Bensheim. Eine riesige Echse kriecht auf die Bühne, zwei (Adams-)Äpfel hängen von der Decke. „Woher kommen wir?“, erklingt eine Stimme aus dem Off – während die Evolution beginnt und die Symbole der christlichen Schöpfungsgeschichte unberührt herumbaumeln.
Aus der Echse wird im Takt der Musik ein Mann. Wirklich ein Mann? Oder doch eine Frau? Das ist die Frage. Und schon ist das Atze Musiktheater aus Berlin mitten drin im Thema.
„Darüber spricht man nicht“
Wie können Mann und Frau eigentlich unterschieden werden? Wie kommen die Babys auf die Welt? Gekauft in der Kinderabteilung des Kaufhauses? Gepflückt im Kinder-Garten? Oder liefert doch der Storch frei Haus?
„Darüber spricht man nicht“ beantwortet all diese Fragen – klar und verständlich. Als das Stück des Theaters Rote Grütze 1973 auf die Bühne kam, sorgte das für einen Skandal. Das Atze-Ensemble aus dem Wedding hat den einstigen Aufreger aus der Nachbarschaft etwas modernisiert und in der Regie von Göksel Güntel neu inszeniert. Am gestrigen Vormittag gastierte die Atze-Crew im Parktheater und brachte das mit Grundschülern besetzte Haus ziemlich in Wallung.
Figen Türker, Guylaine Hemmer und Moritz Ross wirbelten zur Live-Musik von Carsten Klatte im Cross-Dressing-Look durch die Location, bewegten sich singend und tanzend in verschiedenen Rollen über die Bühne. Das Trio erörterte Interessantes auch mal in aller Stille in der Badewanne oder rannte durch die Ränge und bezog die Kinder in ihr Spiel mit ein, etwa bei der Suche nach Bezeichnungen für primäre und sekundäre Geschlechtsorgane.
Es ging um Neugier, Scham, die höchstpersönlich einen Gastauftritt hatte, Liebe, Lust und ums Kinderkriegen. Es ging darum, dass Mann und Frau, ob verheiratet oder unverheiratet, zusammenfinden müssen, damit neue Erdenbürger heranwachsen können. Und es ging um das wunderbare Geschenk des Lebens. „Ist das nicht Wahnsinn, dass wir alle hier sind?“, fragte Figen Türker und ging gleich mal auf große Tour durch die Reihen, um den jungen Zuschauern zu ihrem großen Glück zu gratulieren.
Wie dieses Leben entsteht, wurde dem Publikum erklärt, samt einer „Live-Geburt“, bei dem sich das Baby aus einer Art Wurf-Zelt, das Bauch und Unterleib darstellte, nach draußen kämpfte. Das kurzweilige, spaßige Aufklärungs-Seminar beinhaltete zudem einen Exkurs zur Verhütung.
Wie peinlich es sein kann, wenn plötzlich die Sportlehrerin im Turnhallen-WC auf der Nachbar-Toilette Platz nimmt und man deswegen nicht mehr pinkeln kann, sorgte für einige Erheiterung im Auditorium. Zu einem neuen, wichtigen Aspekt des Stücks gehört die Aufklärung über Missbrauch und dass Kinder „Halt“ und „Stopp“ sagen und eine eigene Privatsphäre einfordern sollen und dürfen. Die Gleichberechtigung von Frau und Mann sowie die Gleichheit aller Menschen wurden ebenfalls thematisiert.
In „Darüber spricht man nicht“ werden alle Bereiche der sexuellen Aufklärung besprochen – ohne Tabu.
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