Ein mutiger Widerstandskämpfer

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Ein halbes Dutzend Wohnhäuser säumt die Jakob-Kindiger-Straße im Bensheimer Westen, nahe der Europa-Allee. Der angrenzende Garten des AWO-Sozialzentrums an der Eifelstraße sorgt für viel Grün. Nur rund 100 Meter ist der Straßenzug lang, der an einen großen Bensheimer erinnert, der in der Zeit des Nationalsozialismus viel Mut, Zivilcourage und Standhaftigkeit bewiesen hat.

1988, zwei Jahre nach dem Tod Kindingers, wurde die Wohnstraße in den Kappesgärten nach ihm benannt. 1995 wurde dort außerdem ein Gedenkstein errichtet. Darauf ist zu lesen: "Der Widerstandskämpfer Jakob Kindinger (1905 - 1986) war als Gewerkschafter und Kommunist 10 Jahre in Haft, davon 7 Jahre als KZ-Häftling in Buchenwald. Unter Einsatz seines Lebens bewahrte er Mithäftlinge vor dem Tod. Nach der Befreiung war er Gewerkschaftsvorsitzender und Stadtverordneter in Bensheim." 1996 gründete sich die Geschichtswerkstatt "Jakob Kindinger", die sich die Erforschung und Publikation regionaler Zeitgeschichte zum Ziel gesetzt hat.

Ein politisches Leben

Die Lebensgeschichte Kindingers ist sehr gut erforscht und dokumentiert. Zu verdanken ist das engagierten Schülern der Geschwister-Scholl-Schule und ihren Lehrern Peter Lotz und Franz Josef Schäfer: Im Leistungskurs Geschichte haben sie sich im Schuljahr 2004/2005 intensiv mit der Biografie Kindingers auseinandergesetzt. Herausgekommen ist eine 200 Seiten starke Broschüre mit dem Titel "Jakob Kindinger - ein politisches Leben".

Jakob Kindinger wurde am 5. Juli 1905 in Reichenbach geboren - als dritter Sohn des Steinmetzen Johann Kindinger und seiner Frau Elise. Er besuchte die Volksschule in Reichenbach und begann 1919 - im Alter von 14 Jahren - im elterlichen Betrieb eine Lehre als Steinmetz. Als 16-Jähriger erlebte er seinen ersten Streik, was "einen tiefen Eindruck auf mich machte und mich sehr begeisterte", schreibt Kindinger in einem 1953 von ihm verfassten Lebenslauf. Nach seiner Lehre trat er freiwillig in die Hessische Schutzpolizei ein, nahm aber zwei Jahre später seinen Beruf wieder auf. Er ging auf Wanderschaft, arbeitete bis 1929 in Steinbrüchen und Werkstätten im Schwarzwald, in der Schweiz und in Oberfranken. Dort traf er erstmals mit gewerkschaftlichen und marxistischen Kollegen zusammen und trat selbst in die Gewerkschaft ein.

Kindinger begann, sich mit dem wissenschaftlichen Sozialismus zu beschäftigen: " . . . und es wurde mir von Jahr zu Jahr klarer, dass es für die breiten Volksmassen keinen anderen Weg gibt, um aus dem sozialen Elend herauszukommen als den Weg zum Sozialismus". Nach den Mai-Unruhen in Berlin 1929, bei denen zahlreiche Demonstranten umkamen oder verletzt wurden, wandte sich Kindinger von der SPD ab, der er bis dato nahegestanden hatte.

Zurück in Bensheim lernte Jakob Kindinger Maria Kollerer kennen, die er im April 1930 heiratete. Im August wurde die einzige Tochter des Paars, Else, geboren. Anfang der 1930er Jahre war Kindinger bei den Bensheimer Steinmetz-Betrieben Bernschneider und Kreuzer tätig, aber auch oft von Arbeitslosigkeit betroffen.

1932 trat er in die Bensheimer Ortsgruppe der KPD ein. Wiederholt kam es in dieser Zeit auf offener Straße zu Zusammenstößen zwischen Linken und Anhängern der NSDAP. Als Gewerkschafter und Kommunist war Kindinger den Nationalsozialisten nach der Machtergreifung ein Dorn im Auge. Er wurde mehrmals vorübergehend festgenommen, zwei Wochen war er im August 1933 im KZ Osthofen inhaftiert.

Mit anderen Essen geteilt

Die Bensheimer KPD arbeitete im Untergrund weiter, Kindinger war Mitglied der Gruppe "Revolutionäre Gewerkschafts Opposition". 1935 wurde er zusammen mit etlichen Genossen erneut verhaftet und ins Gestapo-Gefängnis nach Darmstadt überführt. Im Oktober verurteilte ihn der Strafsenat Darmstadt wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu drei Jahren Zuchthaus.

Unmittelbar nach seiner Entlassung wurde Kindinger in Schutzhaft genommen und ins KZ Buchenwald gebracht, wo er als sogenannter Funktionshäftling und später als Blockältester zu den Leuten gehörte, die heimlich aktiven Widerstand organisierten und Menschenleben retteten. So setzte sich Kindinger unter anderem für jüdische Häftlinge ein und teilte seine knappen Essensrationen mit ihnen - nur eines von zahlreichen Beispielen seiner Menschlichkeit.

Nach der Befreiung durch die Alliierten kehrte Kindinger am 16. Mai 1945 nach Bensheim zurück - gezeichnet von über zehn Jahren Haft. Nur wenige Tage später trat er in den Dienst der Stadt Bensheim, bis 1952 war er als Straßenmeister beschäftigt. Wegen seiner Aktivitäten in der KPD war er jedoch nicht unumstritten. Aufgrund des sogenannten Adenauer-Erlasses wurde er zeitweise sogar von seinem Posten enthoben. 1952 kündigte er sein Arbeitsverhältnis bei der Stadt und war vermutlich wieder in der Steinverarbeitung tätig. Kindinger blieb zeit seines Lebens ein kompromissloser Kommunist und aktiver Gewerkschafter, der mit dem politischen Gegner immer wieder aneckte - auch mit dem früheren Bensheimer Bürgermeister Josef Treffert.

Von 1952 bis 1956 saß Kindinger für die KPD im Kreistag, von 1956 bis 1960 war er Mitglied der Bensheimer Stadtverordnetenversammlung. Im Jahr 1978 wurde ihm die "Ehrenmedaille für den deutschen Widerstand" verliehen. Nach langer Krankheit starb Jakob Kindinger im Herbst 1986. In wenigen Wochen - am 17. November - jährt sich sein Todestag zum 30. Mal.

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