Bensheim. Welche Bedeutung Kultur für eine Gesellschaft hat, ließ sich in den vergangenen Monaten wie unter einem Brennglas beobachten. Konzerte mussten wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden, Festivals fielen ins Wasser, Bühnen und Säle verwaisten. Potenziellen Zuschauern und Fans verhagelte es massiv die Laune, es fehlte an Ausgleich und Abwechslung vom Krisenalltag.
Was für viele unangenehm und ärgerlich war und ist, erweist sich für die Menschen, die von der Kultur leben, als Katastrophe und Bedrohung ihrer Existenz. Damit sind sie mit Blick auf andere Branchen nicht allein. Aber während anderswo die Produktion hochgefahren werden konnte, herrscht bei den kreativen Köpfen im Land noch immer nahezu wirtschaftlicher Stillstand.
Kein „Heppening“ im Oktober
In Bensheim lässt sich das exemplarisch an Harry Hegenbarth mit seiner Showmaker-Agentur und dem Musiktheater Rex, das von Margit Gehrisch und Martina Wagner betrieben wird, festmachen. Hegenbarths Festivals-Bilanz liest sich in diesem Sommer wie eine Pleitenserie des HSV – 0:7. Sieben Großveranstaltungen hatte er zwischen Mai und Oktober geplant. Anbieten konnte er davon Null. Zuletzt sagte er das eigentlich für den 2. Oktober vorgesehene „Heppening“ in Heppenheim ab.
Durch das Aus für den Showmaker-Sommer gingen nicht nur Einnahmequellen verloren. Auch Ausgaben, die man bereits hatte, konnten nicht refinanziert werden. Und für lustige und erstklassige Live-Stream-Aktionen erntet man zwar viel Beifall, aber selten finanziellen Ertrag.
Im Musiktheater Rex könnte man ebenfalls ausführlich ein Lied davon singen, welche Folgen das Coronavirus und die damit verbundenen Einschränkungen haben. Seit Mitte März sind in der alten Güterhalle an der Fabrikstraße die Stecker gezogen. Die Betriebskosten (wir haben berichtet) verschwinden trotz Sparkurs allerdings nicht.
Um die Misere für Kultur, aber auch Gastronomie etwas zu mildern, hat der Kreis (wie auch die Stadt Bensheim) ein Corona-Hilfspaket geschnürt. Jeweils 100 000 Euro wurden zur Verfügung gestellt. Landrat Christian Engelhardt ist in diesen Tagen deshalb in der Region unterwegs und verteilt die Förderbescheide. Am Freitag kam er nach Bensheim, um Harry Hegenbarth und Martina Wagner die Unterstützung offiziell zukommen zu lassen. Showmaker erhielt für sechs abgesagte Festivals (das siebte wird in Pfungstadt und damit nicht im Kreisgebiet veranstaltet) insgesamt 30 000 Euro. 27 000 Euro als Zuschuss und 3000 Euro als Sponsoring – für diese Summe wiederum erhält die Behörde Gutscheine für künftige Festivals oder Konzerte, die man an Corona-Helfer verteilen will. Wer in den Genuss kommt, soll laut Engelhardt unter Mithilfe der Bürgermeister entschieden werden. Das Rex als Kulturstätte bekommt einen Zuschuss von 9000 Euro und Sponsoring in Höhe von 1000 Euro.
„Viele Unternehmen haben durch die Pandemie Probleme bekommen. Der Bund hat darauf ja mit einem milliardenschweren Rettungspaket reagiert“, verdeutlichte der Landrat. Man könne sich glücklich schätzen, dass in Deutschland die wirtschaftliche Lage vor Corona gut war und Schulden abgebaut werden konnten. Nur deshalb könne man sich diese Hilfen leisten.
Im Kreis hatte man sich entschlossen, vor allem die Kultur und die Gastronomie zu bedenken, wohlwissend, dass andere Bereiche ebenfalls schwer zu kämpfen haben. „Kultur braucht man für die Lebensqualität in der Region, die so hoch ist, weil wir viele Veranstaltungen haben“, meinte Engelhardt.
Wirtschaftliche Risiken
Daran soll sich auch künftig nichts ändern – was leichter gesagt, als getan ist. Denn oft hängt das kulturelle Leben an einzelnen Personen, die wirtschaftliche Risiken in Kauf nehmen und aktuell nicht ihrem Beruf mit Perspektive nachgehen können. „Wir nehmen deshalb viel Geld in die Hand, was für einen Landkreis nicht normal ist“, so der Landrat. Er appellierte deshalb an die Bürger, sich ebenso einzubringen – was beim Rex oder den Festivals von Hegenbarth über Spenden oder den Kauf von No-Show-Tickets bereits der Fall war.
Dass die Bergsträßer Kulturleute trotz aller Widrigkeiten den Kopf nicht in den Sand stecken, lobte Engelhardt: Hier werde trotz der Existenzängste nicht verzagt, sondern es wird überlegt, gearbeitet und nach Lösungen für „coole Events“ geschaut. Sowohl Hegenbarth als auch Wagner bedankten sich für die finanziellen Zuwendungen. „Es gibt uns Kraft, weil wir merken, dass wir nicht alleine sind. Das Hilfspaket ist keine Selbstverständlichkeit“, freute sich der 41 Jahre alte Bensheimer. Martina Wagner machte deutlich, dass man mit den 10 000 Euro ein kleines Teil im großen Finanzpuzzle erhalten habe. „Damit kommen wir schon ein Stück weit. Wir haben zum Glück viele treue Stammgäste, die uns unterstützen. Das hat uns ermutigt, weiterzumachen.“
Zu Beginn der Corona-Pandemie sei man schon ziemlich geschockt gewesen. Jetzt habe sich die Stimmung bei ihm etwas gedreht, auch, weil der Zuspruch ungebrochen ist und ab und zu aufmunternde Fanpost im Briefkasten landet, so Hegenbarth. „Wir sind lange nicht über dem Berg. Aber wir sind positiv gestimmt und werden weiterkämpfen.“
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