Bensheim. Alternative Antriebs- und Energiekonzepte haben ihn schon immer fasziniert: In den 90er Jahren hat Helmut Schiller besonders leistungs- und reichweitenstarke Elektro-Roller entwickelt. Seither sind es Unterwasserturbinen, denen der Unternehmer und Produktentwickler seine ganze Aufmerksamkeit widmet.
Mit Erfolg: 2008 reicht er die ersten Patentanmeldungen für seine "Sustainable Underwater Turbine" - kurz SUT - ein. Zwei Jahre später wird der Bensheimer Einmann-Betrieb für die renommierte Diesel-Medaille nominiert, die höchste deutsche Auszeichnung für technische Entwicklungen und Erfindungen. Kategorie: Nachhaltige Innovationen.
Optimierung eines Prinzips
Schillers Konzept ist die Optimierung eines Prinzips. Er produziert Energie aus der Wasserströmung. Elektrischer Strom aus Meeren und Flüssen. Für die nötige Bewegung sorgen die Gezeiten beziehungsweise die Fließgeschwindigkeit. Ähnlich eines Windkraftwerks setzen die Strömungen unter Wasser mechanische Propeller in Gang.
Als Konkurrenzprodukt versteht Schiller seine Geräte nicht. Eher als Ergänzung. Nicht erst seit der Ebbe der Atomkraft setzt Schiller auf die Flut. Jahre vor Fukushima erkennt er das Potenzial kompakter und ausgeklügelter Turbinentechnik, um die natürlichen Wasserbewegungen optimal ausnutzen zu können.
Ausgeklügelte Turbinen-Technik
Mit etwa eintausend solcher Kleinstkraftwerke ließe sich die Dauerleistung eines Atomreaktors ersetzen, erklärt er in seinem Bensheimer Büro. Etwa 500 Kilowatt erzeugt eine Anlage bei einer durchschnittlichen Flussströmung von vier Metern pro Sekunde. An geeigneten Hochseestandorten ist das Doppelte möglich. "Und zwar umweltverträglich", wie der Bauherr hinzufügt.
Helmut Schiller rechnet vor: Bei 400 Anlagen auf einem Quadratkilometer Meeresboden ist eine Leistung von bis zu 400 Megawatt möglich. Die Sache ist wirtschaftlich interessant, da die Stromproduktion nur etwa zwei Cent pro Kilowattstunde beträgt. Der Endverbraucher zahlt heute zwischen 15 und 20 Cent.
"Gezeitenkraftwerke profitieren grundsätzlich davon, dass man heute Wasserbewegungen sehr präzise orten und vorhersagen kann", so der Erfinder. Dadurch können die Anlagen punktgenau platziert werden.
Schiller hat das große Vorbild der zweiflügligen Turbine, die nicht selten 16 Meter Durchmesser aufweisen, kleiner und wirksamer gemacht. Sein schlankes Modell aus speziell bearbeiteter Glasfaser bringt es komplett auf knapp vier Meter Durchmesser. Die Turbine selbst ist nur etwa ein Meter groß.
Einsatzorte in Irland
Prinzipiell sind die SUT überall einsetzbar. Helmut Schiller hat sich für Irland entschieden. Dort hat er gemeinsam mit Investoren eine Stromgesellschaft gegründet - grüner Strom am Strand der grünen Insel. Nach etliche Messungen und dem Ausloten der gesetzlichen Rahmenbedingungen war der Standort gefunden. "Es gibt gute Förderprogramme", so der Ingenieur.
Thema Naturschutz
Etwa an den Ostfriesischen Inseln oder an der französischen Atlantikküste. Auch Japan wäre ein perfekter Standort, dort ist die Strömung in manchen Bereichen über sechs Meter die Sekunde schnell. "Mit den Turbinen am richtigen Ort könnte man das ganze Land versorgen."
Und was sagen die Fische dazu? Das Thema Naturschutz hat Schiller im Voraus eingeplant. Damit die Tiere nicht gehäckselt werden, ist jede Turbine mit einem Schutzgitter ausgestattet. Bei dem Irland-Projekt sind auch die Fischer eingebunden. Sie sind bei der Platzierung der Kraftwerke beteiligt, die durch eine intelligente Streuung in der Fläche die Gezeiten etappenweise ausnutzen. So erreichen sie eine hohe Kontinuität bei der Stromproduktion.
"Gebaut werden sollen die Anlagen überwiegend in Bensheim und Umgebung", sagt er im Gespräch mit dem BA. In den kommenden zwölf Monaten werden die Prototypen gefertigt und an ausgewählten Standorten getestet. Danach will Schiller die Produktion schrittweise anfahren. Bereits im Zuge der Patentanmeldung vor vier Jahren wollte er groß einsteigen. Damals hat ihm die Finanzkrise einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Investoren hatten kalte Füße bekommen.
Im Gegensatz zu anderen Unterwasserturbinen konzentriert ...
Im Gegensatz zu anderen Unterwasserturbinen konzentriert Schillers Modell die Energie des Wassers auf eine kleinere Fläche und bewirkt so eine Erhöhung der Leistungsdichte und des Wirkungsgrads.
Den hat sich der Entwickler von Experten für Strömungstechnik wissenschaftlich bestätigen lassen: Im Vergleich zu einer frei umströmten Turbine erreicht die SUT eine Leistungssteigerung um das Zwei- bis Dreifache.
Durch die baulich erzeugte Sogwirkung wird die Strömungsgeschwindigkeit im Innern nahezu verdoppelt, verantwortlich ist der Unterdruck hinter dem Propeller.
Daher können die Anlagen auch in langsam fließenden Gewässern ab zwei Metern pro Sekunde eingesetzt werden.
Zwei konische Rohre im hinteren Bereich geben dem strömenden Wasser zusätzlich Tempo und optimieren so das effiziente Gesamtprinzip. tr
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