Bensheim. Außergewöhnliche künstlerische Flexibilität bewies das Berliner vision string quartet beim vierten Saisonkonzert der Kunstfreunde im dicht gefüllten Parktheater. Denn das populäre junge Ensemble musste kurzfristig auf seinen erkrankten Primarius Florian Willeitner verzichten, der erst Ende 2021 Gründungsmitglied Jakob Encke abgelöst hatte.
Als Ersatz präsentierten die drei Anfangdreißiger Daniel Stoll (2. Violine), Sander Stuart (Viola) und Leonard Disselhorst (Violoncello) ihren 1998 geborenen Kollegen Jonathan Schwarz vom ähnlich erfolgreichen Leonkoro-Quartett. Aufgrund dieser Besetzungsänderung wurde der Anteil an Eigenkompositionen des vision string quartets verringert und stattdessen zusätzlich Ravels wunderbares Streichquartett ins Programm genommen. Im von Hans Hachmann geführten Einleitungsgespräch hob Daniel Stoll nachdrücklich die gute Zusammenarbeit mit dem Einspringer hervor, den sie schon lange kennen würden.
Tief miteinander vertraut
Und tatsächlich meinte man dann bereits im wie aus einem Guss gebotenen späten G-Dur-Quartett opus 106 (1895) von Antonin Dvorák ein tief miteinander vertrautes und also bestens eingespieltes Ensemble vor sich zu haben – mit einem ebenso agilen wie subtilen Primgeiger an der Spitze, der die flammende Ausdrucksleidenschaft seiner drei Partner uneingeschränkt teilte.
Knackig-sonorer Elan im auch lyrisch fein ausgehörten Kopfsatz, feurig verdichtete Gesangspoesie im fast sakral getönten Es-Dur-Adagio, rasanter tänzerischer Drive im selten spritziger daherkommenden h-Moll-Scherzo, schier sinfonische Farbenvielfalt im spannend changierenden Finale: Dvoráks Spätwerk verbreitete beim vision string quartet eine geradezu jugendliche Aufbruchsstimmung, die bisweilen sogar schon an Janáceks vibrierende neue Klangwelten denken ließ. Hellwaches und abenteuerlustiges Dvorák-Spiel mithin, das alle Sinne öffnete.
Gleichsam unter Strom gesetzt erschien auch Maurice Ravels einziges Streichquartett von 1902/03, dessen aufregende Modernität Jonathan Schwarz und seine Mitstreiter kompromisslos präzise und enthusiastisch auf den Punkt brachten. Vom schmiegsam dahinströmenden Kopfsatz über das pikant swingende Scherzo (Pizzicati!) und den farbensatten langsamen Satz bis hin zum wahrhaft „vif et agité“ entfesselten Finale zeigte sich hier Ravel-Esprit par excellence.
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Wer dem Stück nach längerer Zeit wieder oder vielleicht gar erstmals begegnete, konnte es bei diesen vier Ausnahmekönnern ihres Faches wirklich wie neu erleben – eine besondere interpretatorische Leistung gerade mit Blick auf die zahlreichen jungen Zuhörer im Publikum.
Auf ihre kreativ zwischen verschiedensten Stilen wandelnden und oft genug ohrwurmtauglichen Eigenkompositionen wollten Stoll, Stuart und Disselhorst natürlich trotz allem nicht ganz verzichten. Kurzerhand behalfen sie sich durch Zuspielung der ersten Geigenstimme, holten Florian Willeitner wenigstens per Pappkameraden-Optik dazu und legten mit unverwechselbar lässiger Virtuosität los.
Und Spaß war auch so garantiert bei erfrischend folkigen Nummern wie „Sailor“ oder „Alternative Endings“, beim sanft schlendernden Pizzicato-Schmankerl „Plunk Ballad“ und originell pointierten Reißer „The Shoemaker“ sowie erst recht bei der lautstark geforderten Bravourzugabe „Hailstones“.
Nach diesen fünf Kostproben aus dem mit insgesamt 13 Spezialitäten aufwartenden Album „Spectrum“ herrschte ausgelassene Stimmung wie selten zuvor bei einem Kunstfreunde-Konzert im Bensheimer Parktheater.
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