Interview - Vorstand Ralf Tepel ist seit 30 Jahren bei der Karl-Kübel-Stiftung beschäftigt und spricht über Ziele und Veränderungen in der Entwicklungszusammenarbeit

„Der Klimawandel als neue Herausforderung“

Von 
Eva Bambach
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Ralf Tepel, Vorstandsmitglied der Karl-Kübel-Stiftung, begeht in diesem Monat sein 30-jähriges Dienstjubiläum. © Funck

Bensheim. In diesem Monat feiert Ralf Tepel, Vorstand der Karl-Kübel-Stiftung für den Bereich Entwicklungszusammenarbeit, sein 30. Dienstjubiläum. Er begann am 1. Januar 1990 als Sachbearbeiter in der Entwicklungszusammenarbeit. Ein Anlass nicht nur für persönliche Erinnerungen, sondern auch für einen Blick auf Veränderungen in der Stiftung.

Herr Tepel, was hat Sie für die Aufgabe in der Karl Kübel Stiftung qualifiziert?

Ralf Tepel: Bei meinem Studium der Geografie in Bochum mit Schwerpunkt Entwicklungsgeografie habe ich von der Kooperation meiner Hochschule mit den Universitäten in Manila und in Hyderabad (Indien) profitiert. Ich habe dann auch meine Diplomarbeit in Indien geschrieben. Nach dem Studienabschluss war ich drei Jahre in der entwicklungspolitischen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Dies und mein Regionalwissen zu Indien und den Philippinen waren gute Voraussetzungen für meine neue Aufgabe.

Worin bestand Ihr Job am Anfang?

Tepel: Die Entwicklungszusammenarbeit mit Indien sollte aufgebaut werden. Denn die Abteilung für die Entwicklungszusammenarbeit war damals noch sehr übersichtlich, mit etwa fünf bis sechs Projekten – heute sind es etwa 60 mit erheblich größerem Volumen.

Wie lief das ab?

Tepel: Als ich zur Stiftung kam, gab es neben größeren Vorhaben auch kleinere Projekte, etwa mobile Gesundheitsdienste in Indien, die für ein oder zwei Jahre unterstützt wurden. Heute laufen die Projekte über einen wesentlich längeren Zeitraum und sie haben ein erheblich größeres Volumen. Es sind Kreditprogramme oder Programme zur Bewässerung und zur Anpassung an den Klimawandel. Vor 20 Jahren kam auch noch die Einrichtung eines Bildungsinstituts in Indien dazu, und seit dem Jahr 2008 gibt es den entwicklungspolitischen Entsendedienst „weltwärts“. Auch das Spektrum der Länder hat sich erweitert. Indien ist nach wie vor Hauptschwerpunkt, aber 1996/97 kamen die Philippinen hinzu, Ende 1999 der Kosovo, später Myanmar, Nepal und Ostafrika.

Was bedeutete das für die Mitarbeiter?

Tepel: Mit der Ausweitung der Arbeit in Deutschland und im Ausland kamen neue Kolleginnen und Kollegen hinzu. 1990 waren es etwa 20, heute sind wir mehr als 60. Das brachte auch eine räumliche Erweiterung mit sich. Früher war die Stiftung nur hier im Altbau direkt an der Darmstädter Straße 100 untergebracht, im großen Anbau hatte unter anderem die Firma Tonbeller ihren Sitz. Heute brauchen wir das gesamte Gebäude.

Sind Sie Karl Kübel noch persönlich begegnet?

Tepel: Ja, schon bei meiner Einstellung. Nach den Bewerbungsgesprächen mit den beiden Geschäftsführern Dr. George Arickal und Willi Kübel-Sauerbier – damals hatte die Stiftung noch die Geschäftsform einer gemeinnützigen GmbH – fuhr Dr. Arickal mit mir im Auto auf die Tromm zum Wohnhaus Karl Kübels. Der Stifter hat mir viele sehr präzise Fragen gestellt, vor allem zu Indien und zu den Erfahrungen mit kirchlichen Organisationen,die ich in Indien gemacht hatte. Auf der Heimfahrt erfuhr ich, dass ich die Stelle hatte.

Hat Karl Kübel, 1909 geboren und damals schon über 80 Jahre alt, denn noch in der Stiftung mitgearbeitet?

Tepel: Er nahm noch über mehrere Jahre direkten Einfluss auf alle Entscheidungen. Die damaligen Geschäftsführer fuhren jede Woche auf die Tromm, um Bericht zu erstatten. Es gab auch Planungstreffen dort in großer Runde, die mehrere Tage dauern konnten. Zum Beispiel geht auch noch die Entscheidung für das 1999 eingeweihte Bildungsinstitut in Indien auf das aktive Engagement Karl Kübels zurück.

In den 1990er Jahren sprach man vielfach noch von Entwicklungshilfe – heute heißt es Entwicklungszusammenarbeit. Wie war das in der Kübel-Stiftung?

Tepel: Als ich dazu kam, hieß es hier schon Entwicklungszusammenarbeit. Das war sehr wichtig für Karl Kübel: die Partnerschaft auf Augenhöhe. In Bezug auf Indien sagte Karl Kübel, dort gebe es genug eigene Fachorganisationen, da sei kein deutsches Personal nötig. Die Hilfe zur Selbsthilfe, um gemeinsam etwas zu schaffen, war ihm wichtig und dieser Gedanke lebt in der Entwicklungszusammenarbeit heute noch stark fort und zieht sich eigentlich durch alle Projekte.

Was bedeutet das konkret?

Tepel: Von einer caritativen Prägung sind wir zu einem viel politischeren Ansatz gekommen, der zum Beispiel auch zur aktiven politischen Teilhabe ermutigen soll. Geld wird nicht geschenkt, sondern als Kredit vergeben, der zum revolvierenden Fonds wird. Nach der Rückzahlung steht das Geld also anderen zur Verfügung. Bei einem Projekt im südindischen Tamil Nadu haben wir zum Beispiel im Jahr 2007 ein Startkapital von 25 000 Euro bereitgestellt, für viele einzelne Kleinkredite bis zu 100 Euro. Durch Rückzahlung und Zinsen hat sich der Betrag inzwischen verzwanzigfacht. Eine Frau hat beispielsweise mit solchem Geld eine kleine Töpferei eröffnet, heute ist sie eine Unternehmerin, die 20 Arbeitsplätze bietet.

Ist es denn mit Geld getan? Brauchen die Menschen nicht auch Erfahrung mit unternehmerischen Entscheidungen?

Tepel: Dazu bieten wir in unserem indischen Bildungsinstitut Beratung an, auch zu der Frage, was am jeweiligen Standort wirtschaftlich überhaupt sinnvoll ist. Manchmal haben aber auch die Menschen selbst innovative Ideen. Eines der schönsten Beispiele ist eine Bootsreparaturwerkstatt, die 2005 nach dem Tsunami in Südindien gegründet wurde und noch immer besteht. Die Frauen hatten die Idee, die Boote ihrer Männer zu reparieren, damit diese nicht immer auf weit entfernte Werkstätten angewiesen sind. In Kooperation mit dem Verein „Bensheim hilft“, der den Großteil der Finanzierung übernommen hat, unterstützten wir die Gründung. Unter anderem kam ein Mitarbeiter eines indischen Motorenherstellers, um die Frauen auszubilden. Der Betrieb läuft seit Jahren ohne externe Unterstützung erfolgreich weiter.

Aber inwieweit ist das ein politischer Ansatz?

Tepel: Aus den Selbsthilfegruppen entwickeln sich Beziehungen, die auch politisch Einfluss gewinnen. Im Februar fahre ich zum Beispiel in eine Region, in der sich viele kleine Frauengruppen zu einem 12 500 Frauen umfassenden Netzwerk zusammengeschlossen haben. Den Menschen wird bewusst, dass sie nicht nur wählen, sondern sich auch selbst zur Wahl stellen können. Sie fordern Regierungsprogramme für ihre Dörfer ein. Wir führen auch Projekte durch, bei denen Vertreter von Exekutive und Legislative, sprich von Polizei und Gerichten, sensibilisiert werden, etwa Kinderhandel oder Prostitution als Verbrechen wahrzunehmen, die konsequent geahndet werden müssen.

Worin unterscheidet sich die Kübel-Stiftung von anderen Stiftungen?

Tepel: Wir sind eine operativ tätige Stiftung, die eigene innovative Projekte umsetzt. Und wir sind noch immer vom unternehmerischen Geist Karl Kübels geprägt. Die Förderung der wirtschaftlichen Selbstständigkeit der Menschen in Entwicklungsländern ist zum Beispiel ein wichtiges Ziel für uns. Denn eine gesicherte Existenz ist Grundlage dafür, dass Eltern ihren Kindern gute Entwicklungsmöglichkeiten bieten können. Außerdem bleiben wir bei allen Projekten langfristig dabei, sei es mit Geld oder beratend, oft über 20 Jahre.

Wie hat sich die Entwicklungszusammenarbeit global in den vergangenen 30 Jahren geändert?

Tepel: Es gibt andere Herausforderungen, etwa die Anpassung an den Klimawandel. Auf der einen Seite muss man den Menschen Schutz bieten, etwa in den von Taifunen bedrohten Küstenbereichen der Philippinen. Auf der anderen Seite geht es darum, ein Bewusstsein zu schaffen, hier wie in den Ländern im Süden. Man muss klar machen, dass es sich nicht um einmalige, sondern um wiederkehrende Phänomene handelt, gegen die man sich vorsorgend schützen muss. Oder aber, dass man Anbaumethoden in der Landwirtschaft anpassen muss. In Indien etwa kam der Monsun früher immer im Mai/Juni. Heute ist das viel unberechenbarer und das müssen die Bauern berücksichtigen.

Welchen Einfluss hat es auf die Stiftungsarbeit, den Sitz in Bensheim – und nicht etwa in Berlin – zu haben?

Tepel: Wir sind in allen relevanten Dachverbänden gut vertreten. Bei VENRO etwa, dem Dachverband der entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen in Deutschland, war ich selbst zehn Jahre lang im Vorstand. Andererseits schätzen wir die Kooperation hier vor Ort sehr, zum Beispiel mit der Christoffel-Blindenmission, der anderen sehr großen Hilfsorganisation mit Sitz in Bensheim. Ebenfalls sehr starke Partner sind der Verein „Bensheim hilft“ und die Strahlemann-Stiftung in Heppenheim. Das sind kurze Wege und sehr freundschaftliche Beziehungen. Wir brauchen keine Dependance in Berlin, wir können unseren Einfluss sehr gut von Bensheim aus nutzen.

Karl-Kübel-Stiftung

Die Karl-Kübel-Stiftung für Kind und Familie gehört zu den großen, überwiegend operativ tätigen Stiftungen in Deutschland.

Schwerpunkte der Stiftungsarbeit sind Entwicklungszusammenarbeit, Familie und Bildung.

Die Stiftung arbeitet nach dem Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“. Sie unterstützt benachteiligte Menschen in über 80 Projekten im In- und Ausland.

Gegründet wurde die Stiftung im Jahr 1972 vom Unternehmer Karl Kübel. Er verkaufte die 3K Möbelwerke und schenkt das gesamte Erwerbs- und den größten Teil seines Privatvermögens – insgesamt 72 Millionen Mark – der nach ihm benannten neuen Stiftung. red

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