Iris Tremel.
Raumnot dauert an
Insgesamt habe man die Pandemie in Anbetracht der Umstände bislang „sehr gut gemanagt“, so Christine Klein. Mit Einschränkungen konnte auch der Deutschunterricht für Frauen und die Hausaufgabenhilfe im Corona-Jahr weiter angeboten werden.
Vier pensionierte Lehrerinnen haben sich diese Aufgabe bisher geteilt. Weitere Kollegen werden gesucht. Trotz vieler organisatorischer Herausforderungen habe die Krise auch bewirkt, dass das Angebot als systemrelevante Einrichtung deutlicher wahrgenommen wurde, heißt es aus dem Verein, der aktuell 121 Mitglieder zählt. Damit zeigt sich eine leicht ansteigende Tendenz.
Seit 1986 verfolgt der Verein das Ziel, Maßnahmen zur Hilfe und zum Schutz misshandelter Frauen und Kinder durchzuführen. Im Juni 1988 wurde das Frauenhaus Bergstraße eröffnet. Seitdem wurden dort rund 1600 Frauen mit 1500 Kindern aufgenommen. Die Raumnot dauert an.
Sanierung soll bis zum Jahr 2023 abgeschlossen sein
Die Sanierung der Räumlichkeiten im Frauenhaus Bergstraße wurde bereits 2016 angestoßen. Eine dringende Investition, so Christine Klein. Denn die bestehende Einrichtung ist 33 Jahre alt, und bislang wurden lediglich kleinere Reparaturen durchgeführt.
Gemeinsam mit dem Gebäudemanagement des Kreises Bergstraße hat der Verein die Komplettsanierung geplant, per Kreistagsbeschluss wurden die Mittel bewilligt. Im Mai begannen die Maßnahmen unter laufendem Betrieb. „Wir mussten einige Kröten schlucken“, kommentierte Klein den bisherigen Planungsprozess. Durch einen Neubau am Standort fällt ein Teil des großen Gartens weg. Dies sei bedauerlich, doch die Vorteile der angestammten Adresse mit ihrer zentralen Lage seien letztlich ausschlaggebend gewesen.
2,8 Millionen Euro investiert der Kreis in das Projekt. Die Arbeiten sollen bis zum zweiten Quartal 2023 abgeschlossen sein. Erster Schritt ist das Erweiterungsgebäude für die Verwaltung. Das einstöckige Objekt wurde in Abstimmung mit dem Denkmalschutz geplant. Durch die Auslagerung der Verwaltung ergebe sich die Möglichkeit, im Bestandsgebäude die sanitären Anlagen und Bäder auszubauen und die Wohnsituation anzupassen, so Christine Klein.
Die Sanierung des historischen Baus ist als nächste Etappe vorgesehen, es folgen das Kinderhaus und die weiteren Bestandteile des Ensembles. Klein betonte auch die Probleme, die bei einer Sanierung während des laufenden Betriebs unumgänglich seien.
Eine Auslagerung der Bewohnerinnen und Kinder sei aber nicht nur räumlich schwierig, sondern auch kostspielig. Klein kalkuliert für eine solche Option mit mehr als 80.000 Euro. Zudem würden Mieteinnahmen in Höhe von rund 20.000 Euro wegfallen.
Viel Geld für den Trägerverein, der neben der Förderung durch die öffentliche Hand vor allem auf Mitgliedsbeiträge, Bußgeld-Zuweisungen über Finanzamt und Gerichte sowie Spendeneinnahmen angewiesen ist. Hier verzeichnet der Verein im laufenden Jahr bislang eine rückläufige Entwicklung im Vergleich zu 2020. tr
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