Bensheim. Kinder will sie nie bekommen. Nicht in dieser Welt. Der vielleicht traurigste Kommentar von Ananda Klaar in Bensheim. Die 19-jährige Aktivistin sagte, dass sie auf einer immer stärker überbevölkerten Erde in einer dramatischen Klimakrise nicht noch mehr Verantwortung übernehmen könne.
Ansonsten aber will die junge Frau nicht resignieren und weiter gegen eine Gesellschaft ankämpfen, in der junge Menschen – so betont sie – auf vielen Ebene marginalisiert und ausgegrenzt werden. „Politik wird von Alten für Alte gemacht“, so Klaar im Parktheater, wo am Donnerstagvormittag die letzte Veranstaltung des Bensheimer Lesefestivals stattgefunden hat.
Ein Stück Gesellschaftskritik
Es war keine Lesung im herkömmlichen Sinne, sondern ein politisches Gespräch über die Inhalte ihres Buchs „Nehmt uns endlich ernst!“, das im letzten Herbst erschienen ist. Darin fordert die Autorin in acht Kapiteln und einer finalen Hoffnungsbotschaft mehr Teilhabe für ihre Generation. Ein Stück Gesellschaftskritik – aber auch ein Aufruf, um der jungen Generation die Chance zu geben, ihre eigene Zukunft zu retten.
„Den älteren Generationen fehlt ein Bewusstsein für die Probleme der Jüngeren“, sagte sie im Gespräch mit Moritz Müller, studierter Politikwissenschaftler und Ethnologe und Fraktionsvorsitzender der Grünen in der Bensheimer Stadtverordnetenversammlung. Zuhörer waren mehrheitlich Oberstufenschüler aus dem AKG und dem Goethe-Gymnasium.
Klaars zentraler Ansatz: In Deutschland wird eine Politik für eine Generation gemacht, die sich den Folgen ihres Handels nicht mehr stellen muss. Das ist allein schon aus demografischen Gründen nicht zu widerlegen, doch will sich die Aktivistin – unter anderem bei „Fridays for Future“ und „Black Lives Matter“ – nicht mit Anschuldigungen begnügen, sondern auch Perspektiven aufzeigen und gemeinsam über alle Generationen hinweg tragfähige Lösungen finden.
Ihr Artikel in der Zeitung „Die Zeit“ mit dem Titel „Zählt nicht länger auf unsere Selbstlosigkeit!“ löste im Sommer 2021 eine erhitzte Debatte darüber aus, inwiefern die Jugend das Recht hat, gegen die Alten das Wort zu erheben. „Es ist absurd, wie egal wir auf einmal allen waren“, heißt es darin in Bezug auf den Schulunterricht in Corona-Zeiten. In der Pandemie sei einmal mehr deutlich geworden, wie sehr die Jugend systematisch benachteiligt werde. Eine Folge: die Zunahme von psychischen Krankheiten.
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Der Essay war auch die Keimzelle des Buchs, wie die 2003 am Bodensee geborene Frau erzählt, die im kommenden Jahr ein Studium der Politikwissenschaften in Leipzig beginnen möchte. Ein Jahr später als geplant, weil die Abiturnote nicht gut genug war. Durch die Arbeit am Buch habe die Schule gelitten, sagt sie. Die Wartezeit will die aktive Jungsozialistin unter anderem nutzen, um ihren Erstling zu promoten.
Bereits während ihrer Schulzeit engagierte sie sich für die Klimaproblematik und organisierte Demonstrationen für einen schnellen Ausstieg aus der Kohleenergie. In Bensheim appellierte sie für mehr politisches Engagement im schulischen Kontext, eine stärkere Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen bei der Mitgestaltung des öffentlichen Raums und einen neuen literarischen Kanon im Gymnasium: „Goethe und Schiller sind heute nicht mehr zeitgemäß!“
„Aufschrei gegen die Alten“
Auch das Vertrauen der jungen Generation in Politiker und andere Entscheidungsträger sei verloren gegangen – sofern es für einen 16- oder 17-Jährigen überhaupt jemals existiert habe. Ihre Forderung: Generationengerechtigkeit jetzt!
Die tiefen Risse könnten nur von den Alten gekittet werden, es brauche eine gesamtgesellschaftliche Solidarität ohne Ausschluss der unter 18-Jährigen. Das Buch spiegelt sicherlich die Gefühlslage vieler junger Leute, wie teilweise auch im Parktheater deutlich wurde, wo die Gäste in den Dialog einbezogen wurden.
Ananda Klaars „Aufschrei gegen die Übermacht der Alten“ – so der Untertitel – ist ein interessanter und authentischer Blick in die Köpfe einer Generation, die ausbaden und auslöffeln muss, was ihr die Eltern und Großeltern eingebrockt haben.
Literarisch eher schlicht und inhaltsbezogen, aber dennoch ein lauter jugendlicher Appell an die Vernunft der Masse, eine Gesellschaft mit mehr Teilhabe für alle zu ermöglichen. Wer täglich über die Zukunft rede, der dürfe doch diejenigen nicht ausschließen, die sie gestalten.
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