PiPaPo-Theater

Duell der Glaubensfragen im Bensheimer PiPaPo-Keller

Von 
Thomas Tritsch
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Das Darmstädter Kabarett-Duos Kabbaratz – Evelyn Wendler und Peter Hoffmann – spielte im Bensheimer Parktheater virtuos mit Glaubensfragen und anderen Eventualitäten. © Thomas Zelinger

Bensheim. Der Begriff Narrativ hat eine tolle Karriere hinter sich. Er ist höchst flexibel, je nach Bedarf vielseitig zu verwenden und in seiner interpretativen Natur praktisch kaum angreifbar. Das Narrativ, also eine erklärende oder erzählende Darstellung eines bestimmten Sachverhalts, ist an eine bestimmte Identität gekoppelt – aber auch enorm instabil, weil der Horizont der Gegenwart individuell und kollektiv immer weiter wandert.

Es soll sinnstiftend sein, doch sein Wahrheitsgehalt ist immer fraglich. Das macht es zum falschen Freund von Menschen, die gern festen Boden unter den Füßen haben. „Erzähl mir keine Geschichten“, grummelt der Skeptiker. Als Deutungshoheit beansprucht es die Wahrheit und stellt andere Perspektiven im gleichen Atemzug in die Dreckecke der täuschenden Erfindung.

Das neue, 34. Programm des Darmstädter Kabarett-Duos Kabbaratz philosophiert nicht trocken herum, sondern spielt virtuos mit Glaubensfragen und anderen Eventualitäten. „Hoffmanns Erzählungen…Wendler kommentiert“ heißt das rhetorische Bühnenduell der beiden Partner, die seit 1989 verheiratet sind und in schöner Regelmäßigkeit über die regionalen Kleinkunstbühnen ziehen.

Gute Geschichten und gefährliche Botschaften

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„Kabbaratz“ im PiPaPo-Theater

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Von
red
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Die Vorpremiere im PiPaPo-Theater am Samstagabend hatte mit der Oper von Jacques Offenbach wenig zu schaffen: Es war ein eher unmusikalischer Workshop über Wahrheit und Fiktion, Fakten und Perspektiven, gute Geschichten und gefährliche Botschaften.

„Man nimmt das wahr, was man erwartet“, sagt Peter Hoffmann, der sich mit Evelyn Wendler auf komplexes Terrain wagt. Denn es gibt immer zwei Geschichten. Nicht beide können wahr sein. Aber beide falsch. Und der Mensch neigt dazu, jener zu glauben, die am besten zu seiner eigenen Version passt.

Eine Woche vor der Premiere im halbNeun Theater Darmstadt erlebte das Bensheimer Publikum eine kurzweilige, bisweilen noch experimentell anmutende Auseinandersetzung über die elementaren Fragen der Gegenwart vor einer Zukunft, die sich beinahe täglich verändert.

Doch Hoffmann weiß, dass auch die Vergangenheit eine dynamische Größe sein kann. Die Erinnerung macht nun mal, was sie will, so der Mittsechziger über eine verblassende Zeit, in der noch freundliche Werbefigürchen das Storytelling übernommen hatten. Einst wackelte der nette Hustinetten-Bär mit seinen angeblich heilenden Bonbons über den Bildschirm: ein flauschiger Influencer in mildernder Absicht, der nur vordergründig den Husten erleichtern sollte, im Grunde aber eine Warnung vor körperlichen Kontrollverlusten war, sprich: letztlich die Angst vor der eigene Sexualität verkörpert hat. Wer hätte das denn früher auch nur geahnt?

Das Programm kreist um biografische Notizen und philosophische Erkenntnisse, klopft subjektive Perspektiven auf ihren faktischen Gehalt ab und rechnet aus der intellektuell hellen, aber auch etwas rachelüsternen Retrospektive mit den Märchen aus der frühen Entwicklungsphase ab. Kindertheater sei letztlich auch nur eine kollektive Demütigung vor Publikum gewesen, sagt Kabbaratz.

Kindertheater als kollektive Demütigung vor Publikum

„Alle fünf Jahre verändert sich die Vergangenheit“, so Peter Hoffmann – und im gleichen Takt nehmen auch die persönlichen Lebensmaßstäbe eine andere Qualität an. „Ich mache mir Sorgen, was in Zukunft aus meiner Jugend werden wird.“ Das Duo hat sich erneut die inneren Widersprüchlichkeiten der modernen Gesellschaft vorgeknöpft: satirisch fein überzeichnet, mit unverbautem Blick auf absurde Diskurse und die Knetbarkeit der menschlichen Geschichte. „Alle waren irgendwann mal überall“, so Hoffmann über die Argumentation territorialer Besitzansprüche. Wenn man nur weit genug in die Vergangenheit blicke, gibt es für alles das passende Argument. Selbst die Argonauten hatten mal die Krim besetzt. Ob das Putin weiß?

Ebenso gut könnten die Franzosen nach der Schlacht bei Hastings 1066 England zurückverlangen. Und die Gegend um St. Petersburg war auch mal schwedisch. „Wenn wir noch weiter zurückgehen, hätten die Goten die älteren Gebietsansprüche.“

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