Bensheim. Wohl auch dank des prominenten Gastes Johannes Matthias Michel konnte Organisator Christian Mause zum Auftakt der 27. Bensheimer Orgelwochen fast 100 Besucher in der Michaelskirche begrüßen. Der 1962 geborene Musiker ist eine universale Koryphäe seines Faches: als Mannheimer Christuskirchenkantor (seit 1999) und stellvertretender badischer Landeskirchenmusikdirektor (seit 2021), als Professor für künstlerisches Orgelspiel an der Mannheimer Musikhochschule (seit 2012), als weltweit gefragter Konzertorganist mit inzwischen über 1000 Auftritten, nicht zuletzt als konstant produktiver Komponist (etwa 400 Werke) wie als Protagonist von rund 20 CD-Aufnahmen mit oft besonderem Repertoire für Orgel und Kunstharmonium.
Bei seiner lang erwarteten Rückkehr zu den Orgelwochen musste Michel leider wegen eines kurzfristigen technischen Defekts am Instrument auf angekündigte Stücke von Mendelssohn und Widor verzichten. Stattdessen aber durfte sich das Publikum über eine erheblich erweiterte Bach-Auswahl freuen, die der Organist mit der dreisätzigen C-Dur-Toccata BWV 564 in entspanntester Spiellaune eröffnete. Neu im Programm war auch das deutlich weniger bekannte Choraljuwel „Wir glauben all an einen Gott“ BWV 740, dessen fein verinnerlichte Fünfstimmigkeit sich wunderbar ausgewogen mitteilte. Weitere einprägsame Bach-Raritäten folgten in Gestalt der nur fragmentarisch überlieferten Sätze „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ BWV 715, „Jesu, meine Freude“ BWV 753 und „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ BWV 764: Michel selbst hatte alle drei Miniaturen sehr überzeugend ergänzt.
Im Programmblock mit eigenen Kompositionen des Mannheimer Gastes fand man zunächst das eigentlich vorgesehene Werk „Jakobs Traum“ von 2023 durch die einsätzige Sonate „Jesus stillt den Seesturm“ für Solopedal und hinzutretende Sprechstimme aus dem Jahre 2015 ersetzt. Dieser originelle Fünfminüter erwies sich als mindestens ebenso hörenswerte Alternative: ein echtes Kabinettstück in Sachen Pedalvirtuosität, bei dessen wortmächtig unterstützten Klangimpressionen Michel allemal filmmusikalische Qualitäten offenbarte.
Unbedingt repertoiretauglich erschienen auch die vier „Jesaja-Meditationen“ von 2024: jazznahe rhythmische Vitalität in „Die Berge fallen dahin“, delikater Spiritual-Touch in „Im finstern Lande scheint es hell“, suggestive deklamatorische Verdichtung in „Zerreisset die Himmel“ wie im sanft schließenden Finalsatz „Seine Gerechtigkeit gehe auf“.
Ein herausragender Coup gelang Michel mit der konzertkrönenden g-moll-Sonate opus 1 von Christian Fink (1831-1911), dessen Name gar erstmals bei den Bensheimer Orgelwochen auftauchte. Der einstige Esslinger Stadtkantor hat ein reiches Orgeloeuvre hinterlassen (unter anderem fünf Sonaten), das jedenfalls ausweislich seines 1853 entstandenen Erstlings jede Wiederentdeckung verdient.
Michels mitreißend beseelte und beredte Interpretation ließ keinen Zweifel daran, dass dieses ebenso eingängige wie formgewandte Werk mit seinem effektvoll den Morgenstern-Choral integrierenden Prachtfinale als Alternative etwa zu Mendelssohn oder Rheinberger fest zum organistischen Standardrepertoire gehören sollte. Umso mehr mochte man nach diesem anhaltend beklatschten Programmausklang den Verzicht auf eine Zugabe bedauern.
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