Bensheim. "Es wäre schade gewesen, wenn sie hinter ihrem Zahnarztstuhl verkümmert wären", so Cheforganisator Reinhold Schmitt nach zwei Stunden Jazz pur. Seine Praxis hat Dr. Wim Mauthe schon vor Jahren verkauft. "Ein schöner Beruf, aber das hier ist besser", lautete der Kommentar des Bandleaders beim jüngsten Konzert im Jazzkeller.
Ein ausverkauftes PiPaPo-Theater, gut aufgelegte Musiker und ein kantiges Repertoire haben am Sonntagabend eine gelungene Zentralschaltung verursacht. Die Atmosphäre hat dem Auftritt zusätzlich Beine gemacht. Auch die Künstler waren vom tiefergelegten Jazzclub unter dem Wambolter Hof angetan.
Klassisches Doppelspiel
Wenn sich der Ex-Doc, Jahrgang 1947, nicht gerade der modernen Kunst (abstrakte Malerei) widmet, greift er bevorzugt zu Klarinette und Saxofon. Seit über vier Jahrzehnten pflegt er eine musikalische Beziehung namens "Jazz Affair". Der bühnenerfahrene Freiburger folgt der Tradition des alten Jazz im New-Orleans-Stil, wie er vor allem in den 20er Jahren wegweisend war. Die Band pflegt das klassische Doppelspiel von Posaune und Klarinette beziehungsweise Saxofon in einem Dialog von Melodie und ornamentalem Gegenpart.
Die Stücke bestechen durch eine zutiefst solide Interpretation, an der Harmonie zwischen den todsicher agierenden Musikern könnte selbst ein mittelstarkes Erdbeben nicht kratzen. Mit Peter Kniri Knaus an der Posaune hat Mauthe einen virtuosen Musiker als zweiten Mann im Boot.
Sein großes Solo war eine Nummer, die der Schweizer schlicht "Der Blues" nannte: Eine famose Essenz des Blues-Schemas, ausgarniert mit einer leidenden Mundharmonika im Stil von Sonny Boy Williamson und dem von ihm entwickelten "Bluesörgeli", eine kleine einreihige Handorgel, die brillant zu den Arrangements im Cajun-Sound passt. Vor allem Menschen zwischen 40 und 50 ist der Musiker als Teil der Schweizer Kultband "Pfuri, Gorps und Kniri" vertraut, die in den 70er Jahren unter anderem mit Plastiksäcken und Gartenschläuchen einen markanten Sound erzeugte.
Im Jazzkeller kommen ausgiebige Gospel- und Bluesfarben zum Ausdruck, was den servierten Mix bunter und kurzweiliger macht. Die Kollektivimprovisationen protzen mit Vitalität und Dynamik. Im Creole-Jazz schwingen klar erkennbare spanische und lateinamerikanische Einflüsse mit. Das Fundament der Band besteht aus dem hervorragenden Banjospieler René Karlen, dem stets präsenten Kontrabass von Martin Hess (beide aus der Schweiz) und dem studierten Schlagzeuger Martin Herrmann, der seine rhythmischen Kommentare nicht nur in experimentellen Soli zeigen darf.
Seit 15 Jahren spielt die "Jazz Affair" beim Festival in Ascona. Einige Stamhörer waren der Band bis nach Bensheim nachgereist. Hier hörten sie Klassiker wie die "Bourbon Street Parade" und den Cajun-Song "Eh La Bas" sowie wunderbar entschlackte Gospel-Stücke wie den amerikanischen Spiritual "Nobody Knows The Trouble IQve Seen" und "His Eyes On The Sparrow".
Mit dem Louisiana-Erbe "Just A Closer Walk With Thee" erklang zwar ein berühmtes Beerdigungsstück, doch die Stimmung im PiPaPo war nach zwei Stunden Dentisten-Jazz alles andere als pietätvoll. Als Zugabe inszenierte die Band noch eine kleine Marching Parade à la New Orleans, für die drei Damen aus dem Publikum aktiviert wurden. Angeführt von Posaune und Saxofon marschierten sie durch das Publikum bis hinter die Theke.
Ein viel beklatschter Abschluss des November-Konzerts im Jazzkeller. Noch am Sonntag hatten Dr. Wim und Reinhold Schmitt ausbaldowert, dass die Band im Dezember 2013 für ein reines Gospelkonzert nach Bensheim kommt. Weiter geht es im Jazzkeller am 16. Dezember mit Sängerin Nathalie Schäfer und ihrer Swing-Combo. Karten sind bei Juwelier Rossner und Foto Porst in der Hauptstraße erhältlich. tr
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