Bensheim. Eigentlich sollte es ein Vortrag über die Projekte des hessische Gustav-Adolf-Vereins in Siebenbürgern/Rumänien werden, doch es gab technische Probleme. Dennoch gab das jüngste Kirchturmgespräch der evangelischen Michaelsgemeinde einen interessanten Einblick in die Arbeit des Gustav-Adolf-Werks (GAW), die weit über die heimischen Kirchtürme hinausgeht.
Referent Gerhard Hechler, früherer Pfarrer der evangelischen Gemeinde Jugenheim und ehemaliger Vorsitzender der hessischen GAW-Gruppierung, konnte aus eigenen Erlebnissen und Erfahrungen einiges berichten.
Hintergrund: Das Gustav-Adolf-Werk
Das 1832 in Leipzig gegründete Gustav-Adolf-Werk ist das älteste evangelische Hilfswerk überhaupt. Namenspatron wurde der schwedische König Gustav II., der durch sein Eingreifen in den Dreißigjährigen Krieg, der auch ein Glaubenskrieg war, erreicht hatte, dass der evangelische Glaube in Deutschland nicht verdrängt werden konnte.
Gustav Adolf starb 1632 in der Schlacht bei Lützen, in der Nähe von Leipzig. 200 Jahre später wurde in Leipzig das nach ihm benannte Hilfswerk, die Gustav-Adolf-Stiftung, gegründet.
Die erste finanzielle Hilfe ging ein Jahr später an die lutherische Siedlungsgemeinde Karlshuld bei Ingolstadt. 1841 erfolgte in Darmstadt die Gründung eines Diasporavereins, der sich 1842 mit der sächsischen Stiftung zusammenschloss.
Ab 1946 wird die Arbeit des Vereins unter dem Namen „Gustav-Adolf-Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland“ fortgeführt
Im geteilten Deutschland ist die Arbeit auf die Gruppen Ost und West aufgeteilt, aus der dann 1992 im vereinten Deutschland eine Neugründung erfolgt und die Zentrale in Leipzig eingerichtet wird.
2010 startet das GAW Hilfeleistungen für evangelische sowie orthodoxe Christen im Nahen Osten. 2016 feierte die hessische GAW-Gruppierung in der Stadtkirche Darmstadt ihr 175-jähriges Bestehen.
2018 ehrte das Gustav-Adolf-Werk Hessen Nassau in Worms Bundespräsident a.D. Joachim Gauck in Anerkennung seines besonderen Engagements für Freiheit, Verantwortung und Toleranz mit dem Gustav-Adolf-Preis.
Überreicht wurde der Preis durch den damaligen Vorsitzenden Gerhard Hechler, der sein Amt im Mai 2021 niedergelegt hatte. js
So hatte Hechler beispielsweise in der russischen Partnerkirche des GAW in Sankt Petersburg („eine der schönsten Städte der Welt“) über mehrere Monate den dortigen Pfarrer vertreten und besuchte die Partnerkirchen in Usbekistan und Tadschikistan.
Osteuropa, Asien, Lateinamerika
Überall in den weltweit angesiedelten Partnerkirchen des Gustav-Adolf-Werks – vorwiegend im östlichen Europa, aber auch in Asien und Lateinamerika – geht es um die Unterstützung und Förderung der evangelischen Minderheiten. Dazu gehört sei 25 Jahren eine besonders intensive Partnerschaft zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Usbekistan. In der dortigen Hauptstadt Taschkent wurde auch mit Hilfe des GAW die im Laufe der Jahre ziemlich „verwahrloste“ Kirche wieder neu belebt.
Der Innenraum der Kirche erhielt einen neuen Anstrich, Dach und Sanitärräume wurden erneuert und im Außenbereich wurde das Gotteshaus von Wildwuchs befreit. Die „Vorher-Nachher-Bilder“ gaben einen Eindruck von der bemerkenswerten Verwandlung.
Zu Zeiten des Sozialismus waren in Usbekistan wie in der Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten Kirchen verboten. Die kirchlichen Gebäude wurden auf Privatpersonen übertragen. Die Rückübereignung gestaltete sich nicht einfach, da die Eigentümer inzwischen ausgewandert oder gestorben sind. Nicht immer ist eine Rückübereignung auch sinnvoll, da die Renovierung und der Unterhalt der Kirchengebäude von den meist kleinen Kirchengemeinden nicht zu stemmen sind. So bezeichnete es Hechler auch als Glücksfall, dass die riesige Kirche in St. Petersburg dem Staat gehöre.
Aus seiner Vertretungszeit dort weiß der deutsche Pfarrer, dass die Mentalität der Russen eine ganz andere ist. Den Gottesdienst habe er in Deutsch gehalten, aber da die Deutschkenntnisse der Kirchenbesucher sehr unterschiedlich seien, werde die Predigt von einer Dolmetscherin übersetzt.
Sehr beliebt sei deutsche Kirchenmusik („ist der Renner“) und so seien viele Kirchen auch zur Kulturstätte geworden – und mit Hilfe von Orgelkonzerten könnten Einnahmen erzielt werden.
Mitgebracht hatte Gerhard Hechler ein Dankschreiben der Evangelischen Kirche in Rumänien. Hier unterstützt die hessische GAW-Gruppe ein Kinderhospiz in Sibiu/Hermannstadt und ein Altersheim. Mit Hilfe der eingegangenen Spenden konnte beispielsweise eine dringend benötigte Industrie-Waschmaschine angeschafft werden.
Wie Hechler feststellte, sei die soziale Situation in Siebenbürgen „ganz schlecht“. Die Menschen seien alleingelassen und Hilfe dringend notwendig. Durch die verlässlichen Partner vor Ort werde gewährleistet, dass die jeweiligen Spendengelder auch eins zu eins dort ankommen, wo sie hingehören.
Das Gustav-Adolf-Werk fördert seine 50 Partnerkirchen jährlich mit rund zwei Millionen Euro, die im Laufe des Jahres mit Landeskirchenkollekten, Sonderkollekten bei verschiedenen Gottesdiensten, GAW-Jahresfesten, Veranstaltungen und Vorträge gesammelt werden.
Auch in der Michaelsgemeinde wird über das Jahr gesammelt. Was da an Spenden zusammenkommt, waren beispielsweise im vergangenen Jahr über eine halbe Million Euro, wie der im aktuellen Gemeindebrief abgebildete „Spendenbaum“ zeigt. Den weitaus größten Anteil machen die Spenden für die Hahnmühle-Stiftung der Kirchengemeinde aus, die mit über 400 000 Euro groß ausfiel. Unter den insgesamt elf Spendenempfängern ist jedes Jahr auch das Gustav-Adolf-Werk, in das im vergangenen Jahr 880 Euro aus den Kollekten floss.
Zum Abschluss des Kirchturmgesprächs im Gemeindehaus wies Pfarrer Christoph Bergner auf das nächste Kirchturmgespräch am 23. März hin. Unter dem Motto „Stolpersteine für Goethe-Schülerinnen“ wird eine Projektgruppe aus dem Goethe-Gymnasium über ihre Recherchen zu ehemaligen Goethe-Schülerinnen und -Schüler, die im Zuge des Nationalismus deportiert wurden, berichten. Für Bergner hat das Datum des Kirchturmgesprächs im März ein ganz besondere Bedeutung, da am 23. März vor 80 Jahren die Deportation der Bensheimer Juden begonnen habe.
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